Kapitel 9

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Am nächsten Tag geht es mir zwar schon etwas besser, doch der Übergriff meines Vaters ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Zwei große, dunkelblaue Flecken zieren meine Rippen, die leicht ziehen, wenn ich zu tief einatme. Auch mein Wangenknochen ist bläulich verfärbt und leicht geschwollen.

Ein leises Klopfen an meiner Tür lässt mich zusammenzucken.

„Einen Moment!", rufe ich.

Da ich nur in Unterwäsche bekleidet vor dem Spiegel stehe, schnappe ich mir meinen Morgenmantel und binde ihn mir um. Daraufhin laufe ich zur Tür, welche ich öffne und sofort erschrocken die Luft einziehe, als ich in das Gesicht meines Vaters blicke. Er mustert mich kurz, wobei sein Blick an meinem Gesicht hängen bleibt.

„Carlos wird dich am Nachmittag abholen, um mit dir nach einem Brautkleid zu gucken", teilt der Mann mittleren Alters mir mit, ehe er mit seinem Zeigefinger auf meinen seinetwegen blau verfärbten Wangenknochen deutet. „Deck das ab", fordert er mich streng auf. „Auch in meiner Gegenwart"

Offensichtlich kann mein Vater sich nicht einmal selbst ansehen, was er mir angetan hat, denn er meidet es, mir länger als nötig ins Gesicht zu schauen.

„Okay", flüstere ich mit belegter Stimme. Erst jetzt merke ich, wie angespannt ich dastehe und wie meine Finger sich in den dünnen Stoff meines Morgenmantels krallen. Ich wage nicht einmal den Gedanken daran, meinem Vater zu widersprechen.

„Ich erwarte von dir, dass du dich angemessen benimmst. Du wirst Carlos nicht widersprechen und tun, was er sagt. Hast du verstanden?" Die Stimme meines Vaters wirkt so einschüchternd auf mich, dass ich nicht fähig bin, etwas zu sagen. Stattdessen senke ich nickend meinen Blick und kaue mir nervös auf der Unterlippe herum. Das Herz hämmert mir gegen die pochenden Rippen, während ich bloß darauf warte, dass er geht.

Ich habe sämtlichen Respekt vor diesem Mann verloren. Neben der Angst, die ich seit gestern vor ihm habe, ist Abneigung und Hass alles, was ich noch für ihn empfinde. „In wenigen Minuten essen wir zu Mittag, ich erwarte dich heute wieder unten bei Tisch", teilt der Mann mit dem grau melierten Haar mir mit, ehe er sich von mir abwendet und geht.

Einen Augenblick stehe ich wie angewurzelt da, ehe meine angespannten Muskeln sich allmählich lockern. Daraufhin schließe ich leise die Tür.

Sofort setze ich mich an meinen Schminktisch und schnappe mir meinen Concealer, von dem ich eine dicke Schicht unterhalb meines linken Auges auftrage, die ich mit einem Schwamm verblende. Nach unzähligen Schichten sehe ich so aus, als wäre nie etwas passiert. Doch anders als die Fissur in meinem Gesicht lässt sich das, was es psychisch mit mir angerichtet hat, nicht so einfach abdecken.

Es kostet mich viel Überwindung, als ich eine gute Viertelstunde später fertig angezogen und geschminkt das Esszimmer betrete, in welchem meine Mutter und mein Vater bereits am Tisch sitzen und schweigend die Suppe essen, die Barbara gekocht hat.

Mein Blick streift den meiner Mutter und für einen kurzen Moment glaube ich in ihren Augen einen besorgten Ausdruck zu erkennen. Jedoch wendet sie ihn bevor ich ihn wirklich deuten kann, auch schon wieder von mir ab und richtet ihn stattdessen auf ihren Teller. Meine Mutter scheint zu ahnen, dass etwas passiert sein muss, doch wie immer schweigt sie.

Mit zittrigen Knien setze ich mich gegenüber von meinem Vater an den Tisch und streiche nervös den bestickten dunklen Stoff meines Sommerkleides glatt, ehe ich schwer schlucke. Mit zittrigen Fingern greife ich nach der Kelle, um mir die Suppe auf den Teller zu füllen, den Barbara für mich gedeckt hat.

„Du solltest ausreichend essen", sagt mein Vater. Der bloße Klang seiner Stimme lässt mich erstarren und ich umklammere die Kelle fest mit meinen Fingern. „Das wird ein langer, anstrengender Tag"

Obwohl sich mir der Magen allein durch seine pure Anwesenheit umdreht und ich gar keinen Appetit verspüre, nicke ich und fülle mir noch eine weitere Kelle voll auf den Teller. Dabei würdige ich meinem Vater keines Blickes und beginne schweigend die Suppe zu essen. Eigentlich würge ich sie viel mehr herunter. Noch nie hat mir Barbaras Suppe, die ich sonst immer gerne gegessen habe, weniger geschmeckt, als heute.

„Herr Machwitz", macht Barbara, die soeben das Esszimmer betreten hat, meinen Vater auf sich aufmerksam. „Ein Anruf aus der Firma für Sie" Mit gesenktem Blick hält sie ihm das Telefon hin. Mit einem genervten Seufzen reißt er es ihr aus der Hand.

„Ja?", blafft er in den Hörer. „Okay. Ja. Nein. Nein, auf gar keinen Fall.. was? Das kann doch nicht wahr sein!" Wütend schabt er seinen Stuhl über den teuren Parkettboden, um sich von seinem Platz zu erheben. „Kriegt ihr denn wirklich überhaupt GAR NICHTS selbstständig auf die Reihe?!" Mit dem Telefon am Ohr läuft er aus dem Esszimmer, sodass meine Mutter und ich nun alleine sind.

Einen Moment blicken meine Mutter und ich meinem Vater schweigend hinterher, ehe sie sich leicht nach vorne beugt und mich mit weit aufgerissenen Augen ansieht. „Du trägst heute Concealer", stellt sie fest, woraufhin ich bloß nicke. „Du trägst sonst kaum Make-Up"

Soll ich ihr sagen, was gestern Abend passiert ist? Einerseits würde ich gerne mit jemandem darüber reden, doch andererseits wird es das, was passiert ist, auch nicht ungeschehen machen. „Mir war danach", erwidere ich also und zucke mit den Schultern.

„Emilia.. ich", setzt meine Mutter an, doch bevor sie ihren Satz beenden kann, betritt auch schon mein noch immer sichtlich genervter Vater das Esszimmer und knallt das Telefon neben seinen Teller, was sowohl mich als auch meine Mutter erschrocken zusammenzucken lässt. Ich spüre die Hitze, die in meinem Körper aufsteigt. Daraufhin setzt er sich zurück zu uns an den Tisch. Sofort verstummt meine Mutter und tut so, als hätte sie nie etwas gesagt. Dass sie in ihrem eigenen Haus Angst haben muss zu sprechen, ist nicht richtig.

„Dieser Manager ist der erste Mitarbeiter, den ich sofort entlasse, wenn es für die Firma nächsten Monat wieder bergauf geht", seufzt mein Vater und massiert sich die offensichtlich pochenden Schläfen. Er sagt das so beiläufig. Während ich nächsten Monat irgendwo in Spanien mit einem fremden Mann eine Ehe führen muss, die ich niemals eingehen wollte, redet er davon, einen alleinerziehenden Mann mit drei Kindern zu entlassen, weil die durch meinen Vater fabrizierten Probleme weitere Probleme verursachen, die selbst der beste Manager nicht mit einem Schnippen seiner Finger beheben kann.

Am liebsten würde ich ihm sagen, was für ein ignorantes Arschloch er ist, aber aus Angst vor den Konsequenzen halte ich mich zurück. Doch eines Tages, und davon bin ich überzeugt, wird er die Früchte des Verderbens ernten, die er selbst gesät hat.

Ich sehne den Tag herbei, an dem ich mich aus meinem Scherbenhaufen erhebe und stärker sein werde als jemals zuvor. Das wird der Tag sein, an dem ich seine durch Intrigen und Egoismus aufgebaute Traumwelt eigenhändig zerstören werde. Ich werde es genießen, ihm bei seinem Untergang zuzusehen. Genau, wie er es genießt, mir bei meinem zuzusehen.

Doch was mein Vater nicht weiß ist, dass er sich sein eigenes Grab schaufelt.

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