Eine 'Einladung'

4.7K 208 9
                                    

Ich mache Bratkartoffeln mit Kräuterquark, während Bahel mit seinem Holzpferdchen auf dem Boden unter dem Tisch spielt. Laut ahmt er die Laute von Pferden nach und lässt das Pferdchen hin und her galoppieren. Schmunzelnd lausche ich seiner Stimme und stelle mir vor, wie er das erste Mal alleine auf einem Pferd sitzt und reiten lernt.
Gerade will ich die Bratkartoffeln in die heiße Pfanne geben, als ich das Wiehern von zwei Pferden höre, dazu das Rattern der Räder unseres alten Karren. Ich warte noch eine Weile, bis der Karren schon fast am Hof ist bevor ich aufgeregt zum Fenster eile und gespannt hinausschaue. Mein Gehör ist viel besser als das eines Menschen, aber Bahel begreift das noch nicht, geschweige denn dass er überhaupt bewusst von meiner Andersartigkeit weiß.
"Bahel, komm! Mutter und Vater sind wieder da! Wir wollen sie begrüßen."
Mit einem erfreuten Aufschrei kommt Bahel unter dem Tisch hervor, öffnet die Tür und rennt hinaus auf den Hof.
"Mama!", ruft er fröhlich und springt auf den Wagen zu. Die beiden Pferde lassen erschöpft den Kopf hängen und bleiben auf ein Zeichen von Derian, einem großen, breitschultrigen Mann mit rotblonden Haaren stehen. Mit einem Lächeln komme ich auf sie zu, nehme das linke Pferd am Halfter und schaue zu Derian und Angathel hoch, die auf dem Kutschbok sitzen und beide ermattet von der Hitze aussehen.
"Mutter, Vater, ihr seid wieder da!"
Derian springt vom Karren und hilft dann seiner Frau Angathel herunter. Sie ist zierlich und kleiner als ihr Mann, ihre langen blonden Haare sind zu einem Zopf geflochten. Sofort umarmt Bahel ihre Beine und sie verliert beinahe das Gleichgewicht.
"Huch, mein Kleiner. Vorsicht", lacht sie und wuschelt ihrem Sohn liebevoll durch die Haare.
"Ja, das sind wir. War alles gut während wir fort waren?", erkundigt sich Derian.
"Ja, alles bestens. Soll ich die Pferde tränken und sie dann auf die Koppel bringen?"
"Tu das. Aber beeile dich, wir sind hungrig. Ist das Essen schon fertig?"
"Fast, die Kartoffeln müssen nur noch in die Pfanne."
Ich nehme die Pferde bei den Zügeln, die Derian mir gibt und führe sie zur Scheune, um ihnen das Geschirr abzunehmen, sie ordentlich zu füttern und ihnen Wasser zu geben. Danach bringe ich sie auf die Koppel und löse die Halfter.
"Na los, ab mit euch zu den anderen", sage ich zu ihnen und gebe beiden einen Klaps, voraufhin sie loslaufen. Mit den Halftern in den Händen kehre ich zum Wohnhaus zurück. Die dunkle Wolkenbank befindet sich nun fast über dem Hof, und es wird dämmrig. Doch die Sonne geht erst in ein Paar Stunden unter, und mit sorgenvollem Blick schaue ich gen Osten. Der nun starke Geruch von Regen wird mir in die Nase geweht und der Wind frischt auf.
Im Wohnhaus dagegen riecht es mittlerweile verführerisch nach Bratkartoffeln und das fröhliche Lachen von Bahel klingt mir entgegen. Der Kleine sitzt auf dem Schoß seines Vaters und lauscht mit großen Augen der Erzählung. Ich kenne die Geschichte bereits, Derian hat sie mir schon oft erzählt. Sie handelt von einem tapferen Krieger, der auszieht um sein Glück und seine Bestimmung zu finden. Für Bahel ist es einfach nur eine spannende Geschichte, die Derian mit wilden Gesten und komischen Stimmlagen auflockert, doch ich erkenne die Parallelen zu meinem eigenen Leben. Zwar bin ich noch nie von zu Hause weg gegangen, aber ich spüre, dass es mich fort zieht. Gedankenverloren hänge ich die beiden Halfter an zwei Nägel an der Wand und schlendere hinüber zu Angathel, die die Kartoffeln in der Pfanne wendet.
"Es zieht ein Sturm herauf", sagt sie, ohne den Kopf zu drehen. Überrascht bleibe ich stehen.
"Ja, scheint so", erwidere ich abwesend. Nun schaut Angathel mich an.
"Was ist los mit dir?"
"Nichts", lüge ich. "Ich bin nur erschöpft."
Angathel sagt nichts dazu, sondern widmet sich wieder ihrer Arbeit. Da gebe ich mir einen Ruck.
"Naja, eigentlich ist da schon was. Ich fühle in der letzten Zeit so einen Drang, nun ja, rauszukommen, weg zu gehen und neues zu lernen. Ich möchte wissen wer meine Eltern sind", gebe ich zu. An der Reaktion der Frau bemerke ich, dass das ihre Absicht war.
"Das ist doch ganz normal, jeder will irgendwann mal von zu Hause weg."
Ich nicke und lasse es darauf beruhen. Angathel ruft alle zum Essen und wir setzen uns hin. Der Tisch ist gedeckt und Bahel setzt sich ganz brav auf seinen erhöhten Stuhl.
"Boah, bald brauchst du ja schon einen großen Stuhl", lobt Derian ihn und der Kleine strahlt.
Ich lächle und esse dann schweigend mein Essen. Stillschweigend treffe ich den Entschluss, später mit Derian und Angathel zu reden, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht in Ordnung ist. Die Beiden verhalten sich zwar ganz normal, aber ich spüre, dass sie etwas wissen was mich betrifft, wovon ich keine Ahnung habe. Als es draußen schon richtig dunkel ist und ein heftiger Wind in Böhen um das Haus fegt, gähnt Bahel einmal lang und streckt sich.
"Na komm, mein Kleiner", sagt Angathel liebevoll und nimmt ihn auf den Arm.
"Ich bringe dich jetzt ins Bett."
Bahel murmelt irgendetwas und lässt sich protestlos von seiner Mutter in sein Zimmer bringen. Gemeinsam mit Derian fange ich an, den Tisch abzuräumen und das Geschirr zu spülen. Dabei schweigen wir beide uns an, aber es ist ein friedliches Schweigen. Derian war mir gegenüber schon immer so, zurückhaltend aber liebevoll und ich liebe ihn wie meinen eigenen Vater. Wir sind gerade fertig, als es draußen blitzt und kurz darauf ein lauter Donner ertönt. Regen prasselt auf das Dach.
"Er schläft jetzt", informiert uns Angathel und schließt leise die Tür zum Kinderzimmer hinter sich. Dann kommt sie zu Derian und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Betreten schaue ich weg, doch ich höre leises Geflüster von den Beiden, und dass sie sich küssen.
"Jedwiga", spricht Angathel mich an. Ich blicke zu ihnen herüber, Derian hat beide Arme um seine Frau gelegt und schaut mich mit ernstem Blick an. Genauso hat er geguckt als sie mir die Wahrheit über meine Herkunft erzählt haben und ich muss unwillkürlich schlucken.
"Wie du weißt waren wir im nächsten Dorf. Dort haben wir jemanden getroffen, einen Elben aus Bruchtal", beginnt Angathel, meine Augen werden groß und ich will schon etwas sagen, doch sie redet schon weiter.
"Er überbrachte uns eine Botschaft."
Mit einem Gesichtsausdruck, der Trauer sowie Angst widerspiegelt wechselt sie einen Blick mit ihrem Ehemann, der dann das Wort ergreift.
"Der Elb sagte uns, dass man von dir gehört hätte. Man möchte, dass du nach Bruchtal kommst, gleich morgen früh."
Ich kann es nicht glauben. Unsicher blinzele ich, versuche das Gehörte zu verarbeiten.
'Bruchtal? Elben? Mich sehen?', schwirrt es mir durch den Kopf. An sich sind das doch keine schlechten Nachrichten.
"Das hört sich doch gut an", meine ich mit Freude in der Stimme, schon ewig will ich mal Personen von meinesgleichen kennenlernen, und jetzt laden sie mich persönlich zu sich ein! Doch etwas in den Mienen meiner Stiefeltern stimmt mich misstrauisch. Angathel senkt den Blick und ich sehe, dass sie die Tränen zurückhalten muss.
"Sie wollen dich ausbilden."
Ich komme immer noch nicht dahinter was sie damit meinen. Eine Ausbildung kann schonmal etwas länger dauern, aber das ist doch sicher kein Problem.
"Sie möchten, dass du bei ihnen lebst", bringt Angathel schließlich hervor.
"Oh", hauche ich.
"Du wirst morgen losreiten", sagt Derian mit leiser Stimme. Wie gelähmt bleibe ich stehen, unfähig mich zu rühren oder etwas zu sagen. 'Morgen werde ich meine Familie verlassen und für lange Zeit nicht wiedersehen.' Da kommt Angathel auf mich zu und schließt mich in ihre Arme. Ich bin etwas größer als sie, weshalb sich das etwas komisch anfühlt, aber ich erwidere ihre Umarmung.
"Mutter, es wird schon alles gut", flüstere ich beruhigend. Sie löst sich von mir und nickt.
"Immerhin wirst du jetzt mal etwas anderes lernen und erleben", versucht sie sich aufzuheitern und lacht erstickt auf. Ich gebe ihr ein sanftes Lächeln zurück und gehe zur Treppe, die zum oberen Stockwerk führt.
"Ich werde mich dann mal ausruhen."
Mein Blick streift noch einmal kurz über Derian und Angathel, die sich nun traurig umarmen, dann steige ich die Stufen herauf und gehe in mein Zimmer.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt