Drei

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R Ü Y A


»Anne...Anne, bak, yine ben geldim. Rüyan. Benim, canım anneciğim. Tanıyabildin mi? Bak, anne. Güller getirdim sana. [Mama...Mama, schau, ich bin wieder gekommen. Deine Rüya. Ich bin's, geliebte Mama. Hast du mich erkannt? Schau, Mama. Ich habe dir Rosen mitgebracht.]« Sie legte den Rosenstrauß auf den Grab, strich liebevoll über die Erde. Kalter Wind strich beißend über ihre dünne Kapuzenjacke, woraufhin sie husten musste. Sie hustete, bis ihr der Atem ausging und sie japsend nach der stechend kalten Luft schnappte. »Korkma, anneciğim [Hab keine Angst, liebste Mama]«, sagte sie danach schnell beruhigend, als würde sich die Tote im Grab wirklich darum sorgen, wie es ihrer Tochter nach ihrem Hustenanfall ging, »ben iyiyim. Birşeyim yok. Sen korkma. Selin'i gördüm bugün yine. Aslında onuda getirmek istiyordum yanına ama izin vermediler...[Mir geht's gut. Ich habe nichts. Hab keine Angst. Ich habe Selin wieder gesehen heute. Eigentlich wollte ich sie auch mitbringen, aber sie haben es nicht erlaubt...]«
Kurz verhallte ihr Schweigen auf dem Friedhof. Ihr Blick glitt in die Ferne, beschwor das Gesicht ihrer Mütter herauf. Ihrer geliebten Mutter.
»Rüyam benim [Meine Rüya]«, sagte sie mit einem süßlichen Lächeln. Strahlender Gesundheit erfreuend stand sie plötzlich neben Rüya. Ihre braunen, gelockten Haare wehten im Wind. »Anneciğim! [Geliebte Mutter!]«, rief Rüya verträumt und fiel ihrer Mutter um den Hals. Diese lachte belustigt. »Nasılsın bugün, hanım kız?Ah, zaman ne çabuk geçiyor, değil mi? Sanki dünmüş gibi geliyor bana küçüklüğün, bebekliğin. Ağlıyordun. [Wie geht es dir, junge Frau? Ach, wie schnell die Zeit vergeht, nicht wahr? Es kommt mir so vor, als sei deine Kindheit gestern gewesen. Du weintest.]« Die Mutter trat einen Schritt zurück, ließ ihren Blick funkelnd über ihre Tochter streifen. »Evlenecek yaşa gelmişsin. Ah, ne yaparım sensiz! Seni nasıl veririm ben, kuzum? [In ein heiratsfähiges Alter bist du herangewachsen. Oh, was werde ich nur ohne dich machen! Wie soll ich dich hergeben, mein Schäfchen?]«
Rüya lachte verlegen, strich sich eine ihrer schwarzen Locken nach hinten. »Yapma, anne! Sanki gidiyormuşum gibi. [Lass das sein, Mama! Als würde ich gehen.]« Mit glühenden Wangen senkte sie ihren Blick. »Sanki istemeye geliyormuş birisi...[Als ob jemand um meine Hand anhalten kommt...]« Ihre letzten, schmerzgetränkten Worte verwehten im Wind, der die beiden Frauen einhüllte.
»Ah, ama öyle demesene, kızım! Tabiki geliyorlar! Seni kim istemez ki? [Sag sowas nicht, Tochter! Natürlich können sie. Wer möchte dich denn nicht?]«, mahnte ihre Mutter. Rüya lachte, um ihr Enttäuschung zu kaschieren. »Tabiki, sen haklısın, Anne. Sen benim dediğime bakma. [Natürlich hast du recht, Mama. Acht nicht auf das, was ich sage.]«
Kurz schweiften Rüyas Gedanken zu dem Mann, den sie vor einigen Tagen begegnet war. Sie konnte sich selber nicht erklären, warum sie ausgerechnet jetzt an ihn dachte, während sie in den vergangenen Stunden nicht einmal einen Gedanken an ihn verwendet hatte. Sie wusste ja nicht einmal, wer er wirklich war.
»Eh, anlatsana, kızım. Ne var, ne yok. Yoksa birisiyle mi tanıştın...[Erzähl doch, Tochter. Was gibt es neues? Oder hast du etwa jemanden kennengelernt...]« Schmunzelnd sah die junge Mutter zu ihrer Tochter, die errötete. »Tabikide hayır, anne! Daha önemli işlerim var benim. Orda ne zaman tanışayım ki birisiyle? [Natürlich nicht, Mama! Ich habe wichtigeres zu tun. Wann soll ich da jemanden kennenlernen?]«
»Bilmem, sen söyle bana. [Ich weiß es nicht, sag du es mir.]«
»Anne! Yapma bak! Babam duymasın, kızar. Helede ablam. Biliyorsun nişanlısıyla ne olduğunu...[Mama! Hör auf! Papa soll es nicht hören, sonst schimpft er. Vor allem meine ältere Schwester. Du weißt doch, was mit ihrem Verlobten passiert ist...]«
»Sen bakma onlara, onlar duymaz bir şey. Tek ablan huzur bulamadığı için Erhan abiylen, sende mi bulma? Yok, olmaz öyle! [Richte du dich nicht nach ihnen, sie werden gewiss nichts hören. Nur weil deine Schwester kein Glück mit Erhan gefunden hat, sollst du keines finden? Nein, so geht das nicht!]«
»Tamam, anne. [Okay, Mama.]«
»Selinciğim nasıl benim? İyi mi? [Wie geht's meiner Selinchen? Geht's ihr gut?]«
Rüya nickte. »Evet, Anne. İkimizde çok iyiyiz, sen kafana takma bizi. [Ja, Mama. Uns beiden geht es sehr gut, mach du dir keinen Kopf um uns.]« Tapfer lächelte sie, denn sie wollte nicht, dass ihre Mutter etwas von ihren Sorgen mitbekam. Sie wollte ihre Mutter nicht erneut mit der aussichtslosen Nachricht belasten, dass sie das Sorgerecht für ihre kleine Schwester nicht bekommen hatte und in absehbarer Zeit auch nicht bekommen würde. Ein warmes Lächeln bildete sich auf dem Gesicht ihrer Mutter. Sehnsuchtsvoll strich sie ihrer Tochter über die Wange. »Çok iyi bir kızsın, Rüyam! Seni çok seviyorum, kuzum. Asla unutma, tamam mı? [Du bist eine sehr gute Tochter, meine Rüya! Ich liebe dich sehr, mein Schäfchen. Vergiss das niemals, okay?]«
Zu ihrem Erschrecken rannen Tränen über Rüyas Wange. Hastig nickte sie, ein hingebungsvolles Lächeln für ihre geliebte Mutter auf dem Gesicht. »Bende seni çok, anne. Çok, çok seviyorum [Ich dich auch sehr, Mama. Ich liebe dich so sehr]«, flüsterte sie. Ein letzter Blick ihrer geliebten Mutter, ein letzter Kuss auf ihre Wange und dann war sie auch schon wieder weg. »Babam ve ablama selam söyle, Anne! Unutma! [Grüß meinen Vater und meine Schwester, Mama! Vergiss es nicht!]«, schrie sie ihr hinterher, während ihre Mutter sich lächelnd immer weiter entfernte. Sie winkte ihrer Tochter zu, dann war sie verschwunden.
»Sizi seviyorum, Anne [Ich liebe euch, Mama]«, flüsterte sie. »Selin'e iyi bakıcam, korkma! [Ich werde gut auf Selin aufpassen, hab keine Angst!]«
Mit einem brüchigen Lächeln presste sie sich die Faust auf das hämmernde Herz. Schluchzer brachten es zum Holpern, während ihre Lungen wieder bei ihrer Arbeit gehindert wurden und sie aufgrund des Luftmangels erneut husten musste, bis Blut ihr Ärmel bedeckte. Selbst minutenlang nach dem Anfall, stand sie da mit rasendem Herzen und versuchte ihren geschwächten Körper zu beruhigen. Danach las sie die Surah Al-Fatiha¹ für ihre ganze Familie, betete für ihr Wohl und dass Allah sie ins Paradies eintreten möge, kurz darauf betete sie für alle Menschen. Als sie sich umdrehte, warf sie noch einen letzten Blick auf die Gräber.

Wandelnder TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt