Kapitel 47

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Schweigend stehe ich vor dem Spiegel und streiche die schwarze Bluse, die ich trage, glatt. Heute ist der Tag gekommen, an dem mein Vater sich vor dem Gericht für all seine Taten rechtfertigen muss.

Ich bin aufgeregt, denn obwohl ich meinem Vater nichts sehnlicher wünsche, als dass er in der Hölle verrottet, fühlt es sich seltsam an, ihm heute ein letztes Mal von Angesicht zu Angesicht begegnen zu müssen und gegen ihn auszusagen.

Er wird vermutlich alles tun, um mich davon zu überzeugen, wie leid es ihm tut. Doch ich habe mir geschworen, stark zu bleiben. Für mich, für meine Mutter, für Barbara und für Carlos. Mein Vater wird sich nicht wie sonst aus der Sache rausreden können.

Er hat verloren. Endgültig.

Und dennoch habe ich auch Angst, dass er für unschuldig befunden wird.

Vor lauter Grübeleien und dem Sausen in meinen Ohren überhöre ich, dass es an der Tür geklopft hat und Carlos den Raum betreten hat. Er trägt einen schwarzen Anzug und seine braunen Locken sind ordentlich nach hinten gestylt.

„Du siehst besorgt aus", stellt Carlos fest, als er unmittelbar hinter mir stehen bleibt und mich aus seinen grünen Augen heraus durch den Spiegel ansieht.

„Ich bin aufgeregt", gestehe ich Carlos und wende den Blick ab. Sanft schlingt der junge Mann seinen Arm um meine Taille und zieht mich mit dem Rücken an seine Brust.

„Sieh mich an", fordert Carlos mich auf. Wenn auch zögerlich drehe ich den Kopf in seine Richtung, um ihm in die Augen zu blicken. Er haucht mir einen Kuss auf die Stirn. „Alles wird gut. Du wirst das super machen"

„Danke", flüstere ich und spüre, wie sich mein aufgeregtes Herz allmählich wieder beruhigt. Auch meine Atmung wird wieder ruhiger und gleichmäßiger, der Druck auf meiner Brust hat sich fast vollständig aufgelöst.

All der Stress der vergangenen Wochen hat sich nicht nur psychisch, sondern auch körperlich auf mich ausgewirkt. In letzter Zeit verspüre ich immerzu dieses Ziehen in meiner Magengegend und obwohl ich genug schlafe, fühle ich mich ausgelaugt und müde.

„Worüber denkst du nach?", fragt Carlos, der bemerkt zu haben scheint, dass ich wieder mit meinen Gedanken abgedriftet bin. Noch immer hält er mich umschlungen in seinen Armen und mustert mein Gesicht besorgt.

Ich lächle. „Nichts, mir geht es gut. Ich bin bloß froh, wenn wir heute Abend zu Hause sind", teile ich ihm mit.

„Zu Hause", wiederholt er meine Worte und beginnt zu grinsen. „Das ist das erste Mal, dass du das so sagst"

„Na ja, die letzten Monate habe ich hier gewohnt", erwidere ich und zucke mit den Schultern, ehe meine Lippen sich zu einem Lächeln formen. „Außerdem werden wir in naher Zukunft heiraten. Also sollte ich mich schonmal daran gewöhnen dieses Haus mein Zuhause zu nennen, meinst du nicht?"

Carlos beugt sich zu meinem Gesicht vor, um die Lücke zwischen uns zu schließen und mir einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. Dabei schlingt er seinen Arm noch ein wenig fester um meine Taille und drückt mich an sich.

„Ich habe überlegt, dass wir uns ein anderes Haus kaufen, sobald wir verheiratet sind", teilt Carlos mir seine Pläne mit, als er sich wieder von meinen Lippen gelöst hat.

„Aber das hier ist dein Zuhause. Hier bist du mit deiner Mutter aufgewachsen..", sage ich überrascht und drehe mich zu ihm um, sodass wir uns nun unmittelbar gegenüber stehen.

„Natürlich stecken in diesen Mauern auch Erinnerungen an meine Mutter. Aber hier ist vor allem in den letzten beiden Monaten so viel Schlimmes passiert. Ich möchte all das hinter uns lassen", erklärt Carlos mir seine Beweggründe und greift nach meinem Gesicht, um mir mit dem Daumen über die Wange zu streicheln. „Ich will neue, schönere Erinnerungen mit dir schaffen. Und das kann ich nicht an einem Ort, wo wir beide fast gestorben wären. Außerdem bist du mein Zuhause, belleza"

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