4 - Klarheiten - Teil 1

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Am nächsten Tag saß Emma am Rand des Fischbrunnens am Marienplatz und wartete auf Daniel. Sie war nervös. Er hatte sie gestern mit seiner Forderung, sie solle endlich reden, in die Ecke gedrängt. In ihrem Kopf schwirrte alles im Moment. Sie hatte ihn nicht mit ihrer Sprachlosigkeit verletzen wollen. Doch sie verstand, dass er an ihr gezweifelt hatte. Dabei hatte sie ihn vermisst. Sie war nur feige gewesen. Bei einem Treffen hätte sie es ihm sagen müssen. Eigentlich hatte sie das auch vorgehabt. Sie ließ die Beine baumeln und fragte sich, ob er noch sauer war. Sie schaute auf ihr Handy. Er war zu spät. Und keine Nachricht. Vielleicht kam er nicht? Hatte er es sich anders überlegt? Sie seufzte und grübelte, ob sie gehen solle, als sie sah, dass Daniel auf sie zueilte. Er wirkte gehetzt, doch als er sie sah, lächelte er. Also nicht mehr sauer. Gott sei Dank.

„Sorry. Ich war in der Arbeit. Ich musste einspringen", gebärdete er und sie zog die Augenbrauen hoch.

Diese Gebärden hatte er nicht von ihr gelernt. Woher kannte er sie? Sie umarmte ihn lächelnd und gab ihm einen leichten Begrüßungskuss. Dann fragte sie ihn, aus welcher Quelle er die Gesten kannte. Er zog sein Handy hervor und zeigte ihr eine Internetseite namens gebaerdenlernen.de, wo man sich zu verschiedenen Worten die entsprechenden Gebärden per Video zeigen lassen konnte.

„Wir haben uns nicht gesehen, ich wollte trotzdem lernen. Ich hoffe, das ist ok", gebärdete er.

Sie nickte überrascht und meinte betrübt: „Natürlich. Jetzt fühle ich mich noch schlechter. Du warst so fleißig und ich habe nichts dafür getan, das zu verdienen. Tut mir leid."

„Ist egal. Wir haben darüber gesprochen. Ich bin nur froh, dass es geklärt ist", sagte er in DGS.

Sie nickte und erwiderte: „Ich auch."

Er zog sie in seine Arme und hielt sie einen Moment nur fest. Genoss ihre Nähe. Er hatte sie vermisst, erkannte er. Als sie sich löste, grinste sie.

„Du riechst gut", stellte sie fest.

„Gutes Deo, in der Arbeit war ganz schön was los", erwiderte er augenzwinkernd und Emma kicherte.

Sie beschlossen, sich ihr Eis zu holen, und Daniel beeindruckte sie, als er ihre Eistüten, ohne ein Wort zu verlieren, an der Theke orderte, indem er auf die Zeichensprache auswich. Dass er auf die Idee kam, auf die Lautsprache zu verzichten, nur damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlte, fand sie süß und umsichtig. Er reichte ihr eine Eistüte und sie verließen händchenhaltend die Gelateria. An ihrer Leckerei leckend bummelten sie die Schaufenster entlang. Irgendwann zog Emma ihn auf eine Bank und sie unterhielten sich etwas. Sie war beeindruckt, wie viele Gebärden er gelernt hatte. Nur an der Grammatik haperte es ab und an.

Sie korrigierte ihn und er schien ihr nicht im Geringsten böse zu sein deswegen. Im Gegenteil: Er versuchte sofort umzusetzen, was sie ihm zeigte. Irgendwann bat er sie um ein paar neue Gebärden und sie zeigte sie ihm fröhlich. Sie lachten viel, denn sie hatte ihm Redewendungen gezeigt und seine Hände verhedderten sich immer wieder. Aber mit der Zeit bekam er den Dreh raus.

„Was war nochmal die Gebärde für ‚küss mich'?", fragte Emma ihn irgendwann und er gebärdete die Aufforderung lächelnd.

„Ok", antwortete sie grinsend und beugte sich vor, um genau das zu tun.

Es war immer noch WOW! Sie hatte gedacht, sie hätte ihre Empfindungen in ihrer Erinnerung irgendwann idealisiert, doch dem war nicht so. Wieder schlugen die Schmetterlinge in ihrem Bauch Flickflacks und Saltos. Erneut wurde ihr heiß und kalt. Aufs Neue prickelte es in ihrem gesamten Körper.

****

„Daniel? Bist du das?", hörte er eine allzuvertraute Stimme neben sich.

Bedauernd löste er sich von seiner Freundin und wandte sich um, ehe er bemerkte, dass Emma sich vorbeugte, um von deren Lippen zu lesen. Da er ahnte, dass seine Ex einen blöden Kommentar abgeben würde, versperrte er ihr absichtlich die Sicht, so dass sie hätte aufstehen müssen, um von deren Mund zu erkennen.

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