In der Nacht

3.2K 149 12
                                    

Nach einer kurzen Wäsche, um die Spritzer von Orkblut von meinem Gesicht zu bekommen, ziehe ich mir hastig ein anderes Gewand an und eile dann zurück zum Haus der Heiler.
Doch die Tür ist immernoch geschlossen und ich widerstehe der Versuchung anzuklopfen. Stattdessen warte ich unruhig vor der Tür, hinter der sich alles zutragen könnte, ohne dass ich etwas tun kann. Da ab und zu Elben vorbeikommen, bemühe ich mich um ein gelassenes Erscheinungsbild, doch im Inneren bin ich ein nervliches Wrack, und genau diese Tatsache überrascht mich.
Nach einer halben Stunde erscheint mein Vater und schaut mich mit Verblüffung an.
"Legolas, Sohn, was machst du hier? Man hat mir Bericht erstattet über das, was geschehen ist."
"Dann weißt du gewiss auch, dass Jedwiga verwundet wurde", sage ich zu ihm und senke den Blick. Doch mein Vater kennt mich viel zu gut.
"Dir liegt etwas an ihr, nicht wahr?", fragt er mich sanft und ich schaue ihn überrascht an.
So ist er sonst nicht. Dann nicke ich leicht.
"Ja."
Meine Stimme klingt seltsam rau und ich räuspere mich.
"Der Gedanke, sie zu verlieren ist furchtbar. Ich würde es nicht überleben."
Mein Vater schweigt und schaut mich nachdenklich an.
"Du liebst sie", stellt er nüchtern fest und ich zögere bei meiner Antwort.
"Ja", antworte ich schließlich und ich spüre, dass es die Wahrheit ist.
Erleichterung breitet sich in mir aus, jetzt, da ich mir meiner Gefühle sicher bin. Allerdings wird gleichzeitig auch meine Sorge um Jedwiga größer, denn falls sie stirbt, werde ich es ebenfalls tun und nichts wird mich davor retten können. Und momentan ist sie dem Tode näher als jemals zuvor.
Mein Vater nickt langsam und geht dann wieder, lässt mich alleine.
Nach einer Stunde öffnet sich endlich die Tür und der oberste Heiler tritt heraus. Sofort springe ich von dem Stuhl, der dort steht, auf und schaue ihn erwartungsvoll an. Sein Gesicht ist ernst, und erst befürchte ich das Schlimmste, doch dann holt er tief Luft und beginnt zu sprechen.
"Wir haben die Blutung gestillt, ihre Wunde verbunden und ihr etwas gegen die Schmerzen und das Gift gegeben, allerdings hat sie Fieber bekommen. Wir wissen nicht wieso, aber eventuell ist es die Reaktion ihres Körpers auf das Gift. Momentan können wir nichts tun, außer warten was der neue Tag bringt."
"Sie wird also wieder gesund?", frage ich ihn ein wenig aufgebracht und er wiegt den Kopf unsicher von einer Seite zur anderen.
"Wie gesagt, wir wissen es nicht. Vielleicht überlebt sie die Nacht nicht, vielleicht aber doch."
"Dann bleibe ich die Nacht über bei ihr", bestimme ich und unterdrücke das Zittern in meiner Stimme. Der oberste Heiler nickt.
"Ich werde euch ein Lager einrichten lassen. Holt mich aber sofort falls sich ihr Zustand irgendwie verändert."
Er bedenkt mich mit einem ernsten Blick, dann lässt er mich vor der Tür stehen. Vorsichtig trete ich auf sie zu und schaue hindurch.
Große Fenster gegenüber der Tür lassen das bereits rötliche Licht hereinscheinen und tauchen den Raum in eine warme Stimmung. Jedwiga liegt auf einem Bett, nun in ein weißes Kleid gekleidet, welches am linken Ärmel aufgeknöpft werden kann, und atmet ruhig und gleichmäßig. Ihre Augen sind geschlossen und sie sieht immernoch blass aus. Unter dem Kragen ihres Kleides kann ich den weißen Verband um ihre Schulter sehen und ich schlucke. Leise betrete ich den Raum und stelle mich zu ihr ans Bett. Ihr Gesicht ist schweißüberströmt und sie strahlt eine unnatürliche Hitze aus. Dennoch sieht sie wunderschön aus, und unwillkürlich strecke ich einen Arm aus um ihr Gesicht zu berühren.
Zwei meiner Finger streichen über ihre Wange, dann nehme ich ihre Hand und schaue sie schweigend an. Gegen die Hitze ihres Körpers sind meine Hände kühl, ja fast schon kalt.
Nur am Rande bekomme ich mit, dass einige Personen den Raum betreten und ein Lager für mich neben ihrem aufbauen, denn mein Blick bleibt die ganze Zeit auf ihr Gesicht gerichtet.
"Mein Herr Legolas, ihr solltet ein wenig schlafen", sagt eine sanfte Stimme neben mir, doch als ich mich nicht bewege, wird ein Stuhl neben mich gestellt.
Dann verlässt jemand den Raum und die Tür wird leise geschlossen. Mittlerweile ist es draußen dunkel geworden und der Mond scheint herein. Im silbernen Licht sieht Jedwiga noch schöner aus und mir stockt der Atem. Doch dann spüre ich die Erschöpfung meines Körpers, lege Jedwigas Hand behutsam auf ihren Bauch und setze mich auf mein Lager. Ich lege mich hin, drehe mich auf die Seite und betrachte ihr Profil auf dem Bett. Dann schlafe ich ein, jedoch habe ich unruhige Träume.

Später in der Nacht werde ich von einem Geräusch geweckt und bin sofort hellwach. Die Geräusche kommen von Jedwigas Bett und ich trete neben sie. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich aufgestanden bin. Die junge Elbe hat den Kopf zur Seite gedreht, sie zittert am ganzen Körper und doch ist sie schweißüberströmt. Unruhig murmelt sie vor sich hin und zuckt immer wieder zusammen. Ihr Atem wird schneller und auch ihre schwachen Bewegungen verraten äußerste Angst. Ihre Augen bewegen sich unter ihren Lidern und sie runzelt immer wieder die Stirn oder zieht die Augenbrauen zusammen. Ab und zu entweicht ihr ein leises Wimmern. 'Sie träumt schlecht.' Ein wenig hilflos stehe ich neben ihr, bis ich ihre Hand nehme und mich auf den Stuhl an ihr Bett setze. So wache ich neben ihr, ihre heiße Hand haltend und unruhig abwartend was geschieht.
Der Mond ist inzwischen weitergewandert, aber es ist immernoch dunkel und die Sterne leuchten am Himmel. Doch dafür habe ich keine Augen.

Jedwiga P.O.V.

Ich bin irgendwo im Dunkeln. Ich sehe rein gar nichts, aber ich höre Schreie und Kreischen. Es sind die schmerzvollen Schreie meiner Eltern und Bahel.
Dann stehe ich in einem kalkweißen Raum, vor mir sitzen auf zwei Stühlen einmal Elrond und einmal Thranduil. Beide sehen nicht so aus wie die Personen die ich kenne, aber ich bim trotzdem fest davon überzeugt, dass sie es sind. Beide bitten mich darum, ihre Fesseln zu lösen, doch keiner von beiden ist in irgendeiner Weise gefesselt.
Plötzlich falle ich hinunter in die Dunkelheit zurück und eine Stimme flüstert mir grausige Dinge ins Ohr. Verzweifelt presse ich beide Hände auf meine Ohren, doch die Stimme ist in meinem Kopf.
"Sie werden alle sterben, alle die du liebst! Und du wirst machtlos sein!"
Da tauchen vor mir Flammen auf und ich sehe meine alte Familie zusammen inmitten des Feuers stehen. Ausdruckslos stehen sie da, Bahel auf Angathels Arm und Derian, der einen Arm um seine Frau gelegt hat, und starren mich an. Dabei ruft die Stimme weitere schreckliche Dinge.
"Hör auf! Hör auf!", schreie ich, da werde ich auf einmal aus diesem Albtraum gerissen.

"Jedwiga, alles ist gut. Ich bin bei dir."
Kühle Hände umfassen mein Gesicht und ich öffne meine Augen.
Mir ist so heiß, ich kann kaum atmen und meine Schulter schmerzt so stark, dass ich beinahe in Ohnmacht falle. Ich kann den ganzen linken Arm nicht bewegen, meine Sicht ist verschwommen und ich zittere am ganzen Körper.
"Legolas", hauche ich und das verschwommene Gesicht mit den hellen Haaren wird etwas klarer.
"Ja. Ich bin hier", antwortet es, dann sehe ich schemenhaft das schöne Gesicht des Prinzen.
Er leuchtet silbern und seine blauen Augen schauen mich besorgt an.
"Das kann nicht sein. Er ist ein Prinz, er würde niemals... niemals bei mir bleiben."
Ich keuche auf vor Schmerz und eine der kühlen Hände legt sich auf meine Stirn.
"Das ist nur ein weiterer Fiebertraum", flüstere ich mühsam und merke, wie ich wieder in meinen Dämmerzustand zurückgleite.
"Nein, ist es nicht."
Doch den Rest bekomme ich nicht mehr mit, denn da verliere ich wieder mein Bewusstsein und alles um mich herum wird schwarz. Das letzte, was ich spüre, sind diese kühlen, weichen Hände an meinen Schläfen.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt