Kapitel 7

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⚠️ Anmerkung ⚠️
Dieses Kapitel beinhaltet das Thema selbstverletzendes Verhalten.

„Hat Emilia sich denn annähernd anständig verhalten?", erkundigt mein Vater sich bei Carlos, als wir am selben Abend gemeinsam am Tisch sitzen und zu Abend essen. Es stört mich, dass er von mir redet, als sei ich nicht anwesend. Außerdem stellt er mich dar, als sei ich ein impulsives, kleines Kind, welches sich nicht zu benehmen weiß.

„Falls du meinst, dass ich Carlos weder gebissen noch getreten habe und mich artig angeschnallt habe beim Autofahren.. ja, das habe ich", sage ich gereizt und stochere mit der Gabel in meinem Essen herum, wobei ich mir vorstelle, dass die Kartoffeln das Gesicht meines Vaters haben.

Wütend legt mein Vater seine Gabel ab und sieht mich warnend über den Tisch hinweg an. „Ich rede genau von solchen unangemessenen, vorlauten Kommentaren", erwidert mein Vater und ballt seine Hände zu Fäusten.

„Dann hör auf von mir zu reden, als sei ich nicht da", erwidere ich mit dünner Stimme.

Mir ist egal, was Carlos von mir hält. Mein Vater hat außerdem nichts zu befürchten, denn, ganz gleich wie schlecht ich mich benehme - sein Geschäft mit Carlos ist ohnehin sicher. Ich diene dabei lediglich als Carlos Versicherung, die ihn vor den betrügerischen Machenschaften meines Vaters bewahren soll. Mein Vater sieht aus, als würde er jeden Moment von seinem Platz aufspringen und mir an die Gurgel gehen. Ob er mich genauso verprügeln würde, wie er meine Mutter verprügelt? Diese sitzt eingeschüchtert neben meinem Vater und traut sich offensichtlich nicht den Mund aufzumachen.

Carlos, der mir gegenüber sitzt, nimmt einen großen Schluck aus seinem Weinglas, ehe er meinen Vater ansieht. „Emilia hat sich gut benommen", versichert Carlos ihm. „Wir haben einen Ausflug in eine Kunstgalerie gemacht und uns die Gemälde angesehen. Eines davon hat ihr so gut gefallen, dass ich es ihr gekauft habe" Er sagt es so, als sei es eine Belohnung für mein gutes Verhalten. Als sei ich ein Schoßhündchen, dass man für eine erfolgreiche Erziehung belohnen müsste.

Der angespannte Ausdruck weicht meinem Vater aus dem Gesicht und er wirkt sichtlich überrascht, dass Carlos ihm nicht genau das Gegenteil zu berichten hat. „Oh wirklich?", erwidert mein Vater und greift nach seinem Weinglas, um einen Schluck daraus zu trinken. „Das hört sich doch vielversprechend an" Der siegessichere Ausdruck in seinem gelifteten Gesicht widert mich an.

Am liebsten würde ich etwas sagen, doch ich verkneife es mir, um meiner unschuldigen Mutter die dadurch drohenden Konsequenzen zu ersparen.

„Möchtest du es sehen?", frage ich meinen Vater, um mich in das Gespräch einzubringen, doch er winkt ab.

„Wie sieht es eigentlich mit der Planung für die Hochzeit aus?", möchte er stattdessen von Carlos wissen, der sein leeres Weinglas auf den Tisch stellt. Enttäuscht wende ich den Blick ab und schiebe meinen Teller von mir weg, da mir nun endgültig der Appetit vergangen ist.

„Ich habe für morgen Nachmittag bereits einen Termin mit der Planerin ausgemacht", erwidert Carlos. Es ist wirklich unfassbar, wie offenbar alles, was auch mich betrifft, stets ohne mich entschieden wird.

Als kleines Mädchen habe ich stundenlang damit verbracht mir meine Traumhochzeit auszumalen. Ich habe davon geträumt, dass ich ein wunderschönes mit Spitze besetztes weißes Kleid trage, welches eine lange Schleppe besitzt. Ich habe mir vorgestellt, wie mein Vater mich zum Altar führt und wie glücklich ich sein werde. Und jetzt soll ich nicht einmal an der Planung beteiligt sein?

„Was hast du jetzt wieder auszusetzen?", will mein Vater wissen, als er meinen unzufriedenen Gesichtsausdruck bemerkt.

Tränen steigen mir in die Augen. „Was ich auszusetzen habe?", frage ich und versuche krampfhaft nicht zu weinen. Kopfschüttelnd schiebe ich meinen Stuhl zurück und erhebe mich vom Tisch.

Ich kann es nicht länger zurückhalten.

„Setz dich zurück an den Tisch", fordert nicht mein Vater, sondern meine Mutter mich auf. Fassungslos sehe ich sie an.

„Bist du etwa auf deren Seite?", möchte ich wissen. Dass nun ausgerechnet die Person mir in den Rücken fällt, für die ich mich in erster Linie aufopfere, trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht.

„Ich stehe auf gar keiner Seite", versichert sie mir und schüttelt mit dem Kopf. „Aber das alles ist für das Wohlergehen dieser Familie, Liebes", fügt sie mit ruhiger Stimme hinzu und greift nach der geballten Faust meines Vaters, der sich wieder kaum im Zaum halten kann.

Das Wohlergehen dieser Familie?

Es sind nicht ihre eigenen Worte, sie spricht sie lediglich nach. Meine Mutter ist feige. Sie hat Angst vor ihm und dem, was er imstande ist zu tun, wenn es nicht nach seiner Nase läuft.

„Das Wohlergehen dieser Familie", wiederhole ich ihre Worte. Ich schnaube verächtlich, denn als ich es nochmal selbst ausspreche, klingt es umso lächerlicher. Die Luft hier drin wirkt plötzlich so stickig, dass ich das Gefühl bekomme, kaum atmen zu können. „Lieber sterbe ich, als euch meine Familie zu nennen!", sage ich aufgebracht. Blitzschnell greife ich nach dem Fleischmesser, welches Barbara bei dem Braten hat liegen lassen. Ich weiß selber nicht, was plötzlich in mich gefahren ist. Ich kann nicht mehr klar denken und ich will einfach, dass dieser schreckliche Alptraum endlich endet.

Ich kann einfach nicht mehr.

„Emilia", sagt meine Mutter panisch und möchte sich von ihrem Stuhl erheben, doch mein Vater hält sie auf.

Ich schiebe den Ärmel meines weißen Boleros nach oben und entblöße meinen noch immer von Nicks Griffen verfärbten Unterarm, an den ich senkrecht die lange, scharfe Messerklinge halte. Mein Atem ist hektisch und Tränen strömen mir unaufhaltsam über das Gesicht.

„Ist dir deine Familie wirklich so egal?!", brüllt mein Vater nun. Vorwurfsvoll funkelt er mich an, statt mich zu bitten, das Messer wegzulegen. Ich bin ihm egal.

„Ist deine Tochter dir so egal, dass du sie sogar lieber sterben sehen würdest, als dass du deine scheiß Firma verlierst?", entgegne ich und spüre, wie der kalte Stahl meine Haut berührt.

Meine Mutter weint bitterlich, während mein Vater sich von seinem Platz erhebt. Carlos deutet meinem Vater mit einer Handbewegung, sich mir nicht zu nähern. Stattdessen erhebt er sich selbst.

„Emilia", lenkt Carlos meine Aufmerksamkeit schließlich auf sich. Mit erhobenen Händen kommt er langsam auf mich zu.

Panisch weiche ich zurück. „Komm mir nicht zu nahe, Carlos", warne ich den jungen Mann und schüttele mit dem Kopf. Ich will ihn nicht in meiner Nähe haben, denn Carlos ist doch überhaupt erst Schuld an meiner misslichen Lage.

„Du wirst dich nicht selbst verletzen", stellt er überzeugt fest und kommt einen weiteren Schritt in meine Richtung.

„Stell mich nicht auf die Probe", erwidere ich und umklammere den Messergriff fester.

„Na los, tu es", fordert Carlos mich auf und zuckt gleichgültig mit den Schultern. Seine Augen mustern mich kühl, während er sich mir wieder um einen Schritt nähert, sodass wir nur noch eine Armlänge voneinander entfernt sind. „Na los!!", brüllt er.

Ich kneife meine Augen zusammen und will mich dazu überwinden, es zu tun, doch bevor ich den endgültigen Entschluss überhaupt fassen kann, packt Carlos die Hand, mit der ich das Messer festhalte so fest, dass ich diese öffne. Das Messer gleitet mir aus der Hand und fällt schließlich zu Boden, wo Carlos es mit seinem Fuß aus meiner Reichweite kickt.

„Ich hasse dich", schluchze ich und sinke auf den Boden, da meine Knie unter meinem Gewicht nachgeben. „Ich hasse euch alle.. jeden einzelnen von euch"

Carlos hockt sich zu mir auf den Boden und hält vor meinem Ohr inne. „Wag es nie wieder, dir etwas antun zu wollen", zischt er wütend, ehe er meine Hand loslässt und sich wieder erhebt. Er kehrt mir den Rücken zu, um sich zurück an den Esstisch zu setzen, als sei nichts gewesen, während ich zusammengekauert auf dem Boden sitzen bleibe.

„Emilia", sagt meine Mutter mit weinerlicher Stimme, doch ich stehe vom Boden auf und stürme nach oben in mein Zimmer.

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