Leben im Düsterwald

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Es ist echt schwer, den Prinzen dazu zu bekommen mit seinem dämlichen Grinsen aufzuhören. Ich habe dabei nämlich auch noch das ungute Gefühl, dass er meine Reaktion auf seine Berührung bemerkt hat und meinen Sturz ebenfalls damit in Verbindung gebracht hat. Womit er gar nicht mal so Unrecht hätte. Jedenfalls bringt Legolas mich zu meinem Zimmer und verabschiedet sich immernoch breit lächelnd. Missmutig schaue ich ihm hinterher, doch dann denke ich nicht mehr weiter daran.
Die Zeit bis zum Abendmahl muss ich irgendwie noch totschlagen, deswegen bade ich ausgiebig und ziehe mir ein frisches Kleid an. 'Irgendwo muss es doch hier eine Bibliothek oder so etwas geben.' Also laufe ich eine Weile lang herum, bis ich schließlich einen Bediensteten nach dem Weg frage. Dieser gibt mir bereitwillig Auskunft und mithilfe seiner Wegbeschreibung finde eine Tür, die in eine große Bibliothek führt. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich den vertrauten Geruch nach Leder, Papier und alten Büchern einatme und mich neugierig umschaue.
Die Bibliothek ist nur ein kleines Bisschen größer als die von Bruchtal und ich stürze mich sofort auf das erstbeste Regal. Manche der Bücher kenne ich bereits, Ausgaben von ihnen stehen auch in Bruchtal, aber es gibt auch mir unbekannte Bücher. Und genau solche suche ich.
Nach einer Weile habe ich mir ein Buch ausgesucht und setze mich damit auf einen der gemütlichen Stühle neben eine Lampe.
Fenster gibt es hier nicht, da die Bibliothek im unteren Teil des Palastes liegt, aber trotzdem ist die Luft sauerstoffreich und frisch.
Stundenlang lese ich, bis ich irgendwann das Buch wieder weglege und zurück nach oben gehe. Aber eins ist sicher: die Bibliothek wird auf jeden Fall mein Lieblingsplatz im Innern des Palastes sein. Jetzt jedoch mache ich mich auf zum Speisesaal. Gestern haben Legolas und ich das Abendmahl irgendwie ausgelassen, doch heute habe ich Hunger und so lenke ich meine Schritte in die richtige Richtung.
Am großen Tisch sitzen bereits König Thranduil und Legolas als ich eintrete. Mit einer kurzen Verbeugung begrüße ich die Beiden angemessen und setze mich dann auf meinen Stuhl.
In den paar Tagen, die ich hier bin, habe ich den König bisher nur auf seinem Thron, davor oder hier am Tisch gesehen. 'Macht der nie etwas anderes? Mal rausgehen oder so?'
"Mein Sohn erzählte mir eben, dass du bereits enorme Fortschritte bei deinem Training gemacht hast", wirft Thranduil in den Raum.
"Ada", rutscht es Legolas verlegen heraus und ich schaue ihn grinsend an. Jetzt ist ihm endlich mal etwas peinlich und ich kann dämlich vor mich hingrinsen.
Thranduil schaut ein wenig überrascht zwischen uns beiden hin und her, Überraschung in seinem Fall gezeigt durch eine leicht hochgezogene Augenbraue, aber keine Bewegung seines restlichen Gesichts.
"Nun gut, es freut mich, dass du dich so geschickt zeigst."
Damit setzen wir schweigend unser Mahl fort.

Die Tage, Wochen und Monate ziehen ins Land, ich verbessere mich immer mehr beim Umgang mit dem Bogen und auch meine Fähigkeiten mich im Geäst der Bäume fortzubewegen verbessern sich.
Bereits nach zwei weiteren Trainingstagen treffe ich den Baum, den ich anvisiere und kann ab da immer besser an meiner Zielsicherheit arbeiten. Ab und zu nimmt Legolas mich mit auf eine Grenzpatrouille, zusammen mit anderen Elben aus der Palastwache. Jedes Mal ist er dann wieder so unnahbar, aber nicht unfreundlich. Es fehlen nur seine Scherze und unsere Gespräche, obwohl er versucht mich nicht gänzlich außer Acht zu lassen.
Anfangs bin ich noch unsicher und schüchtern, halte mich im Hintergrund und schaue den Elben erstmal zu, wenn sie irgendetwas machen, doch nach zwei-drei weiteren Patrouillen werde ich ein wenig aufgeschlossener den anderen Wachen gegenüber. Und die Sache mit der giftigen Luft im Wald hat sich dank dem Trank von Legolas schnell erledigt.
In meiner Freizeit nach dem Bogentraining gehe ich entweder in die Bibliothek und lese, erkunde den Palast oder gehe in den Wald um mit meinem Schwert zu trainieren.
Manchmal kommt Legolas mit, aber meistens bin ich dort alleine, weil er seinen Pflichten als Prinz nachkommen muss. Was mir ehrlich gesagt lieber ist. Mittlerweile bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass der Prinz anders ist als andere Prinzen oder Fürstensöhne, die ich bisher getroffen habe. Auch nach sechs Monaten hat er keine Versuche unternommen mich zu seiner Frau zu machen.
Der rege Briefwechsel zwischen Arwen und mir verleitet mich öfter dazu, am Palasttor zu stehen und sehnsüchtig nach dem Boten Ausschau zu halten, wenn dieser ein wenig Verspätung haben sollte.
Mit jedem von Arwens Briefen erfahre ich Neuigkeiten aus Bruchtal. Manchmal bekomme ich auch einen Brief von meinem Vater, und alle Briefe beantworte ich beflissentlich und schnell.
In einem von Arwens Briefen erzählt sie mir von dem jungen Menschen, der vor circa siebzig Jahren nach Bruchtal gebracht wurde, und da er von den Menschen Numenors abstammt, altert er sehr viel langsamer, ist aber dennoch sterblich.
Sein Name ist Aragorn, Arathorns Sohn.
"Du weißt ja, dass er schon länger in Bruchtal lebt, aber ich habe ihn nie groß beachtet. Aber letztens hat er mich gesehen, wie ich über die Brücke des Flusses ging und ist mir hinterhergelaufen! Ehrlich gesagt ist er eigentlich sehr nett, ich meine für einen Menschen. Und er scheint mich zu mögen...
Ach ja, ich habe Ada nichts davon erzählt, also hüte dich ihm das in einem deiner Briefe zu schreiben!"
So lautet ihre Passage über Aragorn, die ich lächelnd lese und mir dann Gedanken darüber mache. Allerdings nur kurz.
Ab da kommt Aragorn öfter in den Briefen vor, und ich merke deutlich, dass Arwen ihn sehr gern hat.
Die Abendmähler mit Thranduil sind entspannter als vorher, und da ich ab und zu an der Grenzpatrouille teilnehme, kann ich besser mitreden. Und es kommt auch vor, dass ich den König woanders als auf seinem Thron antreffe. Er spricht sogar manchmal ein paar Worte mit mir, meist über unverfängliche Themen und über meine Ausbildung. Er ist immernoch kalt, aber er bemüht sich, dies nicht so sehr durchkommen zu lassen.
Allerdings will ihm das nicht immer gelingen.
Mit Legolas verbindet mich nun eine gute Freundschaft, die ich mir niemals zwischen mir und einem Mann hätte vorstellen können. Er hält sich zurück, sobald es um meine alte Familie geht, dafür vermeide ich es, seine Mutter anzusprechen.
Irgendwann erzähle ich Legolas von den Männern, die mich und Arwen in Bruchtal aufgesucht haben und er unterlässt etwaige Annäherungsversuche, wie das mit Berührungen zwischen unseren Händen.
Alles in allem bin ich glücklich hier im Düsterwald und fühle mich hier sehr wohl.
Doch dann geschieht etwas, was mein Glück für eine Weile aus dem Gleichgewicht bringt. Und zwar passiert es während einer Grenzpatrouille mit Legolas und drei weiteren Elben.
Diese Gruppe ist ungewöhnlich klein, doch die anderen Elben befinden sich im Palast, da ein hoher Gast dort angekommen ist. Es ist ein wunderschöner Tag, wie so oft, mit klarem, blauem Himmel, an dem nur wenige Wolken entlangziehen. Der Wind rauscht in den Blättern und die Tiere des Waldes sind eifrig unterwegs, während wir uns in den Bäumen bewegen.
Da ertönt plötzlich ein schrilles, unangenehmes Kreischen von der Südgrenze.
Einer der Elben sagt etwas zu Legolas und dieser starrt grimmig nach Süden.
"Legolas? Was ist das?", frage ich, doch ich ahne bereits was sich dort im Wald befindet. Entweder Spinnen, oder...
"Orks", antwortet Legolas mit drohender Stimme und ich halte den Atem an. Das Wort schwebt in der Luft, doch zu meiner Überraschung bin ich nicht ängstlich. Stattdessen fühle ich diesen alten Hass auf diese Kreaturen in mir aufsteigen, der in mir schwelt seit sie meine alte Familie ermordet haben.
Meine Miene wird hart und ausdruckslos und ich starre auf die Wipfel im Süden. Dann springen wir auch schon los.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt