Dreiundvierzig

1.7K 122 58
                                    

A Z A D



Still beobachtete Azad die Frau auf dem Sitz neben ihm. Sie war nervös. Ständig fummelte sie an irgendetwas herum und war viel zu angespannt, um sich zurücklehnen zu können. Sein Blick wanderte auf die Blumen in ihrem Schoß. Automatisch festigte sich sein Griff um den Lenkrad. Finster starrte er das Auto vor ihm an. Wer hatte es gewagt seiner Frau Blumen zu schenken?!
Azad musste schlucken. Er musste auch einen Gang runter schalten. Seine Ehe sah zurzeit nicht gerade gut aus und er war sich nicht sicher, ob sie überhaupt noch Bestand haben würde. Also sollte er sich wohl an den Gedanken gewöhnen, dass Rüya andere Verehrer haben würde.
Verdammter Mist!
Wütend biss er die Zähne zusammen und riss das Lenkrad etwas heftiger zur Seite, als nötig gewesen wäre, um auf den Parkplatz zu fahren. Er wollte sich nicht daran gewöhnen! Sie war seine Frau. Traurigerweise war es genau das, was Rüya nicht sein wollte - die Frau des echten Azad Kaya. »Wir sind da«, teilte er unnötigerweise mit, als sie auf den schlecht beleuchteten Parkplatz zu stehen kamen.
»Begleite mich«, forderte Rüya ihn ruhig auf. Und entschlossen. Misstrauisch runzelte Azad seine Augenbrauen. War es möglich, dass sie etwas plante? Warum sollte sie das?, fragte er sich noch in derselben Sekunde und schüttelte den unsinnigen Gedanken ab.
Rüya verdrehte die Augen. »Jetzt guck nicht so!«
Hatte sie gerade wirklich mit ihren Augen gerollt? Sie stieg aus, während er noch wie vom Donner gerührt die Hand um dem Autoschlüssel geschlossen hatte und ihr hinterher starrte. Er fühlte sich auch nicht schuldig dabei, ihr auf den Hintern zu schauen oder ihre schlanken Beine zu bewundern. Schließlich war sie noch seine Frau, oder nicht? Der Gedanke katapultierte ihn zurück in die Gegenwart. Die bekannte, ätzende Gereiztheit überkam ihn. Mist, würde er sich wohl nie daran gewöhnen? Plötzlich war er nur noch müde. Ein alles zermürbender Schmerz hohlte ihn aus. Fest musste er die Zähne zusammenbeißen, damit ihm nicht die Tränen in die Augen schossen. Wie einem verdammten Weichei, verhöhnte er sich in Gedanken.
Rüya wartete auf dem schlecht beleuchteten Parkplatz auf ihn. Das gefiel ihm ganz und gar nicht. Auch nicht, dass sie so schön und anziehend auf ihn wirkte. Er vermisste sie. Unglaublich. Unendlich. Warum vermisste sie ihn nicht auch? Warum bedeutete er ihr nicht genauso viel wie sie ihm? Warum musste das Leben nur so grausam sein?
Im Schein des Lichts glänzten ihre Locken. Fest hielt sie den Blumenstrauß umklammert. Rüya war keine klassische Schönheit. Wahrscheinlich wäre kein Mann auf der Welt so verrückt wie er, sie als die schönste Frau der Welt zu titulieren. Ihre Gesichtszüge waren immer etwas zaghaft, fast zögerlich und weich. Sie hatte ein kleines Gesicht mit einer ebenso kleinen Nase. Ihr Mund war eher fein und schmal, aber ihre Haare waren eine einzige Wucht. Prachtvoll und majestätisch, leidenschaftlich in wilden Locken um ihren Kopf lodernd. Er liebte ihre Haare. Und ihre Augen. Die ihn jetzt in ihrem natürlichen Veilchenblau begegneten. Sie strich sich eine Strähne zurück und befeuchtete mit der Zungenspitze ihre Unterlippe. Gebannt folgte er der Bewegung. Hatte sie eigentlich eine Ahnung, wie schön er sie fand? Dass er sich jede Nacht in seinem Bett nach ihr umdrehte; dass er schweißgebadet aufwachte, weil er träumte zu spät zu kommen und sie nicht gerettet zu haben? Dass sich sein Herz gerade in dem Moment vor Kummer zusammenzog und dass er sich am Liebsten gekrümmt hätte, weil er sich so fühlte, als hätte man ihn in den Bauch geboxt?
Nein, er glaubte nicht, dass sie das wusste. Oder vielleicht interessierte es sie auch nicht.
»Azad«, fing sie an. Sie schien nervös zu sein. Unsicher. Augenblicklich wurde seine Mine sanfter. »Ja, Rüyam

Sie holte tief Luft. »Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Das ist schwerer, als ich es mir in meinen Gedanken ausgemalt habe.«

Er wollte etwas einwerfen, doch sie hinderte ihn daran. »Nein, lass mich das jetzt machen!«, befahl sie vehement. »Azad, egal, was du denkst, oder wie grauenvoll und abscheulich ich mich in den letzten Wochen benommen habe, du bist alles für mich.« Sie strich sich über ihre Augen und schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Gerne hätte Azad eingegriffen, sie beruhigt und ihr alles verziehen, aber er wusste instinktiv, dass das keine gute Idee wäre. Die ganze Sache schien ihr viel zu bedeuten. Und ihm auch. Sie brauchte dieses Gespräch und er musste diese Worte genauso sehr hören, wie sie sie aussprechen musste.

»In der letzten Zeit ist so vieles passiert. Und ich bin ehrlich, vielleicht waren wir etwas zu voreilig mit einer Heirat.« Sein Herz blieb stehen. Das war es jetzt also. Das Gespräch, das er so sehr gefürchtete hatte. Jetzt würde sie ihm mitteilen, dass sie sich von ihm trennen wollte. Sie interpretierte seinen dunklen Blick richtig. »Nein«, schüttelte sie ihren Kopf. Und lächelte ihn an. »Ich versuche mich hier gerade bei dir zu entschuldigen, du Hornochse, also fass das nicht einmal im Traum falsch auf!«

Azad war wie benommen. »Hast du mich gerade beleidigt?«

Sie lachte. Seine süße Rüya hatte ihn doch tatsächlich beleidigt! Seit wann schmiss sie mit Beleidigungen um sich?

»Du hast es verdient«, rechtfertigte sich. »Was ich sagen will, ist, dass ich dich liebe und egal, wie schrecklich ich gewesen bin oder was ich dir an den Kopf geworfen habe, oder wie jung wir geheiratet haben, ich bin nicht bereit dich gehen zu lassen. Und egal, wer du jetzt wirklich bist, ob Azad oder Anıl, du wirst immer mein Mann bleiben. Und ich immer deine Frau. Denn ich habe es jetzt endlich begriffen, Azad...der Name ist nicht das, was uns definiert sondern das, was wir tun. Unsere Taten zählen. Schlussendlich hattest du gute Gründe mir nichts davon zu erzählen...und das respektiere ich. Verzeihst du mir? Und bleibst weiterhin bei mir und Selin?«

Mit schwerem Blick taxierte Azad sie von oben bis unten. Mit rauer Stimme fragte er: »Bist du jetzt fertig? Ich würde dich jetzt nämlich verdammt gerne wieder in die Arme schließen.« Murmelnd hängte er ein: »Und noch so einiges mehr.« hinzu.

Freude ließ ihr Gesicht erstrahlen. »Oh!«, machte sie dann plötzlich. »Das hier sind deine. Fast hätte ich es vergessen.« Etwas verlegen hielt sie ihm den Blumenstrauß hin. Azad musste grinsen. So sehr, dass seine Wangen weh taten. Was war das nur für ein schönes Gefühl, das sein Herz beflügelte! Das war die Macht seines Traumes. »Du hast mir Blumen gekauft?«
Verlegen zuckte sie mit den Schultern und eine niedliche Röte kroch ihr ins Gesicht. »Na ja, Blumen sind doch ein romantisches Zeichen und in den Filmen scheint das alles zu funktionieren...also dachte ich, ich probiere es mal aus.«
Er musste lachen. Er konnte einfach nicht anders. Sie hatte ihm Blumen gekauft! Die Röte in ihrem Gesicht vertiefte sich. »Du bist so süß«, gestand er zwinkernd. »Gib mir meine Blumen, Rüya Kaya. Die will ich um nichts in der Welt zurückweisen!«
Er neckte sie weiterhin, hauptsächlich mit seinen Blicken. Aber auch mit seinen Händen. Großspurig fasste er sie um die Taille, zog sie an seine Brust, bis sie leicht dagegen knallte. Sie sah ihn verträumt an, zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Sacht strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Und was hat es mit dem Ort an sich?«, flüsterte er heiser. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken. Sein Gesicht war ihrem so nah und doch so fern. Plötzlich war die Magie zwischen ihnen wieder da; die Leichtigkeit, die immer zwischen beiden geherrscht hatte. »Das Essen hier soll gut sein. Ich dachte, ich führe meinen Mann mal aus.«
Rüya musste sich leicht auf die Zehenspitzen stellen, um ihn zu erreichen. Schwer atmend lehnte Azad seine Stirn an ihre, schloss lächelnd seine Augen. In diesem Moment existierten nur sie beide. In diesem Moment wusste Azad, wie sehr er sie liebte. Unendlich.
»Sag mir, dass das wahr ist«, flüsterte er, während er über Rüyas Wangen strich und ihr tief in die Augen sah.
»Nur, wenn du mir sagst, dass das hier real ist«, konterte sie ebenfalls lächelnd. Er musste leise lachen. Irgendwie verzweifelt, denn er liebte sie so sehr, dass er wusste, niemals jemanden so sehr zu lieben. »Gott«, stöhnte er, »ich bin so verloren. So verdammt verloren.«








28. Dezember 2018

Und es ist ein Wunder, dass ich nicht weine...meine Lieben, es ist soweit. Ihr hattet die Ehre, das letzte Kapitel von Wandelnder Traum zu lesen.

Es folgt noch ein kurzer Teil, den ich Abschluss genannt habe, den ihr euch auch kurz anschauen solltet, weil er noch Teil der Geschichte ist.

Ich danke euch schon jetzt aus ganzem Herzen!

Fragen:

Wie würdet ihr Rüyas Charakterentwicklung beschreiben?

Wie hat sich die gesamte Stimmung im Buch verändert?

Und die wichtigste: Was habt ihr aus dieser Geschichte für euer Leben mitgenommen?

Wandelnder TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt