Kapitel 29

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In Gedanken versunken stehe ich vor dem Spiegel, der in dem Gästezimmer hängt und kämme mir das braune Haar, welches mir nass über die Schultern fällt. Ein leises Klopfen an meiner Tür lässt mich innehalten. Sofort darauf öffnet sich die Tür einen Spalt weit und Barbara steckt ihren Kopf hinein. „Kann ich reinkommen?", erkundigt sie sich bei mir.

„Natürlich", erwidere ich nickend und lasse meinen Kamm wieder in meiner Kulturtasche verschwinden, die Barbara mir von zu Hause mitgebracht hat. Da es bereits spät am Abend ist, habe ich nach der langen, erfrischenden Dusche direkt die bequemsten Sachen angezogen, die ich unter meinen Klamotten gefunden habe.

Mit einer Tasse Tee betritt Barbara den Raum und schließt die Tür hinter sich, während ich mich auf die Kante des großen Himmelbettes setze und sie neugierig ansehe.

„Ich habe dir einen Beruhigungstee gemacht", teilt sie mir mit und stellt den noch heißen Tee auf meinem Nachtschrank ab. Dabei behält sie ihre braunen Augen unentwegt auf mich gerichtet. Ihr eindringlicher Blick verrät mir, dass Barbara etwas auf der Seele brennt.

„Danke", sage ich kleinlaut und wende meinen Blick von Barbara ab.

„Ich habe gestern Nacht mitgekriegt, dass du einen Alptraum gehabt hast", teilt Barbara mir mit und nähert sich meinem Bett. Nervös zupfe ich an der Schleife meiner Jogginghose herum, als die Frau mittleren Alters sich zu mir auf die Bettkante setzt. Dabei spüre ich, wie sich ihre braunen Augen weiterhin in mein Gesicht brennen.

Ich greife nach der Tasse und rühre mit dem Löffel darin herum. Vorsichtig führe ich die Tasse an meine Lippen und trinke einen kleinen Schluck des Tees. Der Tee ist noch heiß, jedoch nicht mehr so heiß, dass ich mich daran verbrenne. Ich spüre, wie die warme Flüssigkeit meine Speiseröhre hinabläuft und schließlich in meinem Magen angelangt. Dabei meide ich es weiterhin Barbaras Blick zu erwidern.

„Dass du mir ausweichst sehe ich als Zeichen, dass du weißt, worauf ich hinaus möchte", stellt Barbara kurzerhand fest.

Sie kennt mich, seit ich auf die Welt gekommen bin. Ich glaube manchmal sogar, dass sie mich besser kennt als meine eigene Mutter. Barbara ist immer die erste Person gewesen, der ich erzählt habe, wenn etwas in meinem Leben passiert ist.

Wenn ich einen Jungen kennengelernt habe, wenn ich auf ein Date gegangen bin, wenn ich jemanden geküsst habe. Barbara wusste immer über alles Bescheid, manchmal sogar weit bevor ich es meiner besten Freundin Kat erzählt habe.

Kat. Mein Magen krampft sich zusammen. Ich frage mich, wo sie ist und was sie macht. Ob sie mich genauso vermisst, wie ich sie?

Das letzte Mal, dass wir uns gesehen habe, ist auf Nicks Geburtstagsfeier gewesen. Wie kann es sein, dass die Zeit einerseits so schnell vergeht und sich andererseits wie eine halbe Ewigkeit anfühlt?

„Gibt es etwas, dass du mir erzählen möchtest?", fragt die Frau mittleren Alters geradeheraus. Ich verschlucke mich an dem heißen Tee und beginne zu hüsteln. Sofort stelle ich die Tasse wieder auf dem Nachtschrank ab und sehe Barbara mit geweiteten Augen an.

„Ich..", setze ich an und zupfe an meinen Nägeln. „Nein"

„Na schön", erwidert Barbara und zuckt mit den Schultern. Dabei entgeht mir der enttäuschte Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht, als sie sich von meinem Bett erhebt.

„Warte", seufze ich und starre ihren schmalen Rücken an. Mit erhobenen Augenbrauen dreht Barbara sich wieder zu mir um. „Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr so viel erzähle, wie damals.."

„Du wirst eben erwachsen", stellt Barbara fest und lächelt mich vorsichtig an. „Ich tue mich nur verdammt schwer damit, das zu akzeptieren"

„Du wirst trotzdem immer Teil meines Lebens sein. Du bist wie eine zweite Mutter für mich", teile ich der Frau mittleren Alters mit.

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