chapter forty-one

114 10 0
                                    

»Ich bin Melli.« fing ich an und wollte mir selbst gegen den Kopf hauen dafür.

»Ich... Ich bin ehrlich. Ich habe keine Ahnung, wie man bei so einer Ansprache anfängt. Nicht nur das. Ich habe keine Ahnung, wie man über so etwas redet. Bei so einer Sache, hätte ich immer Sam gefragt, was ich sagen sollte.« ich hielt kurz an und atmete durch. »Wenn Sam jetzt an meiner Stelle stehen würde, würde sie als erstes etwas sagen, was die depressive Stimmung auflockert, was wahrscheinlich unglaublich unpassend gewesen wäre...« ich machte erneut eine kurze Pause und sah auf meine Finger, in denen der zusammengeknüllte Zettel war.

»Sie steht aber nicht an meiner Stelle. Ich bin nicht sie und Niemand wird jemals wie sie sein... Um Ihnen allen näher zu bringen, wie mein Verhältnis zu Sam war.« ich dachte kurz nach »Wir haben uns in der Schule kennengelernt. Vor etwas über fünf Jahren. Wir kamen ins Gespräch, weil wir dieselbe Musik gehört haben. Anfangs hätte ich mir niemals vorstellen können, dass daraus Mal eine derartige Freundschaft entstehen würde.«, mit leicht gehobene Mundwinkeln sah ich kurz zu Camila »Naja, die Zeit verging nun Mal und wir verstanden uns ziemlich gut. Mit wir, meine ich Camila, Sam und mich... Sie müssen sich das so vorstellen, wie drei Zahnräder. Sie drehten sich entweder alle zusammen, oder gar nicht.«
Ich machte eine Pause und musste auflachen.

»Sam hätte mich jetzt wahrscheinlich, für den Satz den ich gerade gesagt habe, gehauen.« fügte ich hinzu und sah in die verwirrten Gesichter der Leute. Ich ließ mich nicht beirren und versuchte weiter meine Gedanken in Worte zu fassen.

»Einmal, da hatte Camila Streit mit ihrem Freund und wir facetimten. Camila, Sam und ich hatten übrigens die Angewohnheit, immer zusammen zu reden, wenn irgendwas passierte. Wie dem aus sei. Camila war am Boden zerstört und suchte Rat bei uns. Ich war überfragt, also wartete ich darauf was Sam sagen würde.« ich wusste absolut nicht, worüber ich da sprach, aber ich hörte nicht auf.

»Sam sagte ihr, was für ein unglaublich toller und liebenswerter Mensch sie war. Sie sagte zu Camila, dass sie sich niemals unterkriegen lassen durfte und niemals an sich zweifeln durfte. Sie redete zehn Minuten lang durch. In denen sie dann auch zu mir sprach und uns sagte, dass wir uns niemals unterkriegen lassen durften. Sie baute uns auf, obwohl sie zu der Zeit selbst Streit mit einem Jungen hatte. So jemand war Sam.« Langsam stiegen mir Tränen in die Augen, die ich vorsichtig abtupfte. »Wenn ich hier schon über die Freundschaft zwischen uns dreien spreche... Es war fragwürdig. Wir... Wir waren ziemlich unterschiedlich. Alle drei. Wir waren vom Charakter her unfassbar gegensätzlich. Sam extrovertiert, ich introvertiert. Sie ging gerne laufen, Camy und ich hassten jegliche Art von Bewegung. Sie war vorlaut. Sie übermütig und temperamentvoll, ich eher ausgeglichen. Obwohl wir unterschiedlicher nicht sein konnten, waren wir trotzdem beste Freundinnen. Wir ergänzten uns einfach, in jederlei Hinsicht. Wir haben voneinander gelernt und sind aneinander und miteinander gewachsen.« sprudelte es aus mir raus und Tränen flossen über meine Wangen.

Ich musste aber lächeln und fügte hinzu »Das kommt jetzt so rüber, wie als ob wir eine Freundschaft, wie aus einem Bilderbuch geführt hatten, aber das war echt nicht so. Sam hatte immer solche Tage, an denen sie einfach... Sagen wir es so... Sie war ein Mensch, der das mit der guten Laune einfach nicht so draufhatte. Es gab Tage, an denen war sie unglaublich schlecht drauf und diskutierte alle paar Minuten mit mir und Camila, über dieses und jenes. Doch am Ende eines jeden solchen Tages, schrieb sie in unsere Whatsapp-Gruppe, dass sie uns liebte.«
Ich musste schluchzen und sah in die Gesichter der Leute. Das was ich da vor mich hinredete, berührte sie tatsächlich.

»Sam hat mir vieles beigebracht. Abgesehen von Grammatik, hat sie Camila und mir, zumindest hat sie das versucht, gezeigt was es ausmacht, jemanden zu haben, der einem zuhörte, wenn man jemanden brauchte. Jemanden zu haben, der einen fängt, wenn man fällt. Jemanden zu haben, der neben dir steht und dich weiter antreibt, wenn du stehenbleiben und aufgeben willst. Es ist schwer, jetzt... Es ist schwer ohne sie weiterzumachen.« Ich konnte mich nicht mehr beruhigen und weinte.

»Sam hat immer gesagt, dass niemand weinen soll, wenn sie mal stirbt. Ich kann aber nicht einfach darüber hinwegblicken. Sie hat Namen von Leuten genannt, die sie niemals bei ihrer Beerdigung haben wollte. Trotzdem sitzen hier jetzt einige. Sie hat immer Witze über den Tod gemacht und hatte keine Angst davor. Sie glaubte an Schicksal und daran, dass alles einen Grund hatte. Allerdings verstehe ich nicht, wieso sie im Alter von zwanzig Jahren unschuldig sterben musste. Sie hatte immer für alles eine Erklärung und einen Grund, ich habe es leider nicht. Ich stehe hier und habe keine Erklärung. Sam suchte meistens nach Erklärungen, bis sie welche fand. Ich kann das aber nicht. Ich werde es bis zu dem Tag, an dem ich auch sterbe, nicht verstehen.«
Mir fiel auf, dass ich schon sehr lang redete und die Leute weinten, deswegen kürzte ich es schließlich ab.

»Ich stehe neben diesem Sarg und realisiere nicht, wer drinnen liegt. Ich weine seit Wochen und verstehe selbst noch nicht wieso. Ich realisiere es nicht. Ich habe so viel von Sam gelernt und mitgenommen, denn ein großer Teil von mir, besteht aus ihr. Es wird dauern, der Schmerz wird mich töten, aber vergehen und wir werden verstehen, dass sie in uns noch weiterlebt, wenn wir sie wirklich lieben. Leider gibt es sehr wenige Leute, die sie aufrichtig liebten. Dankeschön.«

Ich verließ das Podest unter Tränen und über dem Saal lag eine berückende Stille, die mit Weinen und Schluchzten erfüllt wurde. Ich setzte mich wieder neben Harry und dieser griff sofort nach meiner Hand und streichelte diese. Er gab mir Taschentücher und küsste meinen Kopf, den ich an seine Schulter lehnte. Nachdem eine Schweigeminute abgehalten wurde, erhoben sich alle und der Sarg wurde rausgetragen.
Die Sargträger gingen vor, dahinter Sams Eltern, hinter ihnen ihr Bruder mit seiner Freundin, dicht gefolgt von Camila und Thomas mit Harry und mir.
Harry hielt meine Hand und wir gingen über den Friedhof. Man versammelte sich um den Grabstein und ganz vorne standen wieder ihre Familie und besten Freundinnen. Camila und ich hielten uns an den Händen. Ich sah was dort war und mein Herz zog sich zusammen. Im Grab lagen kleine Dinge, die mit Sam unter die Erde kamen und mittendrin der Elefant mit den großen Augen. Der Grabredner, hielt wieder eine kurze monotone Ansprache, bevor sie anfingen, den Sarg runterzulassen.
Ich hörte nichts. Alles um mich rauschte und meine Sicht war verschwommen. Ich wollte weg. Ich wollte nachhause fahren und mit Sam und Camila im Bett Pizza essen und Horrorfilme schauen, bei denen Sam sich über die Protagonisten lustig machte. Ich wollte lachen und nicht weinen. Ich wollte mich darüber freuen, dass der ungefähr schönste Mann der Welt, seit Wochen an meiner Seite war und nicht weinen, weil meine beste Freundin tot war. Aber all dies konnte ich nicht haben.
Ich schluckte und starrte auf den Grabstein. "Samantha Karwood" stand in geschwungener Schrift darauf. Die Jahreszahlen las ich nicht, da es einfach nicht fair war, dass sie gerade mal ein Viertel ihres Lebens erlebt hatte.

Der Sarg lag in dem Loch, in dem er für immer bleiben würde und alle stellten sich in einer Reihe auf. Man musste daran vorbeigehen, eine kleine Schaufel nehmen, Erde reinkippen und ein kurzes Gebet vor dem Grab aussprechen. Diese ganzen Leute, die Sam noch nicht mal vernünftig kannten und weinend dort standen, machten mich wütend.
Nach ihrer Familie war ich dran. Ich nahm die kleine versilberte Schaufel und schippte etwas Erde aus dem Behältnis raus. Ich stellte mich vor die Öffnung im Boden und sah auf den Sarg herab, der mit Blumen bedeckt war. Sam hätte diese Blumen gehasst und ich wollte sie rausnehmen, hielt mich aber zurück. Ich kippte den Inhalt der Schaufel in das Grab und sah der Erde zu, wie sie in der Luft zerbröselte und auf die hölzerne Totenkiste meiner besten Freundin fiel. Ich legte die Schippe zurück und starrte auf den Grabstein vor mir. Tränen rollten über meine Wangen und ich verstand einfach gar nichts mehr. Ich wollte nicht mehr.
Soweit mich meine Füße tragen konnten, entfernte ich mich vom Grab und ging zu Camila und Thomas, die dort standen. Harry war in der Reihe direkt hinter mir gewesen, weswegen er mir ein wenig später auch schon folgte.
Camila und ich fielen uns weinend in die Arme und ließen es einfach raus. Ich weinte und konnte nicht mehr aufhören. Allein die Vorstellung, nie wieder Sams Lachen zu hören. Nie wieder von ihr wegen Grammatik berichtigt zu werden. Nie wieder ihre Arme um meinen Körper liegen zu spüren, wenn ich weinte. Die Vorstellung zerriss mich.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und drückte sie hinter Camilas Rücken zusammen. Ich wollte etwas kaputt machen und zerstören. Ich wollte jemandem so viel Leid zufügen, wie ich in diesem Moment erlitt. Ich wollte die Person, die Sam das angetan hatte töten. Ich wollte sie mit bloßen Händen erwürgen.

Mir fiel auf, dass sich alle nur auf die Tatsache, dass Sam tot war konzentrierten, und nicht auf das Arschloch, welches Schuld daran war.

love destroyed through glory | [H.S.]Where stories live. Discover now