Der Schmerz des Prinzen

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Auf meinem Zimmer beschließe ich, endlich einmal meine Satteltaschen endgültig auszupacken und den Brief an Arwen zu schreiben, um mich damit abzulenken.
Meine Kleidung hänge ich in meinen Schrank, die Karte von Peliorian lege ich mit ein paar anderen Dingen in eine der Schubladen meines Nachttisches. Schließlich fällt mir das kleine Holzpferdchen von Bahel in die Hände.
Die angesengten Stellen sehen gar nicht mal so schlecht daran aus, allerdings ist einer der hinteren Füße stärker angekohlt. Mit einem traurigen Lächeln stelle ich es auf den Nachttisch, dort wo es immer stehen soll. Die Satteltaschen packe ich kurzerhand in die Truhe, dann setze ich mich leise seufzend darauf.
Der Brief liegt fertig neben mir, da ich ihn als erstes geschrieben habe, ich muss ihn nur noch zu einem Boten bringen.
Der Tag war ungewöhnlich anstrengend, auch wenn ich hartes Training gewohnt bin, und ich bin jetzt schon müde. Dabei ist es noch nicht einmal Abend.
Nach kurzer Überlegung stehe ich auf um nach draußen zu gehen. Mit draußen meine ich den Palast, denn da ich für längere Zeit hierbleiben werde, sollte ich den Palast etwas besser kennen als nur wie ich rein und raus komme.
Also verlasse ich mein Zimmer und stöbere im Palast herum, gehe mal hier und mal dort lang, schaue in leere Räume und versuche mir alles einzuprägen. Die Elben, die mir entgegen kommen, nicken höflich oder lächeln kurz.
Doch irgendwann kommt mir niemand mehr entgegen und ich werde langsamer. Plötzlich geht rechts von mir eine Tür auf und Legolas tritt heraus. Hinter ihm erhasche ich einen Blick auf ein Schlafzimmer mit einem Bett, ganz ähnlich wie meins aber größer und schöner.
Als der Prinz mich sieht, bleibt er verblüfft stehen und starrt mich an. Ich starre zurück, zu überrascht um etwas zu sagen. 'Da bin ich doch glatt zu Legolas gelaufen.' Dann fällt mir siedendheiß etwas anderes ein. 'Oh nein, was denkt er jetzt wohl davon?' Der Gedanke, dass er glauben könnte, dass ich ihm hinterherlaufe beschert mir leichte Übelkeit. Doch falls er so etwas gedacht hat lässt er es sich nicht anmerken.
"Frau Jedwiga. Was macht ihr denn hier?"
"Ich wollte mich nur etwas besser auskennen, damit ich nicht immer einen Begleiter brauche, nur um von meinem Zimmer nach draußen oder sonstwohin zu kommen."
Er hebt eine Augenbraue.
"Nun, aber hier befinden sich die Zimmer der Männer, noch dazu die königlichen Gemächer. Das muss euch doch aufgefallen sein."
Ich spüre, wie meine Wangen anfangen zu glühen.
"Nein, ist es mir nicht. Außerdem hat niemand mich aufgehalten, deswegen bin ich auch nicht umgekehrt", sage ich leise und senke den Kopf, damit er meine geröteten Wangen nicht sieht. Doch da höre ich sein leises Lachen und hebe den Kopf.
"Was ist?", frage ich unsicher.
"Ach nichts", antwortet Legolas grinsend.
"Wo wollt ihr überhaupt hin?"
Ich zucke mit den Schultern.
"Ich habe keine Ahnung."
"Gut, denn ich habe eine Idee. Kommt."
Er läuft voraus und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm hinterher zu eilen.
"Hey! Wohin gehen wir?"
"Nach ganz oben. Kommt, wir müssen uns beeilen, sonst ist es zu spät."
"Zu spät für was?"
Doch Legolas antwortet nicht sondern fliegt förmlich die Treppen hinab, so elegant und schnell ist er. Ich tue es ihm nach und wir beide rennen durch den Palast des Waldlandreiches. Dieser Gedanke ist so absurd, das ich fast schon grinsen muss.
Die Elben auf den Wegen weichen erschrocken aus als der Prinz mit großen Schritten an ihnen vorbeieilt und ich ihm kurz darauf folge.
Wir laufen eine Wendeltreppe, die an einer senkrechten Wurzel nach oben führt, hoch und kommen am Ende zu einer Öffnung in der Felswand. Dort bleibt Legolas stehen und lässt mir lächelnd den Vortritt. Ich trete durch die türgroße Öffnung auf eine terrassenartige Plattform am höchsten Punkt des Berges und schaue mich staunend um. Von hier aus kann man den ganzen Düsterwald überblicken.
Da erkenne ich, warum wir uns so sehr beeilt haben: die Sonne ist gerade dabei unterzugehen und wirft orange-rote Strahlen auf die Landschaft unter ihr. Die wenigen Wolken am sonst blauen Himmel werden ebenfalls von unten angestrahlt und die Stimmung ist friedlich und schön.
Ich setze mich an den Rand der Plattform und schaue dem Sonnenuntergang zu. Legolas setzt sich zu mir, aber in einem annehmbaren Abstand.
Eine Weile lang sitzen wir schweigend da und beobachten wie die Sonne langsam tiefersinkt, bis sie mit dem untersten Rand den Horizont berührt.
Es ist nichts zu hören außer dem fernen Rauschen der Baumwipfel unter uns und ich genieße diese Stille. Auf einmal räuspert sich Legolas.
"Jedwiga", setzt er an, verstummt dann aber wieder. Ich drehe den Kopf und schaue ihn fragend an.
"Ja?"
"Nichts", sagt er schnell und sieht mir in die Augen. Seine sind immernoch so kalt-blau und ich muss unwillkürlich an das denken, was Elrond damals zu mir sagte, über solche Augen.
"Wen habt ihr verloren?", murmele ich nachdenklich und lege den Kopf leicht schief. Legolas verkrampft sich plötzlich und wendet den Blick ab.
"Wieso fragt ihr?"
"Eure Augen. Nichts für ungut, aber sie sind eiskalt."
"Eure aber auch", gibt er brummelnd zurück, aber er ist keineswegs in einer scherzhaften Stimmung. Sein Blick ist auf irgendwas in der Ferne gerichtet und er sieht unendlich traurig aus.
"Ich habe als ich klein war meine Mutter verloren", beginnt er leise und mit unverkennbarem Schmerz in der Stimme.
"Damals habe ich das erst nicht verstanden und da ich meine Mutter noch nicht lange kannte, war der Schmerz über ihren Verlust zwar da, aber nicht so stark. Aber als wäre das noch nicht genug, habe ich mich unglücklich verliebt. Sie erwiderte meine Gefühle nicht, sondern verliebte sich in einen Zwerg. Und als dieser starb, verschwand sie vor vierzig Jahren nach der Schlacht am Erebor. Seitdem sind meine Augen wie sie sind."
Er schließt sie und atmet tief durch. Da lege ich ihm, wie er heute schon bei mir, eine Hand sanft auf den Unterarm, doch er nimmt sie und verschränkt seine Finger mit meinen. Das fühlt sich überraschenderweise nicht so schlimm an wie ich gedacht hätte und ich lasse es geschehen.
"Jedenfalls versuche ich seitdem damit zu leben, genauso wie ihr."
Er schaut mich von der Seite her an, ohne meine Hand loszulassen. Ein Kribbeln breitet sich von dort auf meiner Haut aus und ich erschauere.
Dann löst er sanft unsere Hände auseinander und ich lege meine in meinen Schoß. Sie kribbelt immernoch und ich kann die Stellen, die er berührt hat, noch spüren. 'Nein, nein, nein, du lässt dir von diesem Prinzen nicht den Kopf verdrehen. Ihr habt zwar viel gemeinsam, aber das muss nichts heißen. Vielleicht ist er trotzdem wie die anderen.' Also richte ich meinen Blick wieder auf den Sonnenuntergang und nicke nur. Ich möchte darüber nicht reden, nicht hier, nicht jetzt.
Dieser Augenblick soll nicht zerstört werden.
Schnell ist die Sonne untergegangen und die ersten Sterne erscheinen am Firmament. Die Sterne hier sind ganz anders als über Bruchtal und ich erkenne nur wenige der Sternenbilder. Doch nach einer Weile wird es kühl.
"Wollen wir wieder rein gehen? Immerhin müssen wir morgen früh raus", meine ich zu Legolas und er nickt wortlos. Ich erhebe mich und Legolas folgt mir die Treppe hinunter. Da trennen sich unsere Wege und ich wünsche ihm noch eine gute Nacht.
Der Prinz lächelt einmal kurz, dann geht er in Richtung seines Schlafzimmers. Auch ich mache mich auf dem Weg und komme nur wenig später dort an. Mit einem Seufzen lasse ich mich auf mein Bett fallen und bin nur Momente später eingeschlafen.

Hallo, ihr lieben, fleißigen Leser! Danke für die über 500 reads und über 100 votes! Ihr seid super! ^^
Das Bild zu dem Kapitel habe ich von LotR Amino, aber ich weiß nicht mehr von wem.  Aber ich finde, es passt ganz gut zu dem Inhalt in diesem Kapitel :3

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt