Der Angriff

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Wahrscheinlich wird Legolas erst heute Abend wieder da sein, das weiß ich aus Erfahrung. Deswegen gehe ich aufgeregt in mein Zimmer, immernoch überglücklich von dem Antrag des Prinzen. Immer wieder schaue ich den Ring an meinem Finger an um mich davon zu überzeugen, dass er noch da ist.
In meinem Zimmer angekommen, stürze ich mich sofort auf meine Schreibfeder und mein Tintenfass, hole einen Bogen Papier hervor und beginne sofort einen Brief an Arwen zu schreiben.
Ich erzähle ihr ganz aufgekratzt von meinem Erlebnis und bitte sie, Elrond noch nichts davon zu sagen, sollte ihr Brief früher ankommen als der für meinen Vater.
Schließlich bin ich fertig, versiegele das Kuvert und bringe es eigenhändig zu dem Boten, der bald aufbrechen wird.
Die ganze Zeit habe ich das Gefühl, dass man mir den Ring schon von weitem ansehen kann, was natürlich vollkommener Unsinn ist.
Wenig später bin ich bereits auf dem Rückweg zu meinem Zimmer, als ich beschließe in die Bibliothek zu gehen um mir ein Buch auszuleihen, was ich dann an einem ruhigen Ort lesen kann. Ein Bibliothekar kommt direkt auf mich zu, ein freundliches Lächeln im Gesicht, denn er kennt mich bereits sehr gut. Schon oft habe ich ihn um Rat gefragt, wenn es um Bücher ging die ich lesen wollte. Auch heute hilft er mir gerne aus und ich verlasse die Bibliothek mit einem mir noch unbekannten Buch.
Legolas hat mich einmal gefragt, ob ich nicht schon längst alle Bücher der ganzen Bibliothek durchgelesen haben muss, was ich aber lachend verneint habe. In Bruchtal ist es einmal fast soweit gewesen und Elrond ist beinahe verzweifelt bei dem Versuch, neuen Lesestoff für mich aufzutreiben. Da habe ich ihm zuliebe angefangen nicht mehr so viel zu lesen. Es war hart, aber ich habe es geschafft.
Ich suche mir einen Platz auf einem öffentlichen, aber momentan leeren Balkon, setze mich auf einen Stuhl und lese im hellen Sonnenlicht in dem Buch. Sanfter Wind rauscht in den Blättern der Bäume, die Vögel zwitschern fröhlich und fliegen munter umher.
Nach circa einer halben Stunde ertönt plötzlich ein schriller Schrei und ich springe erschrocken von meinem Stuhl auf. Das Buch rutscht zu Boden, doch ich beachte es nicht, sondern starre nur mit weit aufgerissenen Augen auf den Wald. Der Schrei war nah, beunruhigend nah.
Schon höre ich wie ein weiterer Trupp Krieger ausgesandt wird um die Kreaturen zu töten und erblicke kurz darauf schnelle Bewegungen in den Baumwipfeln. Erst jetzt registriere ich, dass die Vögel schlagartig verstummt sind.
Nachdem eine Weile lang nichts mehr zu hören ist, nehme ich das Buch wieder in die Hand, streiche die Seiten glatt, merke mir die Seitenzahl und verlasse den Balkon. Ich vertraue darauf, dass niemandem etwas passiert, aber die Orks könnten sich in die Nähe des Palastes wagen und ich habe keine Lust in Reichweite ihrer Bogenschützen zu sitzen. Legolas hätte auf jeden Fall etwas dagegen.
Ich gehe über die Wurzeln ins Innere der Höhle, dorthin, wo mir auf gar keinen Fall Gefahr droht. Wachen laufen vermehrt herum und auch wenn sie sich bemühen unauffällig zu bleiben, weiß ich, dass die Orks tatsächlich beunruhigend nah sind. Aber dann schiebe ich die düsteren Gedanken energisch von mir weg und denke lieber an Legolas, meinen Legolas.
Das warme Leuchten in seinen Augen, als er mir den Ring angesteckt hat, seine weichen Lippen bei unserem Kuss und seine starke Liebe zu mir. Gedankenverloren drehe ich den Ring an meinem Finger herum und gelange schließlich an die Tür zu meinem Raum. Im Inneren ist alles ruhig und ich genieße diese Stille für einen Moment.
Der Schrei des Orks hat mich erschreckt, und das, obwohl ich solche Schreie gewohnt bin.
Leicht fröstelnd lege ich das Buch auf meinen Nachttisch und setze mich mit dem Rücken zum Fenster auf mein Bett. 'Die Bedrohung aus dem Osten ist näher als jemals zuvor. Es wird bald etwas passieren, da bin ich mir sicher.' Da klopft es an der Tür und ich schrecke auf.
"Herein!"
Zu meiner Überraschung steht König Thranduil im Türrahmen und ich stehe schnell auf.
"Oh, mein Herr, verzeiht-"
"Ist schon in Ordnung, du musst dich nicht entschuldigen", unterbricht er mich und tritt ein. Er mustert mich aufmerksam und  sein Blick bleibt an meiner linken Hand hängen. Ein winziges Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen und er schaut mir in die Augen.
"Hat mein Sohn sich also getraut?", fragt er und ich meine Freude in seiner Stimme zu hören, gemischt mit Stolz. Ich nicke schüchtern.
"Ja, das hat er."
Thranduil nickt langsam, hebt fragend eine Augenbraue und streckt eine Hand aus.
"Darf ich... ?"
Ich nicke und der König nimmt meine Hand um sich den Ring genauer anzusehen. Ich zucke bei seiner Berührung leicht zurück, da seine Hände unnatürlich kühl für einen Elben sind, reiße mich dann aber zusammen.
"Ich freue mich für euch", meint Thranduil schließlich und lässt meine Hand los. Seine Stimme ist zwar kalt wie immer, aber er versucht wirklich etwas Leben in seine Worte fließen zu lassen.
"Danke, Herr", erwidere ich schüchtern, doch er winkt ab.
"Lass das bitte mit diesem 'Herr', du gehörst doch schon fast zur Familie. Ich bin Thranduil, aber du musst mich nicht duzen wenn dir das unangenehm ist."
Ich nicke.
"In Ordnung He- ähm, Thranduil."
Der König lächelt kurz, dann wird seine Miene wieder hart und kalt. Sofort ist er mir unangenehm wie sonst auch und ich hoffe, dass unser Gespräch nicht lange dauern wird.
"Weswegen seid ihr gekommen?", frage ich ihn.
"Eigentlich kam ich um mich bei dir zu erkundigen wie es dir geht, aber ich sehe schon dass du dich sehr gut fühlst."
Plötzlich dringt von draußen der Schrei eines Orks herein, ich wirbele erschrocken herum und eile zum Fenster.
Dunkle Wolken haben sich aus dem Nichts vor die Sonne geschoben und es ist bereits dämmrig.
Thranduil kommt neben mir ans Fenster und starrt grimmig auf den Wald.
"Das ist ein Angriff auf den Palast."
Er stürmt aus meinem Zimmer und brüllt auf dem Gang seinen Wachen Befehle zu, die bereits im Eilschritt zum Haupttor laufen. Ich folge ihm.
"Thranduil, was heißt das?", rufe ich ihm hinterher und er dreht sich um. Seine Augen glühen kalt und sein Gesicht ähnelt Stein.
"Alle müssen an der Verteidigung teilnehmen, auch du. Los, in zehn Minuten musst du am Tor sein!"
Ich nicke gehorsam und verschwinde in meinem Zimmer, um mich so schnell wie möglich umzuziehen. Mein Schwert nehme ich mit und renne danach zum Haupttor, um mir in der Waffenkammer meinen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen zu holen.
Am Haupttor ruft der zweite Anführer der Wache, da Legolas ja schon früher losgezogen ist, gerade Befehle und teilt die Elben in Gruppen ein. Ich werde kurz informiert in welchem Teil des Waldes sich die Orks befinden, dann werde ich meiner Gruppe zugewiesen und folge meinen Leuten. Unter ihnen ist der zweite Anführer selbst, Gwendolin und noch sieben andere Krieger die ich nicht so gut kenne.
"Unsere Aufgabe ist es, den Palast zu bewachen. Unter keinen Umständen dürfen die Kreaturen heineingelangen!"
Ich nicke mit den anderen zum Zeichen, dass wir alles verstanden haben, dann eilen wir über die Brücke auf die andere Seite des Flusses und klettern geschwind in die Bäume.
Dank meines Klettertrainings mit Legolas bin ich nun fast so geschickt wie eine echte Waldelbe in den Bäumen unterwegs und kann mit den anderen mithalten.
Nach einer Weile halten wir an und verteilen uns in den umstehenden Bäumen, die Bögen in der Hand und kampfbereit.
Doch wir warten, unsere Aufgabe ist es, lediglich sicherzustellen dass kein Ork in Richtung des Palastes entkommen kann. Und so hocken wir in den Bäumen, mucksmäuschenstill, perfekt getarnt durch unsere grüne Kleidung und harren aus. Angestrengt lausche ich auf irgendwelche Geräusche in der Umgebung, die mir einen Hinweis darauf geben könnten wo der Kampf stattfindet oder wie er verläuft, doch ich höre nichts dergleichen. Nur die Vögel beginnen zaghaft wieder zu singen, sonst ist alles ruhig.
Gwendolin, die im nächsten Baum zehn Meter links von mir sitzt, deutet fragend auf ihr Ohr und dann auf mich. Ihr Gehör ist nicht ganz so gut wie das eines Elben, da sie ja nur Halbelbe ist. Ich schüttele den Kopf und Gwendolin nickt knapp. 'War das am Ende etwa nur ein Ablenkungsmanöver, um uns vom Palast wegzubekommen? Oder wenn sie gar nicht hier entlang kommen?' Doch da fliegen einige Vögel mit einem Warnschrei auf und ich höre das Stampfen von Orkfüßen, die auf uns zukommen. Ein Blick hinüber zu Gwendolin zeigt mir, dass auch sie es gehört hat und ich packe den Bogen fester.
Einen Pfeil gespannt ziele ich in die Richtung, aus der die Geräusche kommen und lausche.
Wir haben uns einen guten Platz ausgesucht, denn die Orks laufen genau auf die Lichtung zu, sodass wir freies Schussfeld haben.
Da bricht eine Orkmeute von etwa vierzig Orks aus dem Gebüsch und stürmt brüllend über die Wiese. Sofort fliegen Pfeile aus den Bäumen auf sie herab und auch ich schieße.
Im ersten Moment der Überraschung bleiben die Orks verdattert stehen und viele von ihnen werden getötet, doch dann entdecken sie die Schützen in den Bäumen und beginnen ihrerseits zu schießen. Mit einem Schrei stürzt einer der Elben getroffen von seinem Ast auf den Boden hinunter. 
Ich springe von meinem Versteck hinunter auf den Waldboden und schieße von dort aus noch zwei Pfeile, bevor ich mich hinter einem Baum in Sicherheit bringe.
Zwei Pfeile sausen an mir vorbei, verfehlen mich aber um Meter.
Entschlossen packe ich mein Schwert, ziehe es aus der Scheide und springe hinter meinem Baum hervor um Mann gegen Mann gegen die Orks zu kämpfen.
Doch dieser Kampf ist nur von  kurzer Dauer, denn schnell sind alle Orks tot. Ich eile zu dem getroffenen Elben, doch es ist schon längst zu spät.
Abgesehen von diesem Elben sind alle unverletzt und wir machen uns auf ein Hornsignal des Palastes hin wieder auf den Rückweg.
Mit grimmiger Zufriedenheit stecke ich mein Schwert ein. Jeder Ork, der unter meiner Klinge stirbt, befriedigt meinen unbändigen Hass auf sie. 

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt