12 - Ankunft - Teil 3

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Am nächsten Morgen war Emma todmüde. Sie hatte die halbe Nacht wachgelegen und sich weiter Gedanken gemacht. Die Tatsache, dass sie heute ihr Leben aufs Spiel setzte, hatte sie dann doch beunruhigt. Sie meinte, sich zu erinnern, dass Prof. Dr. Wagner das schon erwähnt hatte, aber sie hatte das bewusst verdrängt. Erst die Panikmache von Melina hatte sie ins Wanken gebracht. Deshalb hatte sie sich von einer Seite auf die andere gewälzt. Daniel hatte ausnahmsweise tief und fest geschlummert. Aber sie hatte sich zusammengerissen, um ihn nicht zu wecken.

Als sie dann letztlich eingeschlafen war, hatte sie nicht lange geschlafen, denn plötzlich hatte sie gemerkt, wie angespannt Daniel war. Als sie die Augen aufgeschlagen hatte, hatte sie gesehen, dass er einen Alptraum hatte. Immer wieder hatten seine Lippen ein Nein geformt und sie hatte Mühe gehabt, ihn zu wecken. Das war noch nie vorgekommen, seit sie miteinander das Bett teilten. Es hatte sie beunruhigt, wie klamm seine Haut gewesen war und dass er sie aus weitaufgerissenen Augen angestarrt hatte, als es ihr endlich gelungen war, ihn wachzurütteln. Er war so aufgeregt gewesen, dass er nicht hatte gebärden können. Doch sie hatte auch nicht von seinen Lippen lesen können, weil er keinen Satz zu Ende gebracht hatte. So durcheinander war er gewesen und schließlich war er in Tränen ausgebrochen und sie hatte ihn getröstet, ohne zu wissen, was ihn derart aus der Fassung gebracht hatte. Der Gefühlsausbruch war ihm im Nachhinein gehörig peinlich gewesen. Warum, verstand sie nicht. Aber sie wusste ja, dass er Probleme damit hatte, sich negative Gefühle zuzugestehen.

Jetzt saß er neben ihr im Heck des Wagens ihrer Eltern und hielt ihre Hand so fest, dass es fast schmerzte. Doch nur das verriet seine Aufregung. Äußerlich schien er die Ruhe selbst. Manchmal bewunderte sie sein Pokerface. Wenn er nicht wollte, dass jemand sein Gefühlsleben einschätzte, dann setzte er diese Maske auf. Sie konnte das nicht.

„Krümel, es wird alles gut", murmelte sie und sein Blick schoss zu ihr.

„Ich weiß, Kleines", sagte er, doch sie wusste, dass er log.

Seine Finger, die noch fester zugriffen, erzählten eine andere Geschichte. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und seufzte. Die Tatsache, dass ihn die OP ebenfalls nicht kalt ließ, besänftigte sie irgendwie. Er liebte sie, so oder so, das wusste sie. Aber dass er mit ihr fieberte, beruhigte sie auf eine Art und Weise, die sie nicht beschreiben konnte.

„Bist du da, wenn ich wach werde?", fragte sie und spürte, wie er nickte.

„Ja, Kleines. Ich bin da. Die ganze Zeit", erklärte er und Emma registrierte, dass ihr Vater in den Rückspiegel sah und lächelte.

Der hatte sich wirklich an ihren Freund gewöhnt. Wer hätte das gedacht? Sie hatten die Lautsprache verwendet, weil sie nicht gewollt hatte, dass ihre Eltern dem Gespräch folgen konnten. Doch die Antwort von Daniel hatte ihr Vater wohl mitbekommen, denn jetzt sah er höchstzufrieden zurück auf die Straße.

„Ich hab jetzt keine Angst mehr. Komisch, oder?", erklärte Emma und warf ihrem Liebsten einen Blick zu, dessen Mundwinkel ein sanftes Lächeln umspielte.

„Das ist gut, Kleines", erwiderte er und drückte einen zarten Kuss in ihr Haar.

Sie nickte und lehnte den Kopf zurück an seine Schulter, ehe sie seufzte und die Augen schloss.

****

Seine Gedanken rasten. Vor wenigen Sekunden hatten sie eine schon leicht sedierte Emma in den OP geschoben. Er hatte sich im Hintergrund halten wollen, ihren Eltern die Möglichkeit geben wollen, sich zu verabschieden, aber sie hatte das nicht zugelassen. Sie hatte seinen Namen genannt und ihm gesagt, dass sie, wenn sie wach wurde, gerne seine Augen sehen wollte und er hatte genickt. Dann hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn liebe, und er hatte das erwidert. Doch jetzt drehten seine Gedanken durch. Er hatte ohnehin Probleme heute, Ordnung im Kopf zu halten. Seit dem bescheuerten Traum letzte Nacht, war er völlig durch.

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