Kapitel 14

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Ausgiebig betrachtet Carlos meinen Körper, ehe seine grünen Augen an den dunklen Flecken an meinen Rippen hängenbleiben. In seinem Gesicht spiegelt sich keinerlei Emotion wider. Stattdessen begutachtet er schweigend die Blutergüsse, die durch die Tritte meines Vaters entstanden sind.

„Sag doch etwas", murmele ich leise.

„Was soll ich dazu sagen?", möchte Carlos ausgerechnet von mir wissen und sieht mir mit erhobenen Augenbrauen wieder in die Augen.

Schluchzend binde ich die Bänder wieder zu einer Schleife zusammen und wische mir mit dem Handrücken die Tränen fort, welche sich ihren Weg über mein Gesicht bahnen, ehe ich mich von Carlos abwende und aus dem Wohnzimmer stürmen möchte.

Doch plötzlich spüre ich Carlos Hand, die nach meiner greift und mich zu sich zurückzieht. „Ich möchte jetzt wirklich alleine sein", sage ich und meide es, Carlos in die Augen zu sehen. Mit seinen Fingern fährt er mir über den blau verfärbten Wangenknochen.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll", beginnt Carlos, dessen Brust sich unregelmäßig hebt und senkt. „Es gab eine klare Abmachung zwischen deinem Vater und mir", beginnt Carlos mit ernster Stimme und wendet sich kopfschüttelnd von mir ab, wobei er sich mit einer Hand über das Kinn streicht und die andere Hand zu einer Faust geballt in seine Seite stemmt.

,,Was für eine Abmachung?", möchte ich wissen.

,,Das geht dich nichts an", erwidert Carlos mit einer abwinkenden Handbewegung und tigert wütend im Raum auf und ab, wobei er den Blick stets auf den Boden gerichtet hält.

,,Ich werde gezwungen, dich zu heiraten und mein ganzes Leben einfach so hinter mir zu lassen, als hätte es nie existiert.. aber das geht mich nichts an?", frage ich aufgebracht. In mir kocht die Wut und ich drücke die Tränen weg, die in meinen Augen brennen. ,,Mein Vater hat mich nie geschlagen, bis du plötzlich auftauchst und einfach so verlangst, dass ich dich heirate..!"

Wütend gehe ich auf Carlos los und schlage mit meinen Händen auf seine harte Brust, ehe er mich grob an den Handgelenken packt und gegen das Fenster drückt.

,,Du bist doch der Grund, warum mein Leben sich zur puren Hölle verwandelt hat!", werfe ich Carlos weiter vor und kneife fest die Augen zusammen, aus denen sich nun doch Tränen ihren Weg über mein Gesicht bahnen. Ich kann sie einfach nicht länger zurückhalten. All die Wut, Trauer und Verzweiflung, die sich in den letzten Tagen in mir angestaut hat, suchen nun ihren Weg nach draußen. 

Noch immer drückt Carlos mich gegen das Fenster und ich spüre, wie seine Finger meine Handgelenke weiterhin umschließen.

,,Ihr behandelt mich wie ein Objekt, das ihr einfach herumschieben könnt, wie ihr wollt. Dabei vergesst ihr jedoch, dass ich auch nur ein Mensch bin.. ich hatte Freunde, Pläne für die Zukunft.. das haben du und der Egoist von Vater, den ich habe, mir alles geraubt!"

,,Emilia..", setzt Carlos an.

,,Es gibt nichts, was du tun könntest, um mich jemals dazu zu bringen ein ignorantes, egoistisches Arschloch wie dich zu lieben!", unterbreche ich Carlos, bevor er überhaupt die Möglichkeit hat, zu sagen, was er sagen möchte.

Sofort lässt Carlos von mir ab und tritt ein paar Schritte zurück. Seine grünen Augen mustern mich ausdruckslos, ehe er mir den Rücken zukehrt.

Meine Brust hebt und senkt sich unregelmäßig, während ich Carlos dabei beobachte, wie er schweigend unser Gepäck schnappt, welches noch immer am Treppenabsatz steht. Erst glaube ich, dass er nun die Tür öffnet und unseren Trip vorzeitig beenden möchte, doch stattdessen trägt er es die Treppe hinauf nach oben.

Obwohl mein Vater mein Verhalten definitiv missbilligen und bestrafen wird, wenn er davon erfährt, hat es unglaublich gut getan all diese aufgestauten negativen Gefühle rauszulassen. Soll Carlos meinen Vater doch anrufen und ihm von meinem unangemessenen Verhalten erzählen. Es gibt sowieso nichts mehr, was ich zu verlieren habe.

Etwa eine Viertelstunde später höre ich Carlos die Treppe wieder herunterkommen. Mittlerweile sitze ich auf einem kleinen Sessel direkt am Fenster und beobachte die seichten Wellen, die das Meer schlägt und die Möwen, welche am blauen Himmel kreisen.

Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlt, ein Vogel zu sein. Frei und unabhängig.

Das Gefühl von Freiheit erscheint mir auf einmal so fremd und unantastbar. Ich glaube einem wird erst bewusst, wie frei man war, wenn einem dieses Privileg entrissen wird. Ich meide es, in Carlos Richtung zu blicken und selbst, als er unmittelbar neben mir zum Stehen kommt, sehe ich ihn nicht an.

,,Ich habe mit deinem Vater telefoniert", teilt Carlos mir mit.

Nun sehe ich Carlos doch an und meine Augen weiten sich überrascht, als ich feststelle, dass er nur in Badeshorts bekleidet und mit einem Strandlaken, welches unter seinem Arm klemmt, vor mir steht.

„Was hast du ihm gesagt?", frage ich und versuche mir die Panik nicht anmerken zu lassen.

,,Ich habe ihm gesagt, dass wir gut angekommen sind", erwidert Carlos schulterzuckend.

,,Und weiter?", möchte ich wissen.

,,Du stellst zu viele Fragen", seufzt Carlos genervt und wirft einen Blick aus dem Fenster. ,,Ich werde jetzt schwimmen gehen"

Daraufhin öffnet Carlos die Terassentür und geht raus.

Heimlich beobachte ich ihn dabei, wie er sein Strandlaken nahe des Wassers auf dem hellen Sand ausbreitet, ehe er zum Wasser geht und es betritt. Als er etwa bis zum Bauchnabel im Wasser steht, taucht er schließlich unter, nur, um ein paar Sekunden später wieder aus dem Wasser aufzutauchen.

Ich denke über die Worte nach, die ich Carlos an den Kopf geworfen habe. Dass er ein ignorantes, selbstsüchtiges Arschloch sei und dass er mein Leben zerstört hat. Es mag zwar stimmen, doch wenn ich ehrlich bin, ist mein Leben auch vorher nicht viel besser gewesen. Zwar habe ich all diese Pläne im Kopf gehabt, doch kaum einer von ihnen wäre in Erfüllung gegangen.

Für das Studium, von welchem ich mir erhofft habe es im nächsten Sommer an der Kunstschule in Berlin zu beginnen, habe ich mich auch dieses Jahr bereits beworben und eine Absage erhalten.

Nick, von dem ich geglaubt habe, dass er mich wirklich gern hat, hat sich als rachsüchtiger Lügner entpuppt. Und zu guter letzt ist da noch mein Vater, der eigentlich auch nie wirklich für mich da gewesen ist, wenn ich ihn gebraucht habe.

Carlos hingegen hat von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Außerdem scheint auch sein Leben nicht gerade blendend zu sein. Mit nur 19 Jahren verlor er seinen Vater und fast auch sein eigenes Leben bei einem schweren Verkehrsunfall. Daraufhin musste er erst wieder rehabilitiert werden und hat schließlich mit gerade einmal 23 Jahren das Vermächtnis seines Vaters übernommen und es wieder an die Spitze getrieben, sodass heute daraus wieder eines der einflussreichsten Unternehmen auf dem Markt geworden ist. Carlos muss dort all seine Zeit und sein Herzblut reingesteckt haben. Er ist zu schnell erwachsen geworden.

Vielleicht ist Carlos nicht das ignorante, selbstsüchtige Arschloch, für das ich ihn halte.

Vielleicht ist er einfach nur einsam.

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