Zweiundzwanzig

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A Z A D




»Filip Johansson.« Azad beobachtete aufmerksam Rüyas Gesicht, als er ihr den Namen nannte und ihr ein Bild auf seinem Handy zeigte. Verschiedene Regungen huschten über ihr zartes Gesicht. Er hatte Angst, dass jetzt der Moment kam, in dem das Wasser überlief und sie in Tränen ausbrechen würde, nachdem sie die letzten Ereignisse so gut weggesteckt hatte. Es gab immer eine Grenze und Rüya wirkte so zerbrechlich. Sie war eine Feder im Wind.
Als sie sprach, war ihre Stimme so rau, dass sie sich zuerst räuspern musste, ehe man sie verstand. »Das ist der Mann, der mir nach dem Leben trachtet?«
Er nickte schwerfällig. »Er hat gestanden und alle Beweise deuten auf ihn. Kennst du ihn?«
Sie schüttelte den Kopf, die Augen weiterhin auf den Schweden gerichtet. »Noch nie vorher gesehen. Warum hat er das getan?«
»Er sagt, du wärst ihm im Restaurant aufgefallen. Es hätte ihn gereizt, die Maske deiner Unnahbarkeit fallen zu sehen.«
Sie schüttelte vehement den Kopf. »Er ist mir nie aufgefallen. Ich habe keine Ahnung.« Ihre Stimme zitterte leicht und sie wirkte ängstlich. Als hätte sie Angst, Azad würde ihr nicht glauben.
»Du kannst nichts dafür, Rüya. Es gibt nunmal kranke Menschen auf dieser Welt und manchmal fallen sie uns nicht auf.« Er steckte sein Handy wieder weg und berührte sacht eine Haarlocke, um sie zu beruhigen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich mag vielleicht oft nicht ganz richtig im Kopf sein und meine Fantasie kann mir einen Streich spielen, aber ich schwöre, ich erinnere mich nicht an ihn.«
Verdrossen verzog er seine Mundwinkel nach unten. »Tu das nicht«, forderte er plötzlich drohend. »Werte dich nicht selbst ab. Du bist okay, wie du bist und dein Verstand tut, was er tun muss, damit du nicht durchdrehst und die Kontrolle verlierst.«
»Mein Verstand ist ein Haufen Wirrwarr und meine Lunge nicht richtig am Arbeiten«, seufzte sie und warf sich die Haare über die Schulter. »Es ist nicht falsch, das laut auszusprechen.«
Verärgert richtete er sich auf. »Hör auf mit dem Scheiß, Rüya. Du bist mehr als nur das.«
»Wie habt ihr ihn überhaupt geschnappt? Und warum hast du mir nichts erzählt, Mister?« Sie wechselte das Thema und machte nicht einmal einen großen Hehl darum. Für einen Moment presste Azad die Lippen zusammen und überlegte, das Thema noch weiterzuverfolgen. Dann gab er seufzend nach. »Der entsprechende Tipp kam von einem Informanten im Untergrund. Anscheinend wurdest du zur Zielscheibe für so ziemlich jeden Deppen. Wir haben ihn an Selins Grundschule erwischt.«
Er erzählte ihr nicht, dass man mehrere Tausender auf ihren Kopf angesetzt hatte. Und auch nicht, dass da mehr hinter der Geschichte des Mistkerls stecken musste. Man scheute keine Mühe und setzte die gesamte dunkle Seite der Bevölkerung auf ein harmloses Mädchen an, nur weil man ihr die Unnahbarkeit rauben will. »Es ist jetzt vorbei, Rüya. Morgen fahren wir wieder zurück und du hast dein Leben wieder.«
Die Ungläubigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wirkte verwundert und unsicher, ob sie mir das wirklich glauben sollte. Doch die Spur des Schocks und der Tränen, die Azad eigentlich erwartet hatte, fehlten. Völlig ruhig nickte sie und wünschte ihm dann eine gute Nacht.

 Nachdenklich saß Azad auf seinem Stuhl

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Nachdenklich saß Azad auf seinem Stuhl. Den unrasierten Kinn auf einer Hand gestützt, spielte er gedankenverloren mit einem Kugelschreiber herum. Wie üblich beachtete er die lauten Stimme und die Hektik um ihn herum nicht. Joshua stieß ein ächzendes Stöhnen aus und warf ihm von seinem Platz gegenüber einen genervten Blick zu. »Okay, schieß los, Loverboy«, forderte er.
»Hm?« Azad schreckte aus seinen Überlegungen auf.
»Wenn du weiter diesen Stift folterst, laufe ich Amok.« Ein ironisches Grinsen umspielte Joshuas Lippen. »Solltest du nicht glücklich und zufrieden sein, nachdem wir den Stalker deiner Freundin gefasst haben?«
»Sie ist nicht meine Freundin«, korrigierte Azad grimmig.
»Aha«, grinste Joshua. Seufzend fuhr sich Azad durch die Haare und strich mit der Hand über sein Gesicht. »Denkst du, dass das alles jetzt zu Ende ist?«
»Warum sollte es das nicht sein? Der Wichser hat gestanden, Azad.«
»Es ist so...surreal.«
»Hör zu«, Joshua richtete sich auf und lehnte sich leicht nach vorne, »diese ganze unglückliche Verstrickung ist jetzt zu Ende. Wir haben unseren Täter, deine Freundin braucht sich nicht mehr zu verstecken und wir haben ein Motiv. In jedem anderen Fall würdest du einen Deckel draufpacken und ab geht die Post. Aber du bist in alles persönlich involviert gewesen. Es ist normal, dass du dieses Gefühl hast. Lass es hinter dir und gewinn dieses Mädchen endlich für dich, sonst muss ich dich irgendwann ehrlich erschießen.«
Azad verkniff sich Cara zu erwähnen und das Gegenfeuer zu eröffnen. Sein Partner hatte recht. Das alles war ihm verdammt nah gegangen und es hatte sich teilweise wie ein persönlicher Affront gegen ihn gerichtet. Außerdem war da noch das Versprechen, das er Rüya gegeben hatte. Das, welches Hoffnung und Zukunft gleichermaßen bedeutete. Einen neuen Abschnitt. Einen großen Schritt.
Fast unmerklich umfasste er den schmalen Reif in seiner Jackentasche, einfach nur, um zu kontrollieren, ob er wirklich da war. Das kühle Metall beruhigte ihn. Und machte ihn zugleich nervös.

Wandelnder TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt