Ein Gewitter

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Jedwiga P.O.V.

In der Nacht träume ich unruhig. Immer wieder wache ich auf und bemühe mich, Legolas nicht zu wecken. Er liegt hinter mir, einen Arm um mich gelegt und schläft tief und fest. Hier in dieser Höhle müssen wir nicht Wache halten, deswegen schlafen wir beide gleichzeitig.
Nach einem besonders heftigen Traum schrecke ich auf und setze mich hin, sodass Legolas wach wird. In der Höhle ist es dunkel, aber eine einzelne Laterne, die wir angezündet haben, spendet etwas Licht.
"Jedwiga!"
Ich fühle wie Tränen an meinen Wangen herunterlaufen und auch seine Hände, die mein Gesicht umfassen. 'Warum ausgerechnet jetzt? Wieso ist der Schmerz wieder da?' Ich schluchze auf und Legolas zieht mich an seine Brust.
"Alles ist gut. Ich bin bei dir, es ist vorbei. Du bist in Sicherheit, es wird dir nichts geschehen."
Seine Stimme ist das einzige was ich wahrnehme, aber es ist gleichzeitig auch das, was mich beruhigt. Ich gebe mich ganz dem Klang seiner sanften Stimme hin, die leise beruhigende Dinge auf Sindarin murmelt, so wie damals mein Vater nachdem ich meine alte Familie verloren habe. Und genau wie damals beruhige ich mich langsam wieder und meine Tränen hören auf zu fließen.
Legolas streichelt mir mit einer Hand übers Haar und hält mich dann ein kleines Stückchen von sich weg, damit er mir in die Augen schauen kann.
"Geht es dir besser?"
Ich nicke, schniefe einmal und schenke ihm ein schiefes Lächeln. "Ansonsten erinnere dich einfach immer an all das Schöne was wir gemeinsam erlebt haben", meint er leise, nimmt meine linke Hand in seine linke und streicht mit dem Daumen über den Ring. Ein echtes Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht und Legolas küsst mich auf die Wange.
"Meinst du, du kannst jetzt weiterschlafen?"
Nach kurzem Zögern nicke ich wieder.
"Ich glaube schon."
Ich lege mich wieder hin, Legolas aber bleibt sitzen und schaut mich liebevoll an. Er beugt sich zu mir hinunter und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
"Ich bleibe wach bis du eingeschlafen bist. Gute Nacht", wispert er und ich schließe meine Augen.

Sobald die Sonne aufgeht, machen wir uns wieder auf den Weg aus der Höhle heraus weiter den Pfad entlang. Heras wird nun nicht mehr so nervös wenn er an der Kante entlangläuft und auch unsere Schritte sind sicherer. Legolas führt Heras wie gestern am Zügel hinter sich her und ich laufe vorneweg.
Zwei Stunden nach Mittag ändert sich allerdings schlagartig das Wetter und dunkle Wolken ziehen herauf. Kurz darauf beginnt es zu regnen, wenig erst, doch dann wird der Regen heftiger. Ich ziehe meine Kapuze über und drehe mich zu Legolas um, um ihm bei seiner zu helfen. Dankbar schaut er mich an und ich lächle.
Heras ist, seit das Wetter so umgeschwungen ist, unruhig und manchmal müssen wir stehen bleiben und ihn beruhigen. Durch den dichten Regenschleier können selbst meine Elbenaugen nicht mehr so gut sehen und der Pfad vor uns ist glitschig vom vielen Wasser. Der Regen rinnt an den Felswänden herab und an manchen Stellen haben sich förmlich kleine Rinnsale gebildet. Mit gesenktem Kopf laufen wir weiter, immer darauf bedacht nicht auszurutschen. Das Rauschen des Regens wird manchmal von einem fernen Donnerschlag übertönt, aber ansonsten hört man nichts. Mit den Wolken ist es sehr düster geworden, aber ab und zu erhellt ein Blitz die Umgebung.
Plötzlich schlägt ein Blitz direkt über uns ein und ein paar Felsbrocken lösen sich aus der Wand. Sie krachen nur knapp neben uns auf den Pfad, aber Heras erschrickt und scheut. Panisch reißt er an den Zügeln und Legolas verliert das Gleichgewicht. Als Heras ihn dann auch noch anstößt lässt er die Zügel los und stürzt über die Kante.
"LEGOLAS!"
Mein Schrei übertönt für einen Moment sogar das Grollen des Donners und ich hechte ihm hinterher, bleibe aber an der Kante stehen. Heras tänzelt unruhig und wiehert panisch, sodass er mich beinahe auch noch hinuntergestoßen hätte. Kurzerhand rufe ich ihm ein elbisches Wort zu, woraufhin der Hengst sich sofort beruhigt. Ängstlich schaue ich über den Rand nach unten, aber der Regen nimmt mir die Sicht.
Meine Brust wird vor Angst um meinen Verlobten schmerzhaft zusammengeschnürt und ich bekomme kaum noch Luft. 'Er kann nicht- nein, er kann nicht tot sein.'
"Legolas!"
Doch es kommt keine Antwort und Panik droht mich zu überwältigen. 'Was ist, wenn er abgestürzt ist und ich ihn nie wieder sehen werde?' Tränen bilden sich in meinen Augen, da erhasche ich plötzlich eine Bewegung, circa vier Meter unter mir. Ich beuge mich noch weiter vor, gerade so weit, dass ich nicht falle.
"Legolas!?"
Da taucht sein blonder Kopf unter mir auf und ich spüre wie sich Erleichterung in mir ausbreitet. Der Elb klammert sich an den kantigen Fels und zieht sich weiter nach oben. Schnell stehe ich auf und eile zu Heras, um ein Seil zu holen. Ich habe keineswegs vor einfach zu warten, während Legolas in Lebensgefahr schwebt und versucht zu mir zurück zu klettern.
Ich befestige das eine Ende des Seils mit zitternden Händen am Sattel von Heras. 'Er hat Legolas dorthin gebracht, nun wird er ihn auch wieder herholen.'
"Achtung!", rufe ich über den Lärm des Regens hinweg und werfe dann das Seil. Legolas bekommt es zu fassen und es spannt sich, als er sich daran hängt.
Elben sind zwar nicht besonders schwer, aber jemanden auf einem glitschigen, schmalen Pfad wieder nach oben zu ziehen erfordert Geschick und Kraft. Ich halte das Seil und Heras läuft langsam den Pfad weiter, sodass Legolas nach oben gezogen wird. Alles hängt gerade von mir ab, denn wenn ich das Seil loslasse fällt Legolas wieder nach unten und Heras zieht ihn nur immer weiter den Pfad entlang.
Da taucht Legolas an der Kante auf, ich packe sofort seinen Arm und ziehe ihn auf den sicheren Pfad zurück. Dabei falle ich nach hinten auf den Boden aber das ist mir egal.
Besitzergreifend klammere ich mich an Legolas fest, kaum dass er wieder auf dem Pfad kniet und will ihn am liebsten nie wieder loslassen. Mein Herz hämmert wie wild gegen meine Brust und die Angst sitzt mir noch in den Knochen, doch Legolas' Gegenwart beruhigt mich ein wenig.
Sanft erwidert er meine Umarmung, aber ich spüre auch seine Angst.
Im Fallen ist seine Kapuze nach hinten gerutscht und er ist nass, genau wie ich jetzt.
"Wir sollten uns einen Unterschlupf suchen", meine ich schließlich und Legolas nickt. Vorsichtig steht er auf und ich stehe sofort neben ihm um zu verhindern, dass er strauchelt. Halb hinter- halb nebeneinander gehen wir den glitschigen Pfad entlang hinter Heras her, der nach der nächsten Biegung am Eingang einer Höhle auf uns wartet.
"Da haben wir aber Glück gehabt", murmelt Legolas als wir uns durch den Spalt in die Höhle schieben. Heras kommt nach uns hindurch und bleibt dann stehen.
"Hast du dich verletzt?", frage ich Legolas besorgt und helfe ihm, seinen Bogen und Köcher abzulegen.
"Nein, ich konnte mich noch rechtzeitig festhalten."
Ich schaue ihn an und ziehe ihn dann fest an mich. Meine Lippen suchen seine und ich schenke ihm einen Kuss voller Sehnsucht und Liebe.
Die Angst ihn zu verlieren hat sich tief in mir festgesetzt und ich bin so froh ihn noch zu haben. Mir wird in diesem Augenblick bewusst, wie gefährlich die Welt doch ist, in der wir leben, und wie leicht man einander verlieren kann.
Legolas ist erst ein wenig überrascht über meine Heftigkeit, doch dann vergräbt er seine Hand in meinen feuchten Haaren und erwidert den Kuss ebenso heftig. Keuchend lösen wir uns voneinander und ich streiche sanft mit der Hand über seine nassen Haare.
"Wir bleiben hier bis das Unwetter vorbei ist", bestimme ich und er nickt nur. Wir essen etwas und setzen uns dann auf den Boden, eine trockene Decke um uns beide geschlungen und wärmen einander.
Elben wird zwar nie kalt, aber ich brauche diese Nähe zu Legolas so dringend, wie er sie brauchte nachdem er mich zweimal fast verloren hätte. Damals fand ich sein Verhalten ein wenig übertrieben, aber jetzt kann ich ihn absolut verstehen. Schweigend lauschen wir auf das Rauschen des Regens vor der Höhle und das gelegentliche Donnergrollen. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter und Legolas zieht mich mit einem Arm so eng an sich wie es nur geht. Dann unterhalten wir uns leise bis Legolas müde wird und gähnt.
"Ich glaube, du solltest ein wenig schlafen", meine ich lächelnd, hebe meinen Kopf und er kuschelt sich an mich.
"Vielleicht", murmelt er, schon halb im Schlaf. Dann schließt er seine blauen Augen und seine Atemzüge werden ruhig. Ich selbst bleibe wach und lausche auf die Geräusche von draußen und hier drinnen. Das Prasseln des Regens, der Donner, Heras' Schnauben, Legolas' gleichmäßige Atemzüge und leises Scharren wenn er sich bewegt. Sanft lege ich meine Hand an seine Wange und betrachte sein Gesicht.
Ich kann seinen Herzschlag spüren, seinen Geruch riechen und seine weiche Haut berühren. Doch er war so nah am Tod, dass ich es fast nicht glauben kann, dass er noch hier ist, bei mir, lebendig.
Erschöpft schließe ich ebenfalls meine Augen und versinke langsam in einer wohltuenden, ruhigen Dunkelheit.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt