Streit

2.2K 106 9
                                    

Nachdem uns Elrond entlassen hat, gehe ich erstmal alleine irgendwohin. Der Gedanke, dass Jedwiga uns auf diese gefährliche Reise begleiten wird, nagt an mir. Ich habe Angst um sie und es missfällt mir zutiefst, dass sie sich so in Gefahr begeben möchte. Mein Leben lang hat man mir auf verschiedene Weisen beigebracht, dass der Mann die Frau beschützt, immer für sie da ist und in Notzeiten alles für seine Familie tut. Bei den Elben ist das nicht ganz so ausgeprägt wie bei anderen Völkern und mittlerweile habe ich gelernt, dass das nicht richtig sein kann. Dennoch will ich nicht, dass Jedwiga mitkommt.
Ich gehe ziellos die Gänge von Bruchtal entlang und erfreue mich an der Schönheit dieses Tales, aber meine Gedanken kreisen unentwegt um die bevorstehende Reise. 'Wenn Jedwiga etwas zustößt werde ich mir das niemals verzeihen können.' Mein gegenwärtiger Zustand ist nicht wirklich gut und ich hoffe, dass sie mich nicht so findet. Denn sie hasst es, wenn man ihr Vorschriften machen will.
Gerade stehe ich auf einem Balkon mit Blick auf den Fluss, der sich vom höher gelegenen Talende herunterschlängelt, da höre ich leise Schritte hinter mir.
"Legolas? Ist alles in Ordnung?"
Ich schließe meine Augen beim Klang ihrer Stimme, drehe mich aber nicht um.
"Ja, es ist alles bestens", antworte ich, aber es scheint sie nicht zu überzeugen, dafür kennt sie mich einfach viel zu gut.
Sie kommt näher und ich fühle ihre Hand auf meinem Rücken, dann tritt sie neben mich. Sanft legt sie mir ihre andere Hand auf den Arm und ich öffne die Augen. Ihr besorgter Blick hält mich sofort fest und ich halte unwillkürlich den Atem an.
"Ich spüre dass es nicht so ist. Du weißt, du kannst mir alles sagen."
Doch ich antworte nicht sondern schaue sie nur an, da scheint sie zu erkennen worum es geht und seufzt genervt auf. Eine missmutige Falte bildet sich auf ihrer Stirn und sie nimmt ihre Hände von mir.
"Ist es schon wieder das?", fragt sie und ich höre Missbilligung in ihrer Stimme. Ich senke den Blick, kneife aber trotzig den Mund zusammen. Um jeden Preis will ich verhindern dass sie mitkommt.
"Legolas, das hatten wir doch schon. Ich komme mit, egal was passiert und du wirst mich davon nicht abbringen können."
"Und wenn ich deinen Vater mit einbeziehe?", frage ich sie und würde es am liebsten sofort wieder zurücknehmen. Doch dafür ist es zu spät und ich richte mich auf, um die Konsequenzen zu erwarten.
Jedwiga schaut mich entgeistert an, dann schüttelt sie den Kopf.
"Das wagst du nicht", zischt sie und ich sehe Wut in ihren Augen aufblitzen.
"Ich glaube sogar, dass er das sowieso machen wird. Und wenn ich ihm erzähle, dass du schwanger seist, lässt er dich auf keinen Fall mitkommen."
Entsetzen breitet sich auf ihrem Gesicht aus und sie tritt einen Schritt von mir weg.
"Das wirst du nicht tun", sagt sie leise mit erstickter Stimme und eine Träne glitzert in ihrem Augenwinkel. Augenblicklich will ich alles zurücknehmen, sie zu mir ziehen und trösten, doch das würde sie nicht zulassen.
"Doch, das werde ich wenn du mir keine andere Wahl lässt. Ich will nicht, dass dir etwas geschieht, versteh das doch."
Doch sie schüttelt den Kopf.
"Ich glaube nicht was ich da höre. Das würde der Legolas, den ich kennengelernt habe, niemals tun, er würde niemals lügen oder den Willen von irgendjemandem unterdrücken."
Ihre Stimme wird dabei lauter und ihre Trauer verwandelt sich in Wut.
"Warum willst du das überhaupt?"
"Damit du sicher bist, hier, bei deinem Vater", antworte ich mit fester Stimme, doch gleichzeitig merke ich, dass alles gewaltig schief läuft.
"In Sicherheit bei meinem Vater? Bist du jetzt etwa auch der Meinung, dass Frauen nicht kämpfen sollten und lieber zu Hause vor dem Herd stehen und die ganze Hausarbeit machen? Sich um die Kinder kümmern, den Männern Essen kochen und brav zu Hause bleiben während der Mann für sie kämpft? Willst du mich jetzt auch schon hüten wie einen Schatz, damit mir bloß nichts zustößt?", ruft sie aufgebracht und ich zucke zusammen.
"Nein, so meinte ich das doch gar nicht."
"So hört es sich aber für mich an. Du scheinst es geflissentlich zu übersehen, dass ich eine Kriegerin bin und du selbst mich in der Kunst des Bogenschießens ausgebildet hast. Oder bist du der Meinung, ich könnte nicht so gut kämpfen wie du und sei generell schwächer?"
Verzweiflung macht sich in mir breit, weil ich merke, dass ich die Kontrolle über die Situation verliere. Jedes meiner Worte hat sie verletzt und nun revanchiert sie sich dafür.
"Jedwiga, bitte, es ist nicht... ich wollte doch gar nicht..."
Meine Stimme bricht und ich schaue sie nur an. In ihrem Blick aber liegt keine Wärme, sondern nur Wut und Enttäuschung.
"Ich kenne dich nun schon sehr lange, Legolas Grünblatt, aber ich hätte nie gedacht, dass du so denken könntest. Vielleicht hat Orlindas ja recht und du bist nicht besser als alle anderen."
Ich zucke zusammen bei ihren Worten, die mir tief ins Herz schneiden und schaue sie verletzt an.
"Was? Du glaubst, ich könnte dir so etwas antun?"
Ihr läuft eine Träne die Wange hinab.
"Nicht so wie Orlindas es gemeint hat, aber vielleicht anders. Auf jeden Fall ist der Legolas, der mich mit zur Grenzpatrouille genommen hat, der mit mir gekämpft hat, nicht mehr da, oder vor mir versteckt."
Sie weint nun stärker und ihre Stimme beginnt zu zittern. Ich trete einen Schritt auf sie zu, doch sie hebt abwehrend die Hände und weicht vor mir zurück.
"Nein Legolas."
"Jedwiga, ich... das stimmt nicht. Bitte, es tut mir furchtbar leid was ich eben gesagt habe, i-ich wollte dich nie verletzen."
"Das hast du aber", sagt sie leise, dann dreht sie sich um und verschwindet vom Balkon.
"Jedwiga!", rufe ich ihr hinterher, doch sie kehrt nicht zurück. 'Was habe ich getan?'
Alleine bleibe ich erst eine Zeit lang auf dem Balkon stehen und versuche meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Jedwigas Worte haben sich tief in mein Herz gebohrt und ich spüre, wie mir nun ebenfalls Tränen über die Wangen laufen. Bei meinem Versuch sie zu schützen habe ich sie weiter von mir entfernt als sie es je war und mir wird mein Versagen schmerzlich bewusst. Kurzerhand verlasse ich den Balkon und laufe immer weiter, bis mich meine Beine geradewegs in den Wald getragen haben.
Es ist still und friedlich, nur ein paar Vögel sind zu hören und der Wind rauscht leise in den Blättern.
Ich laufe immer weiter, bis ich zu einem großen Baum komme. Dort bleibe ich stehen, lehne mich gegen ihn und schließe meine Augen. Die Tränen laufen nun ungehemmt über mein Gesicht und ich balle die Hände zu Fäusten. 'Das wollte ich alles doch überhaupt nicht, wie konnte das nur so schiefgehen?'
Ich will gar nicht daran denken wie es Jedwiga gerade geht, denn dabei krampft sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Sie hat mir vertraut, sie liebt mich und ich habe sie so verletzt.
"Es tut mir leid, Liebste", flüstere ich in den Wind und er trägt meine Worte fort, hoch in den Himmel zu den Sternen. Zwar sind sie noch nicht zu sehen, doch es wird bald Abend und die Sonne steht schon tief.
Nach einiger Zeit habe ich mich wieder ein wenig beruhigt und mache mich auf den Rückweg. Vielleicht kann ich das alles ja noch wieder hinbiegen.
Schon bald kommt Bruchtal in Sicht und ich atme tief durch, dann betrete ich wieder den belebteren Teil des Tals. Langsam gehe ich zum Speisesaal und halte dabei Ausschau nach Jedwiga, doch ich kann sie nirgendwo sehen.
Auch im Speisesaal selbst ist sie nicht, allerdings sind Elrond, Arwen, Aragorn und Gandalf schon da und sehen überrascht aus, als sie mich allein erblicken. Orlindas ist auch da, und bei seinem Anblick wird mir schlecht.
"Legolas, hast du Jedwiga gesehen?", erkundigt sich Elrond und ich hole Luft.
"Nein, das habe ich nicht."
Meine Stimme klingt nicht so ruhig wie immer und Elrond wirft mir einen prüfenden Blick zu, bevor er sich etwas zu essen nimmt.
"Das ist seltsam, normalerweise kommt sie nie zu spät", meint er und ich setze mich. Ich spüre den intensiven Blick von Arwen auf mir, schaue sie aber nicht an. Schließlich wendet sie sich ab und isst selbst etwas. Lediglich Orlindas sieht mich noch an und ein leichtes Lächeln umspielt seine blassen Lippen.
Da öffnet sich plötzlich die Tür und Jedwiga kommt herein. Sie sieht ein wenig blass aus und hält ihren rechten Arm unauffällig an ihren Körper gepresst. Ihr Blick ist gesenkt und sie schaut niemandem im Saal an. Bei ihrem Anblick krampft sich mir das Herz zusammen und meine Schuldgefühle werden noch stärker.
"Tut mir leid für die Verspätung, Ada", sagt sie leise. Elrond schaut sie besorgt an, nickt dann aber und Jedwiga setzt sich mir gegenüber hin.
Schweigend geht das Essen weiter, doch Jedwiga isst nichts.
Schließlich sind wir fertig und Orlindas verlässt als erstes den Raum. Sofort scheint eine unsichtbare Spannung von allen abzufallen und Elrond mustert seine jüngste Tochter besorgt.
"Jedwiga, was ist los? Du hast nichts gegessen."
"Es geht mir gut, Ada", murmelt sie, doch man sieht ihr sofort an, dass das nicht stimmt.
"Lasst uns bitte kurz alleine", meint Elrond zu uns und Aragorn, Arwen und Gandalf stehen auf und verlassen den Saal. Arwen schaut noch einmal besorgt zu ihrer Schwester hinüber, da wird sie sanft von Aragorn weitergezogen.
"Du auch, Legolas."
Gehorsam stehe ich auf und gehe zur Tür, auch wenn alles in mir danach schreit zu bleiben. Ich verlasse den Raum und die Türen schließen sich hinter mir.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt