Wiederkehr

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Meine Wut verraucht während ich zu meinem Zimmer laufe, stattdessen fühle ich schon wieder Verzweiflung in mir aufsteigen. Jedwiga fehlt mir so sehr dass es wehtut und meine Kehle ist wie zugeschnürt. Irgendwer hat mir einmal erzählt dass Elben bevor sie an einem gebrochenen Herzen sterben, extrem launisch und aggressiv werden und unter Umständen risikobereiter sind. 'Auf mich trifft das absolut zu.'
"Legolas!", höre ich da die Stimme von Aragorn hinter mir, doch ich drehe mich nicht zu ihm herum. 
"Was willst du von mir?", frage ich und gehe unwillkürlich schneller, bis Aragorn mich an der Schulter aufhält.
"Ich will dass du dich beruhigst und deine Wut nicht an Éomer auslässt. Du brauchst einen klaren Kopf in der nächsten Schlacht."
Dann wird sein Ton sanfter und ich sehe Trauer und Schmerz in seinen Augen.
"Auch für mich ist es nicht leicht. Jedwiga war Arwens Schwester und ich weiß noch immer nicht ob Arwen lebt oder nicht. Ich fühle mit dir."
Ich nicke langsam und Aragorn lässt mich los.
"Es ist nur... ich bin so... so wütend. Das was Éomer gesagt hat, ich hätte ihm den Hals umdrehen können. Aber gleichzeitig bin ich auch unendlich traurig und spüre dass meine Zeit abläuft. Ich vermisse Jedwiga so sehr, aber ich habe auch Angst sie zu enttäuschen."
Die Worte sprudeln nur so aus mir hervor ohne dass ich es verhindern kann, doch ich fühle mich besser sobald ich es gesagt habe.
Aragorn sieht so aus als wolle er noch etwas sagen, aber er schweigt.

Die nächsten paar Tage versuche ich zu überleben ohne einen Streit anzufangen oder mich anderweitig in Schwierigkeiten zu bringen. Ich ringe mich sogar dazu durch meine Waffen zu reinigen, meine Kleidung zu bürsten und meinen Bogen zu pflegen. Dabei nehme ich mir auch das Schwert von Jedwiga vor und reinige es besonders gründlich von Schmutz und Blut, um es später ihrem Vater zu geben. Vorausgesetzt ich lebe dann noch.
Aus irgendeinem Grund darf ich nicht noch einmal Jedwigas Leichnam sehen, doch das ist mir dann doch relativ egal. Wahrscheinlich würde ich durchdrehen wenn ich sie noch einmal sehen würde, so leblos und kalt.
Ansonsten sitze ich entweder in meinem Zimmer und starre vor mich hin, oder einer meiner Freunde nimmt mich irgendwohin mit. Nichtsdestotrotz werde ich kälter und das Leben weicht weiterhin aus meinem Körper, ohne dass ich irgendetwas dagegen tun kann.
Ich stehe oft auf dem Balkon meines Zimmers und schaue nach Osten, während der Wind meine Haare zerzaust und die Geräusche der Stadt zu mir hinaufdringen. So auch jetzt, und der Wind bringt den Geruch nach Asche und Feuer mit sich. Auf einem Platz außerhalb der Stadt werden die Kadaver der Orks verbrannt und ich schaue mit leerem Blick auf die Flammen hinunter. Plötzlich höre ich, wie jemand ins Zimmer kommt und spüre die Präsenz hinter mir.
"Aragorn, bitte, oder auch Gimli, oder wer immer ihr seid, ich habe keine Lust mehr auf diese Spaziergänge", sage ich ohne mich umzudrehen mit eisiger Stimme, die meinen Freunden verdeutlichen soll dass sie gehen sollen.
"Wer sagt, dass ich mit dir einen Spaziergang machen will?"
Beim Klang der mir nur allzu vertrauten Stimme zucke ich zusammen, mein Herz verkrampft sich und ich schnappe nach Luft. 'Das ist nicht möglich! Es kann nicht sein!'
Stocksteif stehe ich da und jeder Atemzug schmerzt in meiner Brust. Fast glaube ich, mir die Stimme nur eingebildet zu haben, was nebenbei gesagt gar nicht so abwegig ist, doch dann ertönt sie wieder und ich schließe die Augen.
"Willst du dich nicht umdrehen?"
Meine Hände verkrampfen sich um das Geländer und ich schlucke mühsam.
"Nein. Das ist alles n-nur eine
Ei-einbildung. Sobald ich mich... umdrehe bist du fort. Und das könnte ich nicht verkraften."
Den letzten Satz flüstere ich und meine Schultern sacken nach unten.
"Ich bin keine Einbildung, Legolas."
Wieder zucke ich zusammen, dieses Mal beim Klang meines Namens, und höre wie die Schritte noch näher kommen. Mein Atem wird zitternd und mein Herz fühlt sich an, als könnte es jederzeit in Tausende kleine Eissplitter zerspringen.
"Und was bist du dann?", flüstere ich.
"Du bist tot, ich habe dich gesehen, ich habe das Blut gesehen. Du bist in meinen Armen gestorben, ich habe gesehen wie das Leben aus dir gewichen ist, wie dein Atem verstummte und du nur eine leblose Hülle warst!"
Meine Stimme wird immer lauter und aufgeregter, bis ich irgendwann fast schreie. Meine Augen beginnen zu brennen, aber es kommen keine Tränen.
"Ich weiß, Legolas", sagt sie ganz sanft und kommt noch näher.
"Und es tut mir so unendlich leid dass du so leiden musst, aber ich bin wirklich wieder hier. Ich lebe."
Irgendetwas im Klang ihrer Stimme veranlasst mich, mich doch umzudrehen, obwohl ich weiß dass es mich zerstören wird, ich kann nicht widerstehen. Doch was ich sehe verschlägt mir den Atem.
"Du...", hauche ich und Jedwiga nickt. Ihre langen, braunen Haare fließen über ihren Rücken, ihre Haut ist wieder farbig und sie wirkt komplett gesund. Ihre blauen Augen strahlen mich an und sie trägt ein weißes Kleid, das sanft im Wind weht. Sie ist schöner als jemals zuvor und scheint fast von alleine zu leuchten.
Als sie mir ins Gesicht sieht, zuckt sie zusammen und ihr Blick wird mitfühlend während sie mich schweigend mustert. Unverwandt starre ich sie an, mit weit aufgerissenen Augen, und kann kaum begreifen was ich da sehe. Erst als Jedwiga einen kleinen Schritt vortritt, ihre Hand meine berührt und ich ihren Duft riechen kann, trifft es mich mit voller Wucht und ich keuche. Ihre Hand ist warm, heiß im Vergleich zu meiner, und sie hält mich sanft fest.
"Du bist wirklich hier. Oder ich bin tot", wispere ich und sie lächelt leicht.
"Du bist nicht tot."
Ihre Stimme ist freundlich, aber eindringlich.
"Aber ich will dir erzählen was passiert ist, auch wenn ich es selbst nicht ganz verstehe. Weißt du noch was Galadriel mir zum Abschied gegeben hat, dieses Beutelchen? Da drin war ein unglaublich seltenes Kraut, welches kürzlich Verstorbene wieder ins Leben rufen kann. Aber nur, wenn es von einem König angewandt wird und die betreffende Person einen wirklich triftigen Grund hat wiederzukommen. Aragorn ist dieser König, und er dachte daran. Aber ich weiß nicht wie er darauf gekommen ist."
"Also... hattest du einen triftigen Grund um wieder zurückzukommen?", frage ich leise und sie lächelt.
"Aber natürlich. Dich."
Überrascht schaue ich sie an, verwirrt und noch immer skeptisch. Jedwiga verschränkt ihre warmen Finger vorsichtig mit meinen kalten und schaut mir tief in die Augen.
"Es tut mir unglaublich leid dass du... dass es dir so schlecht geht. Ich wäre schon früher zu dir gekommen, aber Gandalf meinte ich solle mich schonen. Bereits als ich wieder aufwachte und du nicht da warst wollte ich zu dir, durfte aber nicht. Es ist mir bewusst wie heikel die Situation momentan ist, aber ich hoffe du kannst mir verzeihen."
Unsicher schaut sie mich an, da hebe ich meine leicht zitternde Hand und lege sie sacht an ihre warme Wange.
"Es gibt nichts zu verzeihen, es war ja nicht deine Schuld. Du musst mir nur helfen zu verhindern, dass ich sterbe."
Ich schlucke, dann ziehe ich sie zu mir und berühre ihre Lippen mit meinen. Augenblicklich erwidert sie den Kuss und ich fühle ihre weichen, warmen Lippen, einen Kontrast zu der Kühle meiner Haut. Ich ziehe Jedwiga eng an mich und spüre ihre Wärme, und als sie ihre Hand auf die Stelle über meinem Herzen legt ist es als würde von dort aus eben diese Wärme durch mich strömen. Die Kälte meiner Augen verschwindet, mein gebrochenes Herz heilt und ich fühle wie mein Gesicht wieder ein wenig Farbe annimmt. Da lösen sich unsere Lippen langsam voneinander, aber wir bleiben uns dennoch nah.
"Oh Jedwiga. Ich habe dich so sehr vermisst", flüstere ich und umarme sie fest und innig, so als wolle ich sie nie wieder loslassen. Und das habe ich tatsächlich auch vor.
Nun beginnen die Tränen langsam zu fließen und ich vergrabe mein Gesicht in ihren Haaren.
"Ich habe geglaubt dass ich, um dich jemals wiederzusehen, erst sterben müsste."
Beruhigend streicht Jedwiga mir daraufhin über den Rücken und hält mich fest.
Eine lange Zeit bleiben wir so stehen und ich beruhige mich nur sehr langsam. All der Schmerz, das Leid und die Trauer rücken in den Hintergrund und ich hoffe so sehr dass dies kein Traum ist. 'Wenn das hier ein Traum ist, dann ist es der schönste Traum meines Lebens.'
"Ich liebe dich Jedwiga", sage ich leise und wir schauen uns wieder an.
"Ich liebe dich auch Legolas", antwortet sie und küsst mich sanft auf den Mund, dann zieht sie mich in mein Zimmer zurück. Plötzlich spüre ich eine schwere, bleierne Müdigkeit auf mir liegen, die mich nach unten zu drücken scheint, und lege mich in mein Bett. Jedwiga setzt sich neben mich auf die Bettkante und schaut mich liebevoll an. Mit der einen Hand streicht sie mir sanft über den Kopf, die andere hält meine Hand.
"Versprich mir dass du hier bist wenn ich wieder aufwache", flüstere ich und schaue sie an.
"Das werde ich. Ich werde immer da sein."
Sie lächelt und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
"Schlaf jetzt. Aragorn meinte du hättest lange nicht mehr geschlafen."
Ich atme tief durch und spüre wie mir die Augenlider schwer werden.
"Das stimmt", murmele ich und schließe die Augen, dann umfängt mich die angenehme Dunkelheit des Schlafes.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt