Dreiundzwanzig

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R Ü Y A




Der Tag im Diner war die reinste Hölle. Sie hatte riesige Angst ausgestanden, ob sie nach dieser langen Fehlzeit den Job noch hatte. Sie brauchte ihn schließlich, doch nachdem sie die Lage geschildert hatte, hatte ihr Chef erstaunlicherweise nach einem kurzen Moment des Zögerns nachgegeben. Wahrscheinlich weil er es sich selbst nicht leisten konnte, neue Mitarbeiter zu suchen. Trotzdem war es total anstrengend. Freitags war immer am meisten los. Die Schüler aus der Nähe kamen oft nach Schulschluss zum Essen und waren wohl die schlimmsten Kunden, die es geben konnte. Unablässige Flirtversuche und manche Draufgänger, die meinten, die könnten sich die Freiheit herausnehmen jede Frau zu begrapschen, die ihnen Essen servierte. Dazwischen gab es auch die netten Schüler, die keinerlei Probleme machten. Sie waren Rüya die liebsten.
Später kam dann die Reihe der Arbeiter, die ihren Feierabend mit Essen und Bier feiern wollten. Die Gegend um das Diner war nicht gerade die beste, aber auch nicht die schlimmste. Während sie Müll von einem Tisch räumte, warf sie einen raschen Blick auf ihr Handy. Wahrscheinlich war es total lächerlich, aber sie wünschte sich, Azad würde ihr schreiben. Nachdem sie so lange Zeit zusammen gewesen waren, vermisste sie ihn nun und die Stunden, die sie getrennt von ihm verbrachte, kamen ihr endlos lang vor. Eine ihrer Kolleginnen stieß sie im Vorbeigehen mit der Hüfte an. Fast hätte Rüya das Tablett fallen gelassen und schaute fragend zu der lächelnden Marokkanerin. »Schön, dass du wieder da bist«, meinte sie. Im ersten Moment war Rüya ziemlich perplex, im zweiten schenkte sie ihr ein verhaltenes Lächeln. »Danke.«
Das Verhalten ihrer Kollegin war so ungewöhnlich. Normalerweise erledigte jeder einfach seinen Job und ging seinen Weg.
Sie war dabei einen Tisch zu bedienen, doch beide trafen sich hinten in der Küche wieder. Rüya warf erneut einen sehnsüchtigen Blick auf ihr Handy, eine Minute später nachdem Azad ihr geschrieben hatte. Wie und wann kommst du nach Hause, sprang es ihr entgegen. »Diesen Ausdruck kenne ich«, erschreckte ihre Kollegin sie wieder. »Bei Gott!«, stieß Rüya aus und legte sich eine Hand aufs Herz. »Hör auf mich so zu erschrecken.«
Jasmina Mastouri machte eine schuldbewusste Miene. »Sorry.«
Sie antwortete Azad, dass sie erst gegen 23 Uhr Schichtende hatte und den Bus nehmen würde.
»Nach all der Aufregung, die vor ein paar Wochen hier passiert ist und allem, ist es echt gut, ein bekanntes Gesicht wiederzusehen.« Jasmina schien ehrlich betroffen zu sein. »Vor allem nachdem, was mit Adria...« Ihre Stimme nahm einen leicht brüchigen Klang an. Rüya verzog das Gesicht beim plötzlichen Aufwallen von Schuldgefühlen. Es hätte sie sein sollen, die jetzt tot war, nicht Adria. Sie war es gewesen, die diesen Mörder auf sich aufmerksam gemacht und irgendwie provoziert hatte, und auch sie war es, die jetzt der Grund für Adrias Tod war. »Du hattest einige Schichten mit ihr, oder?«, fragte Rüya leise. Sie bemerkte die Tränen in Jasminas Augen, gegen die sie energisch anblinzelte. »Ich habe ihr den Job besorgt gehabt.«
Selbstanklage. Schuld. Trauer. Mitfühlend legte Rüya die Hand auf Jasminas Schulter, denn sie wusste genau, welche Last diese trug. »Es war nicht deine Schuld«, wisperte sie. »Du hättest das nicht wissen können. Niemand von uns hätte es.«
Ein Schluchzen entrang sich ihr, doch sie fing sich recht schnell wieder. Eine weitere Kellnerin, die um die vierzig war und rote, strohige Haare hatte, warf uns einen bitteren Blick zu und meckerte, dass wir wieder an die Arbeit gehen sollen statt herumzustehen. Danach kamen sie nicht zu einem weiteren Gespräch.

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