Ein Fest

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Nach der "Zeremonie" gibt mein Vater ein kleines Fest. Die geladenen Elben kommen zu mir und gratulieren mir erneut, oder überhaupt. Ich strahle über das ganze Gesicht, schüttele Hände und spreche mit den Leuten. Arwen hat sich bei mir eingehakt und schaut die ganze Zeit stolz zu mir. Sie ist meine - um einiges - ältere Schwester und ich bin endlich "erwachsen".
Es gibt dann Essen und mir wird ein Ehrenplatz neben Elrond zugewiesen. Mein Stuhl ist mit Blüten und lebendigen Pflanzen verziert und ich muss bei diesem Anblick an meine alte Familie denken. Angathel hat jedes Jahr an meinem Geburtstag meinen Stuhl am den Kopf des Tisches gerückt und genauso geschmückt.
Die Erinnerung schmerzt, aber nicht so sehr wie am Anfang. Arwen bemerkt meine plötzliche Trauer und legt eine Hand auf meine Schulter.
"Ist alles in Ordnung?", fragt sie mich besorgt und schaut mir in die Augen. Ich hebe den Blick und nicke.
"Angathel hat es auch immer so gemacht", erwidere ich leise und lächle traurig. Arwen streicht mir sanft über den Rücken.
"Du kannst es entfernen lassen, wenn du willst."
Doch ich schüttele den Kopf.
"Nein. So ist es richtig. Sie würden es auch so haben wollen."
Ich setze mich vorsichtig auf den Stuhl, darauf bedacht die Dekoration nicht zu beschädigen. Elrond lässt sich neben mir nieder und Arwen setzt sich an seine andere Seite. Dann hebt er seinen Kelch und alle tun es ihm nach.
"Auf Jedwiga."
"Auf Jedwiga!", schallt es zurück und manche prosten mir zu. Schüchtern verstecke ich mein Gesicht hinter dem Kelch und trinke die klare, leicht süßlich schmeckende Flüssigkeit. Schließlich beginnt das Essen und ich stehe nicht mehr so im Mittelpunkt, was mir äußerst Recht ist. Als ich mit meinem Mahl fertig bin, spricht mich mein Vater an.
"Und, wie fühlt man sich als frischgebackene Kriegerin?", fragt er mich mit einem Zwinkern.
"Es ist wundervoll", sage ich lächelnd und Elrond nickt.
"Allerdings ist deine Ausbildung noch nicht abgeschlossen, das ist dir doch bewusst, nicht wahr?"
Ich nicke verunsichert, weil ich nicht weiß, worauf Elrond hinausmöchte.
"Gut. Du bist nun eine Meisterin des Schwertkampfes, aber die Kunst des Bogenschießens hast du noch nicht gelernt. Es ist immer besser mehrere Möglichkeiten im Kampf zu haben."
Ich nicke erneut und Aufregung macht sich in mir breit. 'Heißt das vielleicht, dass ich Bruchtal verlassen muss?' Bei dem Gedanken werde ich ganz kribbelig und hänge sofort an den Lippen meines Vaters.
"Hier in Bruchtal können wir dir das zwar auch beibringen, aber ich weiß um deinen Wunsch, die Welt zu sehen. Deshalb habe ich einen Briefwechsel mit einem alten Freund gehabt, und dieser erklärt sich bereit, dich auszubilden. Du wirst in drei Tagen zum Düsterwald aufbrechen, dort erwartet dich König Thranduil bereits. Die Waldelben sind weithin als die besten Bogenschützen bekannt, und du bist bei ihnen bestens aufgehoben."
Fassungslos starre ich meinen Vater an, dann breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus und ich falle ihm um den Hals.
"Danke! Vielen, vielen Dank, Ada!"
Freude erfasst mich und ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Er lacht auf und schaut mich dann warm an.
"Ich wusste, dass es dir gefallen würde", meint er und Arwen grinst vielsagend. Doch ich frage sie nicht, was los ist, denn plötzlich machen sich alle Elben auf in einen anderen Saal, zu Musik und Gesang. Fröhlich folge ich ihnen und Arwen läuft mir hinterher.
In dem Saal brennt im Kamin ein helles, warmes Feuer und eine Gruppe von Musikern steht bereits bereit. Sie beginnen die ersten Töne zu spielen und ich ziehe Arwen auf die Tanzfläche.
"Komm schon", lache ich.
Ich liebe das Tanzen, und da uns nie jemand dazu auffordert - weil Elrond keinen Elb an uns heranlässt - tanzen Arwen und ich zusammen. Dabei haben wir unglaublich viel Spaß, und irgendwann gelingt es uns auch unseren Vater zu einem Tanz zu überreden. Mit einem milden Lächeln ignorieren ihn seine Wachen und Untergebenen als er mit Arwen und mir tanzt.
Es ist schon spät in der Nacht, als ich mich von dem lustigen Treiben verabschieden muss. Obwohl ich nun über zweihundert Jahre alt bin, brauche ich meinen Schlaf. Arwen bringt mich noch zu meinem Zimmer, doch alle anderen winken mir zu und manche wünschen mir eine gute Nacht. Mein Vater legt mir kurz eine Hand auf die Schulter, dann lässt er uns gehen. Arwen läuft mit mir durch die Gänge, bis wir auf meine Bitte hin einen kleinen Umweg unter dem Sternenhimmel machen.
"Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich dir die Sterne gezeigt habe. Ich musste dich damals dazu überreden, und nun ist das gar nicht mehr nötig", meint Arwen und wir lachen gemeinsam.
"Ja, früher hätte ich auch ein solches Fest nicht genießen können", antworte ich und schaue hoch zu den silbernen Sternen.
"Und du gehst also in den Düsterwald?", fragt mich meine Schwester nach einer kleinen Weile und ich nicke eifrig.
"Ja! Ich freue mich schon so sehr darauf, das wird bestimmt super! Stell dir vor, ich werde den König der Waldelben kennenlernen! Und ich werde die Welt sehen."
Den letzten Satz füge ich etwas leiser hinzu und schaue nachdenklich hinauf in den Himmel. Arwen stupst mich sanft an.
"Hey, warum denn so traurig?"
Ich schaue sie an und schüttele den Kopf.
"Nicht traurig. Ich... ich habe glaube ich, jetzt da es soweit ist, ein wenig Angst davor, euch zu verlassen. Du weißt, das letzte Mal, als ich meine Familie verlassen habe, sind sie..."
Meine Stimme erstirbt und ich schlucke schwer. Arwen legt mir einen Arm um die Schultern.
"Hab keine Angst. Ada und ich können sehr gut auf uns aufpassen."
Schweigend gehen wir weiter, während ich über dies nachdenke. Der Schmerz ist wieder da, und auch die Angst, doch ich schlucke sie hinunter und schaue mit guten Gefühlen in die Zukunft.
"Danke Arwen. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich wäre."
"Ich würde mal sagen, Einzelkind", meint sie grinsend und bringt mich so wieder zum lachen.
"Da hast du wohl recht."
Dann gehen wir wieder ins Haus und gelangen nach kurzer Zeit an mein Zimmer.
"Na dann, gute Nacht. Bis morgen."
Arwen nimmt mich noch einmal fest in den Arm, bevor sie mich alleine lässt. Ich schaue ihr hinterher, dann öffne ich mit einem tiefen Atemzug dir Tür zu meinem Zimmer und trete ein. Es ist dunkel im Zimmer, aber ich kann trotzdem alles sehen. Es ist genauso, wie ich es verlassen habe, nur das Bett ist gemacht und die Fenster sind geschlossen. Auf meinem Nachttisch liegen zwei Bücher und das Holzpferdchen von Bahel, was ich damals aus dem Haus mitgenommen habe. Ich lege mein Schwert, welches ich mitgenommen habe, auf die Truhe am Fußende meines Bettes, ziehe mein Kleid aus und mache mich für die Nacht fertig, dann setze ich mich auf mein Bett. Vorsichtig nehme ich das Pferdchen in die Hand und betrachte es nachdenklich. Seit dem Tag, an dem ich es gefunden habe habe ich es nicht mehr so genau angesehen wie jetzt. Plötzlich sehe ich wieder Bahel vor mir, wie er unter dem Tisch saß und mit dem Pferdchen spielte. Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken daran, dass der kleine Bahel niemals auf einem Pferd gesessen hat, niemals groß geworden ist und niemals die Freuden des Lebens erlebt hat.
Mit einem traurigen Lächeln stelle ich das Pferdchen wieder an seinen Platz auf dem Nachttisch und lege mich in mein Bett.
Dann drehe ich mich so, dass ich es ansehen kann. Die Trauer ist mein ständiger Begleiter, genauso wie der Schmerz über ihren Verlust. Aber ich lebe damit, und mittlerweile weine ich auch nicht mehr. Noch bin ich nicht vollständig geheilt und befürchte, dass das auch nie geschehen wird, auch wenn Elrond, Galadriel und Gandalf etwas anderes behaupten.
Erschöpft schließe ich die Augen und blende alles aus, was mir einen unruhigen Schlaf bescheren könnte.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt