05 - Von Trigonometrie und illegalen Dachbesuchen

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Kapitel 5 – »Von Trigonometrie und illegalen Dachbesuchen«


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»It's like I'm stuck in a place that I can't call home
And I ain't circling the block no more
Why do I do this to myself over and over again?

I'm on the way up, I need to be patient
Patient like I've never been«

Patience is a Virtue – Slaves

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Di., 18. September 2012

Moonhee


»Du hast schon wieder vergessen, dass Punkt vor Strich gilt. Und hier bei den Graphen hast du beim Zeichnen Cosinus mit Sinus verwechselt.«

Frustriert pustete ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während Jimin mir inzwischen schon mit leicht angesäuerter Miene die Fehler bei meinen gemachten Aufgaben erklärte. Seit einer Stunde versuchte er mich vergeblich auf den richtigen Pfad der Algebra und Trigonometrie zu bringen. Aber egal wie vielen Gleichungen und Winkelfunktionen ich mich stellte – die Lösungen wollten einfach nicht richtig sein. Mein Kopf wehrte sich vehement dagegen, neue Informationen in sich aufzunehmen. Kein Wunder fühlte sich Jimin inzwischen so, als redete er mit einer Wand.

Dies war schon unsere dritte Nachhilfestunde in der Bibliothek der Korean Arts High School. Auf schwarzen metallenen Regalen um uns reihten sich Bücher um Bücher, die sich in ihren farbigen Einbänden von den orangenen Wänden mit den großen Fenstern zum Flur und zur Straße hin abhoben. Man sah hier nicht viele andere Schüler auf den Gängen vorbeilaufen oder gar an den runden Tischen in der Bücherei sitzen. Das lag wohl daran, dass die meisten sich hier an dieser Schule nach dem Unterricht eher in den zahlreichen Tanzsälen, Studios oder Musikräumen in den unteren Stockwerken aufhielten.

Jimin hatte sehr schnell von meinen Eltern den Job als Nachhilfelehrer für mich bekommen. Sie waren dafür sogar extra (und zu meinem großen Leidwesen) nochmal zur Schule gefahren, um meinen Jahrgangsgenossen einmal persönlich unter die Lupe zu nehmen. Zunächst schienen sie nicht sonderlich begeistert darüber gewesen zu sein, dass ein Junge mir bei Mathe helfen sollte, doch Jimin hatte sie mit seinem seligen Lächeln und seiner sanften Stimme ziemlich schnell von sich überzeugt.

Ich wollte mir die Peinlichkeit eines männlichen Besuches zuhause ersparen und bat ihn deshalb, die Stunden mit mir nach dem Unterricht in der Schule auszurichten. Jimin in unserer Wohnung wäre ein gefundenes Fressen für meine beiden Schwestern gewesen und so ersparte ich mir eine Menge nerviger dummer Sprüche und Anspielungen.

Er beobachtete mich aufmerksam dabei, wie ich mehr schlecht als recht und obendrauf völlig unmotiviert den von mir gezeichneten Graphen auf dem Blatt vor mir anstarrte, als hätte ich ihn nie zuvor gesehen. Der Rest meines Gehirns hatte sich für diesen Tag verabschiedet und war schon längst zuhause in meinem Bett angekommen. Jegliche Motivation zum Lernen fehlte – auch wenn ich es dank der neuen Schule und des anderen Lehrplans wirklich dringend nötig hatte.

»So wird das nichts«, stöhnte Jimin und riss mir schließlich das Blatt unter der Nase weg, um selbst darauf herumzukritzeln. »Siehst du, du musst beim Cosinus an der Amplitude ansetzen, deswegen verschiebt sich das hier um –«

»Jimin-ah!«

Die tiefe und dumpf erklingende Stimme ließ uns beide zusammenzucken und reflexartig die Köpfe zur Fensterfront zum Flur hin drehen. Dort stand ein Typ, die Hände und die Stirn gegen die Scheibe gepresst, so dass ihm die Cap auf seinen braunen Haaren fast vom Kopf fiel. Als er sah, dass Jimin ihn bemerkt hatte, begann er mit einem kastenartigen Lächeln an die Scheibe zu klopfen und zu winken, ehe er sich schwungvoll auf den Weg zur Eingangstür machte.

serendipity - ͏after all this time...Where stories live. Discover now