01 - Zurück in die Hölle

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Kapitel 1 – »Zurück in die Hölle«


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»Wherever I go, wherever I go
I hear your voice on a broken radio
Wherever I go, wherever I go
I know we'll burn like a rocket's afterglow
Don't ever let go, don't ever let go
Are we destined to hit the ground below?
Don't ever let go, don't ever let go
Are we just watching the final chapter close?«

Afraid of Heights – Billy Talent

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Sa., 6. Januar 2018

Moonhee

Die Flugzeugturbinen ließen den Innenraum vibrieren und erzeugten ein dauerhaftes Summen, das sich so langsam in meinen Ohren festsetzte. Nicht einmal die Foo Fighters konnten das in meinen Kopfhörern mit Everlong übertönen. Müde ließ ich meinen Kopf gegen die Plastikverkleidung der Deckwände sinken und schloss für einen Moment die Augen.

Viel zu oft hatte ich in den letzten Stunden die Stöpsel herausnehmen müssen, weil das seltsame englische Hippie-Pärchen neben mir ihre furchtbaren, aus einem Touristenhandbuch angelernten Koreanisch-Kenntnisse an mir austesten wollten. Und viel zu oft hatte ich bei dem ganzen Spiel auch noch freundlicherweise mitgespielt. Nun schienen sie ein Glück endlich genug zu haben und ließen mich in Ruhe in Selbstmitleid versinken. Ob ich wohl die einzige in diesem Flugzeug war, die der Landung nicht freudig entgegenblickte?

Ich öffnete die Augen wieder und warf einen Blick aus dem von Eiskristallen gezierten Fenster. Ob das da unten schon China war? Gut möglich, immerhin saß ich seit dem Abflug in Heathrow schon fast sieben Stunden auf diesem viel zu engen Platz in der Economy Class. Doch lieber hier eingequetscht als bald wieder zuhause zu sein. In unaufhaltsamen Flashbacks kamen mir wieder die alten muffigen Vorhänge in den Sinn, die Aussicht auf die gegenüberliegende Backsteinhauswand aus meinem Zimmer, der einladende Geruch von Eommas Japchae, Yunhees Geschrei, wenn Appa sie zum Erledigen ihrer Hausaufgaben gezwungen hatte und der immerhin nicht allzu weite Weg zur Schule... All das schien inzwischen so weit zurück zu liegen, dass es mir fast vorkam, als kehrte ich als alte Frau heim. Dabei war ich (mal ganz koreanisch betrachtet) mit dem Jahreswechsel gerade mal 24 Jahre alt geworden.

Ich wusste, dass mich nichts von diesen Erinnerungen erwarten würde, wenn ich in ein paar Stunden wieder bei meiner Familie ankam. Dass sie dank Sohee vor ein paar Monaten eine neue Bleibe hatten beziehen können. Eine schöne Wohnung im 16. Stock in Gangnam. Dieses Mal mit einer Aussicht über die Stadt und nicht auf Backsteinmauern. Yun hatte mir bereits Bilder geschickt und begeistert von ihrem vergleichsweise riesigen neuen Zimmer geschwärmt.

Dass Sohee mir eine eigene kleine Wohnung besorgen wollte, bewies nur, wie gut sie mich kannte. Auch nach meinem lautstarken Protest am Telefon war sie nicht davon abzubringen gewesen. Zwar konnte ich die Erleichterung nicht leugnen, dass ich dank ihr nicht bald nicht mehr bei meinen Eltern wohnen musste, doch dazu mischte sich dieses verdammte schlechte Gewissen. Wenn ich eins nicht wollte, dann mich von meiner großen Schwester finanzieren lassen. Schon gar nicht mit dauerhaften Zahlungen für die hohe Miete in Seoul. Und auch, wenn es von ihr ganz sicher nicht so gemeint war – es erschien mir nur wie ein weiterer Tritt in die Magengegend.

»Fotografie«, klang das Schnauben meines Vaters erneut in meinen Ohren. »Und dann auch noch im Ausland? Was willst du denn damit erreichen? Irgendwann Hochzeitsbildchen von anderen Paaren schießen?«

serendipity - ͏after all this time...Donde viven las historias. Descúbrelo ahora