10 - Nachhall - Teil 1

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Melina und Emma nickten sofort, während er schluckte. Er kannte Ben kaum und wusste nicht viel über ihn, nur dass er gehörlos Autofahren wollte. Automatisch lief der Film des Autounfalls vor seinem inneren Auge ab, doch dann fiel sein Blick auf Emma, die sich mit Mühe und Not aufrecht hielt. Sie konnte jetzt keine Stunde U-Bahn fahren. Sie konnte ja kaum stehen. Er nickte. Emmas Vater fuhr auch Auto, also war es kein Problem und selbst wenn es eines wäre, würde er jederzeit ins Auto steigen, um seine Freundin so schnell wie möglich hier wegzuschaffen. Während er überlegt hatte, hatten Ben und Melina besprochen, dass er das Auto holen wollte, so dass sie Emma nur zur nächsten Bushaltestelle bringen mussten.

Denn sie sah hundeelend aus. Sie sagte nichts. Aber er merkte, dass sie jetzt erst registrierte, was passiert war. Wieder kochte Wut in ihm hoch, doch er blieb – zumindest äußerlich – ruhig. Er wusste, er würde Emma sonst zudem belasten. Melina hakte sich auf einer Seite von ihr ein, während er auf der anderen Seite ihre Hand nahm und gemeinsam liefen sie langsam zum Treffpunkt. Ben erwartete sie schon mit seinem Polo dort und als er sie bemerkte, stieg er aus und öffnete ihnen die hintere Tür. Sie setzten Emma hinein und er ging ums Auto herum. Er hockte sich neben sie und wartete, bis Ben losfuhr. Erst dann fiel ihm auf, dass der gar nicht wusste, wohin er musste. Er zog sein Handy aus der Tasche, gab die Adresse in den Routenplaner ein und reichte das Handy Melina, die auf der Beifahrerseite Platz genommen hatte.

Emma hatte erschöpft den Kopf auf seine Schulter gelegt und er hielt ihre Hand. Sie seufzte und schloss die Augen, während er versuchte, sich seine Überraschung über Bens Fahrweise nicht anmerken zu lassen. Dieser lenkte ruhig und umsichtig den Wagen durch den Münchner Verkehr. Die Augen wechselten zwischen Fahrbahn und den Spiegeln hin und her. Die Anspannung in ihm ließ nach. Er wollte es nicht zugeben, aber er hatte ein ungutes Gefühl gehabt, mit einem Gehörlosen Auto zu fahren.

Nach knapp 20 Minuten hielt Ben vor seinem Haus und er stieg aus, ehe er Emma heraus half. Sie hatte wieder begonnen zu zittern. Trotzdem bedankte sie sich bei Ben und Melina fürs Bringen und sie verabschiedeten sich, nicht ohne dass sie von ihrer Freundin ermahnt wurde, sie solle sich melden. Emma nickte matt und lehnte sich an ihn.

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Sie war müde. Ihr war schwindlig. Sie musste etwas essen. Nur leider wurde ihr beim Gedanken daran schlecht. Sie sah, dass er sich Sorgen machte. Sie versuchte zu verbergen, dass ihr Körper streikte. Sie fühlte sich schwach und ausgelaugt, doch sie hatte vier Etagen vor sich. Sie traute sich nicht mehr, mit dem Aufzug zu fahren. Und wenn sie nach oben kroch, würde sie das Ding nur über ihre Leiche noch einmal betreten. Als hätte Daniel ihre Gedanken erraten, wollte er sie auf seine Arme heben, doch sie protestierte.

„Ich kann gehen", stellte sie fest.

„Du wankst, als hättest du zwei Flaschen Schnaps getrunken, also ich denke nicht, dass du die vier Stockwerke schaffst", erklärte er ruhig und hob sie hoch.

Vor der Wohnungstür setzte er sie behutsam ab und sie gab zu, dass er recht hatte. Sie fühlte sich auch, als hätte sie getrunken. Ihr war schrecklich flau und schwindlig. In ihrem Kopf drehte sich alles und es waren nicht nur die Gedanken, die sie wirr machten.

„Ist dir noch schlecht?", erkundigte sich Daniel, nachdem er sie beide in die Wohnung gelassen hatte.

Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte ihn nicht beunruhigen. Sie wollte ihre Zähne putzen, eine Cola trinken, dass ihre Übelkeit verschwand und dann ins Bett kriechen. Und am besten nie wieder aufstehen. Wie hatte dieser schöne Tag so enden können?

„Brauchst du irgendetwas?", erkundigte Daniel sich und sie schüttelte erneut den Kopf.

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Sie war erschreckend in sich gekehrt. Sie hatte keine einzige Träne vergossen. Sie war blass, aber wenigstens nicht mehr so fahl wie vorher. Er wünschte, sie würde weinen. Dann wüsste er, was er tun sollte. Er würde sie in seine Arme ziehen können und trösten. Mit ihr sprechen. Aber sie sprach kein Wort.

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