Beginn des Trainings

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Meine Nacht ist weder angenehm noch ruhig. In meinen Träumen verfolgen mich die Bilder meiner toten Familie, und ich wache mehrmals in der Nacht auf vor Schreck.
Doch dann träume ich etwas anderes.

Es ist schon wieder dieser Wald, aber es ist irgendetwas anders. Ich bin nicht alleine. Die Person ist wieder da.
"Jedwiga", flüstert die Stimme, die ich erschrocken als die von Legolas erkenne. Doch es ist dieselbe Stimme wie aus meinen anderen Träumen.
"Vergiss nicht: ich werde immer für dich da sein."
Dann legen sich Arme um mich und als ich aufschaue, blicke ich direkt in eisblaue Augen.

Erschrocken wache ich auf und sitze kerzengerade in meinem Bett. 'Habe ich etwa immer von Legolas geträumt?' Dieser Gedanke beunruhigt mich, doch ich habe keine Zeit um weiter darüber nachzudenken, denn es klopft an meiner Tür.
"Herrin Jedwiga, seid ihr schon wach?", fragt mich eine weibliche Stimme durch die Tür und ich rufe eine leise Antwort. Da geht die Tür auf und eine junge Elbe mit schwarzen Haaren kommt herein.
"Prinz Legolas lässt ausrichten, dass ihr euch in einer Stunde am großen Tor einfinden sollt."
Ich schaue aus dem Fenster.
Die Sonne geht gerade erst auf und wirft rötliche Strahlen ins Zimmer.
"In Ordnung. Danke."
Doch die Elbin macht keine Anstalten zu gehen.
"Ach, wollt ihr mir helfen?"
"Ja, Herrin. Ich warte auf Anweisungen."
Mit einem leisen Seufzen schwinge ich meine Beine aus dem Bett und stehe auf.
"Ihr könntet das Bett machen", meine ich dann unsicher.
In Bruchtal war nur selten eine Dienerin da, die mich weckte und wenn, dann ergriff sie immer die Initiative und half mir bei dem was ich tun musste. Ich musste nur selten Anweisungen geben.
"Sehr wohl."
Die Elbe macht sich an ihre Aufgabe und ich gehe derweil mich waschen und umziehen.
Da ich heute mein erstes Training haben werde, ziehe ich meine Trainingskleidung an.
Als ich wieder in mein Zimmer komme, steht die Dienerin vor mir und schaut mich abwartend an.
"Darf ich euch bei euren Haaren helfen?"
Ich nicke und setze mich auf einen Stuhl, damit sie besser an meine Haare herankommt.
Mit flinken Bewegungen flechtet sie mir eine praktische Frisur.
"Danke."
Dann stehe ich auf und nehme mein Schwert, man weiß ja nie was geschieht.
"Meine Herrin, Prinz Legolas meinte, ihr bräuchtet eure Waffen nicht", hält die Dienerin mich zurück und ich lege das Schwert wieder hin.
"Könntet ihr mir bitte den Weg zum Tor zeigen?"
Die Dienerin nickt unterwürfig und öffnet die Tür.
"Folgt mir."
Sie geht vor mir die Wege entlang und ich laufe immer hinterher. Aufgeregt denke ich an meine erste Stunde im Bogenschießen, aber gleichzeitig wird mir auch mulmig zumute, wenn mir das von gestern Abend in den Sinn kommt. Ich kann meine Reaktion immernoch nicht verstehen, obwohl es irgendwie angenehm war, warum ich den Prinzen einfach so in den Arm genommen habe. 'Hoffentlich denkt er jetzt nicht falsch von mir. Ich habe keine Lust, dass er glaubt, dass ich etwas von ihm will.' Da kommt auch schon das Haupttor in Sicht und die Dienerin zieht sich zurück.
Die restlichen Meter laufe ich alleine bis zu der Plattform vor dem Tor. Dort wartet Legolas bereits auf mich, seinen Bogen über der Schulter und einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken. Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen und er nickt zur Begrüßung mit dem Kopf als ich bei ihm angelange. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass er wieder so zurückhaltend und höflich ist wie gestern Abend vor dem Abendmahl.
Auch ich senke kurz den Kopf und schaue ihn dann erwartungsvoll an.
Seine blauen Augen mustern mich prüfend.
"Guten Morgen. Habt ihr eine gute Nacht gehabt?", fragt er mich freundlich.
"Euch auch einen guten Morgen. Meine Nacht war ein wenig unruhig, aber ich bin ausgeschlafen, danke der Nachfrage. Und bei euch?"
"Ich habe sehr gut geschlafen. Tut mir leid für euch, dass ihr nach diesem... Vorfall von gestern Abend keine gute Nacht hattet."
Ich winke ab.
"Das geht schon. Es sollte nur nicht nochmal vorkommen."
"Das wird es nicht, das verspreche ich euch. So, dann wollen wir mal anfangen. Als erstes braucht ihr einen für euch geeigneten Bogen, damit wir mit dem Training beginnen können."
Er geht mit mir zur Waffenkammer und ich kann es kaum erwarten anzufangen. Dort angekommen mustert er prüfend die vorhandenen Bögen.
"Für den Anfang ist es wichtig, dass ihr einen Bogen bekommt, der zu euch passt. Später, wenn ihr gut genug seid, könnt ihr dann mit jedem Bogen schießen wenn es sein muss. Dieser hier ist gut."
Er nimmt ihn aus seiner Haltung, zieht kurz prüfend an der Sehne und reicht ihn mir dann.
"Probiert mal."
Ich ziehe probehalber an der Sehne, wie ich es bei ihm vorher gesehen habe.
Es ist nicht schwer die Sehne zu spannen, aber ich merke, dass sie gespannt ist.
"Ja, ich glaube das wird gehen", meine ich und nehme den Bogen in die Hand. Legolas reicht mir einen Köcher mit Pfeilen und ich schnalle ihn mir auf den Rücken.
"Es gibt auch noch Köcher, die man sich an den Gürtel hängen kann", erklärt er mir und ich nicke.
Dann geht er mir voraus wieder in Richtung Tor und führt mich mit einem Kopfnicken zu den beiden Wachen nach draußen.
Es ist ein wunderschöner Frühlingsmorgen, die Luft riecht frisch und ist kühl, die Sonne scheint und es sind nur wenige Wolken am Himmel zu sehen. Der Wald leuchtet grün im hellen Licht der Sonne, die nun etwas höher am Himmel steht als eine Stunde zuvor. Legolas und ich überqueren die Brücke und der Prinz führt mich tiefer in den Wald hinein.
"Ich kenne eine Lichtung auf der man sehr gut üben kann. Die Bäume stehen weit auseinander und es gibt wenig Unterholz, verschossene Pfeile kann man also leicht wiederfinden."
Er lächelt mich über die Schulter hinweg an und ich schmunzele.
"Das ist gut, denn ich glaube, am Anfang werde ich noch sehr viele Pfeile verschießen", meine ich zu ihm und er lacht auf. Schließlich gelangen wir auf eine Lichtung, in deren Mitte ein glatter Stein wie ein Tisch liegt. Hier hält Legolas an und legt seinen Köcher und Bogen darauf ab.
"Ihr könnt euren Köcher ebenfalls hier ablegen, so stört er euch nicht beim Schießen."
Ich tue wie er gesagt hat und nehme meinen Bogen in die rechte Hand.
"Erst einmal trocken, das heißt ohne einen Pfeil."
Er kommt zu mir mit seinem Bogen und stellt sich so, dass ich gut bei ihm sehen kann wie es geht.
Dann spannt er die Sehne in einer fließenden Bewegungen und zielt auf ein imaginäres Ziel. Ich versuche es ihm nachzumachen, doch schon bald merke ich, dass das gar nicht so einfach ist wie es immer aussieht. Legolas senkt den Bogen und korrigiert meine Haltung. Dabei geht er langsam um mich herum und berührt mich manchmal an unbefangen Stellen, am Arm beispielsweise. Irgendwann ist meine Haltung so wie sie sein soll.
"Und jetzt einmal lockern und neu versuchen."
Erleichtert entspanne ich meine Arme und lasse den Bogen sinken, um mich dann erneut aufzustellen. Legolas geht wieder um mich herum und begutachtet meine Haltung.
"Gut, gut. Das sieht schonmal in Ordnung aus. Ihr macht zwar ein paar kleine Fehler, aber die werden wir im weiteren Verlauf des Trainings noch ausmerzen. Aber eine Sache noch."
Er legt eine Hand auf meinen Bauch und ich ziehe erschrocken die Luft ein.
"Genau das. Jetzt steht ihr richtig."
Er nimmt seine Hand weg, ich senke den Bogen und schaue ihn ein wenig empört an.
"Bevor ihr protestiert, das war nötig. So habt ihr euch erst richtig hingestellt, hätte ich euch vorgewarnt wäre das Ergebnis anders gewesen."
Ich schließe meinen Mund wieder und schaue ihm missmutig in die Augen.
Doch er lacht nur.
"Seid froh, dass ich es nicht anders gemacht habe."
Dann macht er weiter mit meinem Training und wir gehen zu Übungen mit Pfeilen über, allerdings ohne sie abzuschießen. Irgendwann darf ich dann meinen ersten Schuss machen. Legolas macht es mir vor, er zielt auf einen Baum circa zehn Meter entfernt und lässt den Pfeil von der Sehne schnellen. Er trifft genau in ein altes Astloch.
"Und jetzt ihr."
Ich wende all mein gelerntes Wissen an und spanne den Bogen.
Schließlich lasse ich den Pfeil los, doch er fliegt meterweit an dem anvisierten Baum vorbei in den Wald hinein. Frustriert lege ich den Bogen auf den Felsen und laufe los um den Pfeil wiederzuholen.
Nach mehreren Stunden des Trainings schmerzen meine Arme und ich habe starken Hunger. Außerdem wird mir wieder schwindelig, doch Legolas hat die Flasche mit der helfenden Flüssigkeit dabei, sodass dieses Problem schnell gelöst ist.
Gegen Mittag gehen wir wieder zum Palast um etwas zu essen, nachdem ich meine verschossenen Pfeile wieder eingesammelt habe.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt