14 - Der Weg - Teil 2

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Er runzelte die Stirn und sie flüsterte: „Dein Lachen ist das Schönste, was ich je gehört habe. Ich habe es nur leise gehört und nicht alles, aber etwas. Aber es ist schön. Wunderschön. Ich muss schon wieder heulen."

Dann weinte sie tatsächlich los und er starrte sie ebenso fassungslos an, wie ihre Eltern. Sie hatte ihn lachen hören? War ein Lachen so laut? War das nicht egal? Sie hatte ihn immer lachen hören wollen und nun schien der Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein. Zumindest zum Teil. Er zog sie unter den amüsierten Blicken ihrer Eltern in seine Arme und sie schmiegte sich an seine Brust. Nachdem sich Emma wieder gefangen hatte, beendeten sie ihr Abendessen, indem sie beschlossen, dass er wahrhaftig Teil des Haushaltes Starck werden würde. Der Tag konnte unmöglich besser werden, dachte er. Doch Emma belehrte ihn eines besseren, denn sie zeigte ihm später, als sie wieder in ihrem Zimmer waren, dass es ihr mindestens genauso gefiel, ihn lachen zu hören, wie es zu spüren.

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Die nächsten Tage waren für sie wie ein Rausch. Sie hatte von früh bis spät ihre Kopfhörer auf und hörte Musik. Ja, im wahrsten Sinne des Wortes: Sie hörte. Denn jedes Mal, wenn sie das Lied erneut anhörte, kamen neue Töne hinzu. Sie konnte es nicht glauben. Sie hörte schon fast die gesamte Melodie. Auch Bruchteile der Stimme hatte sie sich schon erarbeitet. Sie konnte nicht glücklicher sein. Das war es. Allerdings musste sie ihre Übungen immer wieder abbrechen, denn schlagartig überfielen sie fiese Migräneattacken.

Sie wusste, dass es daran lag, dass sie ihr Hirn überforderte. Sie war zu ungeduldig. Aber sie konnte nicht genug davon bekommen, den Tönen zu lauschen, die dort ankamen. Die sie jetzt interpretieren konnte. Es nervte sie, dass sie ihre Übungen immer wieder unterbrechen musste. Doch es half nichts. Einmal hatte sie es gewaltig übertrieben. Das war am Montag gewesen, als sie nach dem Termin bei Frau Müller, der diesmal nicht so unerfreulich gewesen war, die Logopädin Frau Engelhart aufgesucht hatte. Die hatte mit der Hörakustikerin ein Konzept erarbeitet, wie sie trotz ihres momentan eingeschränkten Hörspektrums schon Sprachtraining bekommen konnte. Frau Engelhart sprach in ein Mikrophon und sie hörte es über ihre Kopfhörer. So klappte es, dass sie nach kurzer Zeit die Stimme der Logopädin hören konnte.

Wieder war sie erst erstarrt und hatte dann ein paar Tränen vergossen. Das war die erste menschliche Stimme, die sie vernahm, die nicht sang. Natürlich klappten die Übungen noch nicht besonders gut, denn ihr Hirn hatte mehr damit zu tun gehabt, den fremdartigen Laut zu kategorisieren, aber ihre beiden Therapeutinnen waren zufrieden gewesen. Sie hatten angeregt, dass Emma Filme mit Untertitel und über ihre Kopfhörer hören könne. So könne sie die Stimmwahrnehmung im Moment schulen.

Sofort hatte sie Melina auf einen Filmnachmittag eingeladen und diese war begeistert gewesen, ihr so beim Training zu helfen. Ihre Freundin hatte jetzt keine Angst mehr, wie es schien. Im Gegenteil, sie entwickelte eine regelrechte Neugier. Sie wollte immer wissen, was sich Neues getan hatte. Jedenfalls hatten sie an diesem Montag fast zwei Filme gesehen und sie hatte sich so konzentriert, irgendwas zu vernehmen, dass sie gegen Ende des zweiten Streifens solche Kopfschmerzen bekommen hatte, dass ihr schlecht geworden war. Sie hatte sich sogar übergeben müssen. Leider waren genau in diesem Augenblick Daniel und ihr Vater heimgekommen und die hatten sie so gesehen.

Das hatte ordentlich Ärger gegeben. Ihr Vater hatte sogar verlangt, dass sie ihm sofort ihren Sprachprozessor übergab. Er hatte gemeint, wenn sie nicht selbst für ausreichend Pausen sorgte, dann würde er das tun. Auch Daniel war alles andere als begeistert gewesen. Aber damit hatte sie sich gar nicht befassen können. Denn es war ihr wirklich mies gegangen. Sie hatte ihrem Vater nur das Gerät in die Hand gedrückt und war zu der betreten dreinsehenden Melina in ihr Zimmer geschlurft. Dort hatte sie sich ins Bett gelegt und war froh gewesen, dass sie Stille umfangen hatte, während ihr Kopf gepocht hatte. Kurz darauf hatte Melina sich bedrückt verabschiedet und Daniel war zu ihr gekommen und hatte sie zur Rede gestellt. Aber sie hatte nicht sprechen können. Alleine die Augen offenzuhalten hatte sie zu sehr geschmerzt. Als ihr Liebster das gemerkt hatte, hatte er sie nur in seine Arme gezogen und mit ihr gekuschelt, bis sie eingeschlafen war.

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