13 - Die Reise - Teil 1

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Sie quatschten noch eine Weile und als sie auflegten, versprach er, Melina sofort Bescheid zu geben, sobald es etwas Neues von Emma gab. Dann sah Daniel auf die Uhr. Erstaunt stellte er fest, dass die OP nur noch etwa eine halbe Stunde dauern würde.

Er stand auf und ging zurück zu Emmas Eltern. Die sahen ihm lächelnd entgegen und als er das jetzt erwiderte, tat er es aus ganzem Herzen. Na ja, fast. Wenn Emma wieder wach war, dann aus ganzem Herzen, verbesserte er sich. Doch mehr als vorher.

„Geht es dir gut, Daniel? Du wirkst nicht mehr ganz so ängstlich wie vorher. Ich kann mir vorstellen, dass du Krankenhäuser hasst, oder?", fragte Uta und er sah sie überrascht an, ehe er langsam nickte.

Dann seufzte er und erwiderte: „Das stimmt. Das letzte Mal war ich in einer Klinik, als meine Eltern bei dem Autounfall gestorben sind und ich operiert wurde. Ich verbinde keine guten Erinnerungen an diese Zeit. Aber es geht wieder. Melina hat mich erfolgreich abgelenkt."

Jetzt lachte Uta los und erklärte: „Ja, das kann sie. Man muss nur aufpassen, dass man zu Wort kommt, wenn sie in Fahrt ist. Aber sie ist immer für die Menschen da, die sie mag. Ähnlich wie Emma. Die kämpft auch für alle, die sie liebt, bis zum letzten Hemd."

„Das ist mir schon aufgefallen. Sie kann sehr stur sein dabei", erwiderte Daniel grinsend und als Uta ihrem Mann einen bedeutungsvollen Blick zuwarf, zuckte Dieter mit den Schultern.

„Auch Eltern haben Fehler. Aber man kann dazulernen, wenn man möchte. Ich bereue es jedenfalls nicht, mir einen Schubs gegeben zu haben. Dank Emma durfte ich eine neue Erfahrung machen. Ein Hörender, der sich Mühe gibt, kann viele miese Erlebnisse mit der Welt der Hörenden wettmachen. Du bist mittlerweile wirklich gut in DGS. Du lernst schnell Sprachen, oder?", fragte er und Daniel zuckte mit den Schultern.

Die Feststellung, dass er manchen Denkzettel wettgemacht hatte, freute und rührte ihn gleichermaßen, doch er wusste nicht, was er dazu sagen sollte, deswegen erwiderte er schlicht: „Ja, bei Sprachen hatte ich nie Probleme. Die Vokabeln setzen sich förmlich in meinem Kopf fest. Bis vor einem halben Jahr dachte ich, ich würde gar nicht studieren. Da meinte ich, ich mache eine Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondenten oder Hotelkaufmann. Ist auch nicht schlecht. Aber tatsächlich freue ich mich mehr, etwas Nützliches zu tun mit meinem Leben. Wenn es auch nur ein wenig ist. Ich mach die Welt damit besser. Das glaube ich zumindest. Vielleicht ist das zu vermessen."

Er hatte gesehen, dass Utas Augen zu strahlen begonnen hatten, und jetzt schüttelte sie den Kopf: „Nein, Daniel. Das ist schon richtig. DGS-Dolmetscher sind dringend nötig. Sie erleichtern uns das Leben gerade bei Behördengängen, wichtigen Arztbesuchen oder im Studium. Seit es diesen Beruf gibt, können Gehörlose an normalen Universitäten studieren. Das ist ein riesiger Schritt, verstehst du?"

Er nickte und wollte etwas erwidern, doch dann ging die Tür zum OP-Bereich auf und Emma wurde herausgeschoben. Sofort waren sowohl ihre Eltern als auch er auf den Beinen. Er bemerkte, dass sie wohl noch weggetreten von der Narkose war. Zumindest verwirrt, denn als ihr Vater ihr leicht über die Wange strich, machte sie kurz die Augen auf und lächelte selig. Dann suchte ihr Blick ihn und als sie ihn sah, seufzte sie und schloss wieder matt die Lider. Es ging ihr gut. Dem Himmel sei Dank. Sein Herz raste vor Erleichterung.

„Daniel?", sagte Dieter und tippte ihn leicht an, weil er immer noch den Blick auf Emma gerichtet hatte.

Doch jetzt flogen seine Augen zu ihrem Vater, der ihn bat, ob er vielleicht übersetzte, was der Professor Dr. Wagner sagte. Er gab an, dass er es versuchen wollte. Aber er könne nicht versprechen, ob ihn seine Fähigkeiten nicht im Stich lassen würden. Uta lächelte ihn nur schulterzuckend an und er nickte. Er erklärte, dass der Mediziner sehr zufrieden mit der OP war. Das Gerät würde perfekt liegen und sende gute Signale an den Hörnerv. Auch sonst erwartete der Arzt keine Komplikationen, da sie die notwendigen Eingriffe ohne Probleme hatten vornehmen können. Emma habe die Narkose gut weggesteckt und nach der Genesungsphase würde sie rechts hören können. Wenn sie sich daran gewöhnt hätte, könnte man links ebenfalls einen Hybriden implantieren. Aber zuerst sollte sie sich von dieser OP erholen. Daniel sah, wie sich Emmas Eltern an den Händen hielten, weil sie jedes der Wörter in sich aufsaugten und bemerkte, dass Utas Augen vor Erleichterung feucht wurden.

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