Zwanzig

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A Z A D



Es war sechs Uhr morgens. Nicht
besonders früh für Azad. Die Luft war ziemlich kühl. Ganz im Gegensatz zu dem Rauch, der aus der Zigarette stieg, die er gerade rauchte. Die Tür hinter ihm war fest verschlossen und er war sich sicher, dass der Rest noch schlief, denn vor einigen Minuten hatte er noch dasselbe getan. Bevor Joshuas Anruf ihn aus seinem traumlosen Schlaf geweckt hatte. Träumen war ein Luxus, den sich Azad nicht leisten konnte. Er konnte nicht riskieren, dass sein Leben von Träumen regiert wurde. An die Realität wollte er sich halten. Musste er.
Ironischerweise dachte er an Träume in letzter Zeit mehr denn je. Ironischerweise gestattete er sich den größten Traum überhaupt zu träumen.
Er inhalierte die Toxine und ließ sie seine Arbeit tun.
Es war spät gewesen, als er sich am Abend ins Bett gelegt hatte. Die Ereignisse der letzten Tage hatten alle aufgewühlt und aus der Bahn geworfen. Auch ihn?
Ihn hatten sie daran erinnert, wie es sich anfühlt, hilflos und machtlos zu sein. Wie es ist, sich ständig verstecken zu müssen und zu hoffen, dass man nicht gefunden wird. Also ja, auch ihn.
Mehr als alles andere hatten ihn jedoch die Regungen in seiner Brustgegend irritiert. Wie konnte es sein, dass er so unachtsam geworden war?
Er hatte die Deckung aufgegeben und das war irritierender als alles andere. Er hatte im Leben nicht vorgehabt Rüya deutlich zu machen, welche Absichten er ihr gegenüber hatte. Verdammt, er hatte ja nicht einmal selbst gewusst, dass er diese Absichten hatte!
Frustiert knurrend stieß er den Atem aus und rieb sich mit der freien Hand den angespannten Nacken.
Der Anruf, der ihn geweckt hatte, sollte ihn eigentlich glücklich stimmen. Weshalb hatte er dann das Gefühl, auf die Folter gespannt zu werden?
Sein Partner hatte ihm Bescheid gegeben, dass sie nun endlich eine Spur hatten. Azads Nerven waren zum Zerreißen angespannt.
Das war der zweite Albtraum, in dem er gefangen war, obwohl es doch der Traum sein sollte. Ein neuer Traum.
Sicherheit.
Aber das war es nicht, denn er hatte ja unbedingt diesem Mädchen mit veilchenblauen Augen und schwarzen Locken begegnen müssen, das ihn angeschaut hatte, als sei das ganze Leben bloß ein Albtraum. Und vielleicht war es das ja auch, denn genau jetzt fühlte er den Albtraum ganz nah bei sich. Lauerte unter seiner Haut. Schlich sich in seine Blutbahnen.
Als er am Telefon mit Joshua gesprochen hatte, noch total benebelt vom Schlaf und genervt von der ständigen guten Laune, die sein Partner immer verstreute. Doch die plötzliche Information hatte dafür gesorgt, dass er hellwach war.
Ein Informant im Untergrund hatte durchsickern lassen, dass ein ganz bestimmter Neuling in der Gegend sich eines Mordes bürstete. Damit prahlte, dass er die Behörden an der Nase herumführte und sie ihm nicht auf die Schliche kamen.
Ein undercoveragent hatte den Trubel bemerkt, der ausgebrochen war. Der gesamte Untergrund war in heller Aufruhr. Angeblich sollte derjenige, der eine gewisse schwarzhaarige Person umlegte, Millionen damit verdienen!
Azad schloss wütend die Finger zur Faust. Eine schnelle Art, Geld zu machen, oder nicht?
Und raffiniert, sämtliche Kopfgeldjäger auf Rüya zu hetzten. Wenn sie sich davor schon nicht hatte zeigen lassen können, dann konnte sie das jetzt erst recht nicht. Verflucht, die Höllenhunde würden schneller hinter ihr her sein als der Teufel!
Seine Zähne knirschten. Es war nicht nur Rüya; jeder der sie haben wollte, würde sich auch Selin schnappen, wenn es nötig war. Ein kleines, unschuldiges Mädchen. Er wollte gar nicht daran denken, was jetzt noch alles folgen würde.
»Hey.« Die Tür hinter ihm schwang langsam auf. Mit einem Quietschen. »Du bist schon auf?«, fragte Necmiye Teyze. Unter ihren Augen waren schwarze Ringe. Azad nickte nicht wirklich, aber irgendwie doch auch. Es war eher ein kurzes Anheben seines Kinns. Dann nahm er noch einen Zug von seiner Zigarette. Seine Tante schüttelte missbilligend den Kopf. »Irgendwann werden dich die Dinger noch umbringen!«
Er nahm still Notiz davon. So wie auch von der friedlich vor sich hin dämmernden Winterumgebung. Nebel hing tief in den Bäumen und hinderte jemanden an einer klaren Sicht.
»Es ist eisig, Junge. Hier wird dich der Tod holen. Komm wieder rein.« Er würde nicht auf sie hören und sie wusste das. Sie wusste es immer, trotzdem bemühte sie sich, ihn zu bemuttern. Oder auf ihn achtzugeben. Necmiye Arslan war eine dieser Frauen, die es nicht kümmerte, wie alt die Personen waren, denen sie sich annahm. Sie sah immer einen Grund zu versuchen, ihnen zu helfen. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb sie Sozialarbeiterin war. Und weshalb sie Azad bei sich aufgenommen hatte, als ihm nichts anderes übrig blieb, als alles hinter sich zu lassen. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging wieder ins Haus. Azad starrte noch eine Weile in die Natur, ehe er seine Zigarette austrat und ins Haus ging.
»Selin!«
Er ignorierte die Hintergrundgeräusche. Rüyas Rufen und Selins Jammern. Den Staubsauger, der seine Arbeit tat. Seine Gereiztheit ebenso wie die jedermanns in diesem Ferienhaus. Warten war immer nervenauftreibend. Stattdessen entfernte er sich mit hastigen Schritten von allen, nahm Joshuas eingehenden Anruf entgegen und schloss die Tür hinter sich.
»Romeo, bist du da?« Azad merkte sofort, dass etwas nicht normal war. Die Stimmlage seines normalerweise immer entspannten Freundes war angespannt und ernst.
»Voll und ganz.« Nicht anders klang Azad. Ganz auf Joshua abgestimmt. Es herrschte Trubel, man hörte hastige Rufe und Schritte. Das Geräusch eines quietschend zum Stehen kommenden Wagens. »Adams!«, hörte man jemanden im Hintergrund rufen.
»Wir haben ihn, komm her.« Joshua rief ein hektisches »ich komme« zurück, dann wandte er sich wieder an Azad. »Hab keine Zeit, der Boss will dich hier. Muss jetzt los.«
Eine Tür wurde zugeschlagen, noch jemand sagte laut etwas im Hintergrund.
»Bin schon unterwegs!«, verabschiedete sich Azad, während er noch im schnellen Laufschritt nach seiner Jacke griff und sie sich überzog. Sein Körper war wie unter Strom. Adrenalin rann durch seine Venen. »Muss weg!«, rief er laut, übertönte das Geräusch des Staubsaugers.
»Was? Wohin?« Rüya erschien im Türrahmen, ein Löffel in ihrer Hand. Azad schüttelte seinen Kopf, gestikulierte ihr damit ›nicht jetzt‹, während er in seine Schuhe schlüpfte. »Später!«
Dann war er auch schon aus dem Haus, während Necmiye Teyze erst noch verdutzt über seine Worte bewusst wurde und ließ eine aufgewühlte Rüya stehe.
So schnell er konnte, raste er die Straßen entlang. Sein Zeigefinger unruhig auf das Lenkrad klopfend, Schimpfwörter und Verfluchungen auf der Zunge. Das dichte Verkehr und die lange Fahrtzeit waren ein nicht enden wollendes Hindernis!
Als er endlich ankam, wollte alles in ihm bersten. Anspannung beherrschte seinen Körper und er zwang sich zur Besonnenheit, um nicht wie ein Verrückter ins Revier zu stürmen. Trotzdem blieb die Anspannung.
»Kaya«, wurde er augenblicklich begrüßt. Männer in und ohne Uniform, seine Kollegen und Kolleginnen, liefen hin und her. Das Durcheinander und die Aufruhr waren nie ungewöhnlich. Diese Stadt wagte es nicht einmal den Atem anzuhalten und den Kriminellen ihren Lebensunterhalt zu entziehen. Seine Stimme klang rau als er sprach, doch es gelang ihm trotz allem wenig Gefühle mitschwingen zu lassen. Sein Kollege Nickte den Gang hinunter. »Sie lassen den Mistkerl warten. Hab gehört, er hat's auf deine Frau abgesehen?«
Verdammt!
Er hätte auf etwas einschlagen können. Der kalte Ausdruck auf seinem Gesicht bekam einen Sprung und deutete auf die tosende Wut in seinem Innern hin. »Ja, verdammt, meine Frau und ihre sechsjährige Schwester!«
Er musste seinen Besitzanspruch anmelden, ob er sollte oder nicht. Es war ein Drang, primitiv und lautstark. Jeder sollte wissen, dass diese zwei Mädchen seine Mädchen waren, und dass sie gut daran täten, sich von ihnen fernzuhalten. Denn er würde jeden bekämpfen, der diesen Mädchen auch nur ein Haar krümmte. Vom Verstand her wusste er, dass das falsch war. Dass er das lassen sollte; sich nicht tiefer in diese Sache und dieses Leben einfügen sollte. Dass er die Deckung nicht fallen lassen sollte. Doch der Drang ließ sich nicht unterdrücken und er war es so leid zu warten. Das war jetzt sein Leben und er musste es akzeptieren.
Also tat er es. Er wagte den Sprung und baute sich sein Leben auf.
Vielleicht war das auch einfach die Gabe, einen Albtraum in einen Traum zu verzaubern?


27.11.2017

Wie findet ihr Azads Drang seine beiden Mädchen zu beschützen? Und was haltet ihr von den letzten Fortschritten in der Beziehung der beiden?

Ich habe zunehmend immer mehr das Gefühl, dass mein Schreibstil einfach schrecklich ist. Und keine Ahnung, wie ich das ändern soll. Es gefällt mir nicht. :/
Kann das jemand nachvollziehen?

Mit all der Liebe❤️
Passt auf euch auf!

Wandelnder TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt