Kapitel 22

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,,Tut mir leid, dass es so spät geworden ist", entschuldigt sich Carlos, als er mich am Abend nach Hause bringt. Die Rückfahrt verlief deutlich schweigsamer als die Hinfahrt. Noch immer geht mir nicht aus dem Kopf, dass Carlos versucht hat, mich zu küssen. Auch Carlos hat nicht versucht ein Gespräch zu führen.

,,Bleiben Sie doch noch zum Essen", schlägt mein Vater Carlos wie üblich vor.

,,Vielen Dank für das Angebot, aber für heute Abend verzichte ich besser", erwidert Carlos, wobei er es meidet mich länger als nötig anzusehen. Meinem Vater scheint die geknickte Stimmung zwischen uns nicht zu entgehen und sofort ringen bei ihm sämtliche Alarmglocken.

,,Hat meine Tochter sich unangemessen verhalten?", will er sofort wissen. Wütend zieht er die Augenbrauen zusammen und funkelt mich aus seinen zu schmalen Schlitzen geformten Augen an. Mittlerweile überrascht es mich schon gar nicht mehr, dass er mir nicht vertraut.

„Keineswegs", antwortet Carlos sowohl zu meiner Besänftigung als auch zu der meines Vaters und schüttelt mit dem Kopf. ,,Es ist nur schon recht spät und ich habe morgen früh ein wichtiges Meeting mit einem ehemaligen Geschäftspartner meines Vaters. Sie wissen ja, wie das dann so ist.."

„In der Tat", erwidert der Mann mittleren Alters mit den grau melierten Haaren und klopft Carlos väterlich auf die Schulter. Dabei erkenne ich deutlich, wie Carlos seinen Kiefer anspannt, die Geste meines Vaters jedoch schweigend über sich ergehen lässt.

„Ich würde allerdings gerne noch eine Sache mit Ihnen besprechen, bevor ich gehe", wechselt Carlos plötzlich das Thema, wobei er mich kurz aus dem Winkel seiner Augen mustert. Sofort spüre ich, wie das Blut in meinen Adern gefriert. Carlos hat es zwar nicht laut ausgesprochen, jedoch scheint es bei seinem Anliegen auch um mich zu gehen.

„Natürlich", erwidert mein Vater perplex und bittet Carlos einzutreten.

„Worum geht es?", platzt es aus mir heraus, noch bevor ich meine Neugier zügeln kann. Während mein Vater mich wütend anfunkelt, meidet Carlos es weiterhin mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Es macht mich wütend und zugegebenermaßen verletzt es mich sogar, dass Carlos mich nicht mit einbezieht. „Carlos?"

„Das soll nicht deine Sorge sein", antwortet dieser kühl.

„Du solltest lernen, wann es sich für dich gehört den Mund zu halten, Emilia", weist mein Vater mich zurecht, ehe er sich an den jungen Mann richtet, den ich in wenigen Wochen heiraten muss, mich dennoch behandelt, als sei ich ein nerviges, kleines Mädchen, dem er alles vorenthalten kann, wenn ihm danach ist. Dabei vergisst Carlos jedoch, dass ich Gefühle habe, die er mit Händen und Füßen tritt.

Genervt streife ich mir die Sandalen von den Füßen und pfeffere sie in das Schuhregal. „Gute Nacht", sage ich, wobei ich weder Carlos noch meinen Vater eines Blickes würdige, ehe ich die Treppe nach oben in mein Zimmer laufe, wo ich die Tür laut hinter mir ins Schloss fallen lasse. Tränen bilden sich in den Winkeln meiner Augen. Ich nehme einen tiefen Atemzug durch die Nase, ehe ich meine Augen schließe.

„Wag es ja nicht", flüstere ich mir selbst zu. Es macht mich wahnsinnig, dass ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle habe. Doch noch wahnsinniger macht mich die Tatsache, dass Carlos der Auslöser für diese Gefühle ist. Ist Carlos sich dieser Macht, die er auf mich hat, überhaupt bewusst? In einem Moment behandelt er mich, als sei ich Luft, im nächsten Moment will er mich küssen, nur um mich danach wieder wie Luft zu behandeln.

Ein Schluchzen entweicht meiner Kehle und ich spüre, wie eine Träne sich aus meinem Augenwinkel löst und mir fast unerträglich langsam die Wange hinabläuft. Kurz darauf spüre ich weitere Tränen über mein Gesicht laufen, ehe sie auf den Teppich unter meinen nackten Füßen tropfen.

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