98°*

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Nachdenklich starre ich in den Himmel, der sich in violette orange Töne färbt.
Es ist gerade mal fünf Uhr morgens, die frische Luft patscht auf meiner Haut und hinterlässt eine leichte Gänsehaut.
Es fühlt sich gut an die kühle Luft in meinen Lungen zu spüren und dem stickigen Krankenhausgeruch zu entfliehen.
Die Straßen füllen sich langsam mit Autos und Leuten, die zur Arbeit fahren.

Es ist Anfang der Woche und es kommt mir immer so vor, ob mehr Menschen unterwegs sind als Mitte der Woche beziehungsweise Ende der Woche.
Sie laufen an mir vorbei, beachten die Frau nicht, die am Bordstein sitzt und in Gedanken die Umgebung betrachtet.
Ich bin etwas neidisch, wie wenig sie sich die alltäglichen Probleme ansehen lassen, mir sieht man die Erschöpfung nämlich an.
Nach dem Gespräch mit meinem Bruder und Co brauchte ich etwas Zeit für mich um meine ganzen Gedanken zu sortieren.
Das mit Luca zieht mich auch mit, obwohl es eigentlich nicht so sein sollte.
Er ist ein Teil von mir, er war es schon immer und auch wenn Luca jetzt über alle Berge ist, wird immer ein Teil von mir an ihn denken und sich fragen: Was aus uns geworden wäre, wenn es Jason nicht gäbe.
Doch ich muss in der Gegenwart leben, anstatt immer an der Vergangenheit hängenzubleiben.
Ich habe mich bemüht unsere Beziehung zu retten, mehr als nur einmal und am Ende hab ich es selbst gesehen, was es mir bringt an Erinnerungen festzuhalten die mir Glück und Leid zugleich gebracht haben.
Hier ist eine neue Lola eine die sich nicht unterkriegen lässt von einem Mann, der mich immer nur rumkommandiert hat mir Schmerzen zufügte und immer nur das Schlechte für mich wollte.

Das letzte Stück der Zigarette drücke ich auf dem Asphalt aus und werfen den Filter in die nächste Mülltonne.
Ich treffe nicht und bevor ich mich vom Boden aufsetzen möchte, tauchen plötzlich die weißen Sneakers von Gabe vor mir auf und er schüttelt den Kopf als ich zu ihm hochschaue.

»Mutternatur wird nicht sehr begeistert sein, wenn sie das sieht«.

»Entschuldige«, wispere ich nur vor mich hin. Gabe hebt das Stück vom Boden auf und trifft in die nächste Mülltonne.

»Willst du mir erzählen was los ist? Deinem Gesichtsausdruck zufolge haben dir die Worte von Tyler nicht sehr geschmeckt«, deutet er vorsichtig auf das vorherige Thema an.

Mit müden Augen wende ich mich an Gabe, dieser sich neben mir niederlässt und auf meine Antwort wartet.
Ein Teil von mir möchte sich für all das Leid und den Schmerz, den er mir zugefügt hat, rächen. Doch der kleine Teil in mir, der das gute noch immer in ihm sieht, schafft es nicht sich von ihm abzuwenden.

»Ich weiß nicht Gabe, das Ganze wird mir zu viel ich kann keinen klaren Kopf fassen«, offenbare ich meine Überlegung.

Mein Kopf explodiert von dem ganzen Stress und ich weiß nicht so recht, wie ich das alles unter einem Hut kriegen soll.

»Du brauchst eine heiße Dusche und ganz viel Schlaf eine Auszeit von dem ganzen wird dir ganz guttun«.

Sträubend schüttele ich den Kopf: »Ich kann nicht einfach verschwinden, Jason braucht mich.«

»Ich glaube Jason und ich sind derselben Meinung, wenn ich dich nach Hause schicke, du hilfst ihm, indem du dich ausruhst«, widerspricht mir Gabe und zieht anschließend seine Augenbraue nach oben.

Ich weiß, dass es kein Weg daran vorbeigeht mich dagegen zu wehren.
Gabe würde mich nach Hause zerren, wenn es sein muss und wenn ich kurz überlege, klingt eine Dusche und etwas Schlaf nicht schlecht.

»Okey ich fahre nach Hause«, gebe ich mich geschlagen.

»Ich sage nur den anderen schnell Bescheid«, ich stehe vom Bordstein auf und klopfe mir den Dreck von der Hose.

»Das ist nicht nötig, ich mach das schon und damit du heil zu Hause ankommst, nimmt den hier«, Gabe wirft mir den Schlüssel seines Mustangs entgegen.

»Okey aber informiere mich sofort, wenn etwas mit Jason ist«.

Gabe nickt in Richtung Parkplatz.

»Wir sehen uns später«.

Er lässt mich draußen vor dem Gebäude alleinstehen und mir bleibt nichts anderes übrig, als Ausschau nach den 1967 alten Mustang zu halten.
Die Suche ist ziemlich einfach da nicht viele Autos um diese Zeit hier stehen und nicht jeder fährt einen alten Oldtimer.
Dazu in einen Zustand wie frisch aus dem Werk.

Nach fünfzehn Minuten Fahrt komm ich zuhause an, lenke das Auto in die Einfahrt vom Haus und steige anschließend aus.
Die Nachbarschaft ist ruhig und ich kann ohne neugierige Blicke der Nachbarn nach drinnen.

Die Stille überschlägt mich, sobald ich den Flur betrete.
Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal das Haus ganz für mich allein hatte.
Der Druck der letzten Stunden fällt von meinen Schultern und seufzen lasse ich mich am Holz der Haustür runtergleiten und starre geradeaus durch den Gang.
Es fühlt sich gut an niemanden hier zu haben keiner der mich kontrolliert oder blöde Anweisungen gibt.
Nur ich bin da und die Staubflocken die sich auf den Schränken absetzen.
Meine Füße brennen in den Schuhen und ich merke wie das Gefühl von Ekel in mir steigt.
Ich brauche dringend eine Dusche!

Widerwillig stehe ich vom Boden auf und laufe in mein Schlafzimmer.
Es ist chaotisch, doch das stört mich nicht.
In letzter Zeit ist es mein persönliches Gefängnis gewesen und ich habe sowas, wie ein Hass auf den Raum entwickelt.

Mit frischer Kleidung gehts ins Badezimmer wo meine Klamotten in der Wäsche landen und ich unter die Dusche steige.
Meine Muskeln entspannen sich, sobald ich unter dem heißen fließenden Wasser bin.
Mein Kopf ist leer und jeder noch so belastende Gedanke wird in den Abfluss geschwemmt.
Ich bin schon lange nicht mehr für mich gewesen.
Aufpasser vor jeder Tür um jeden meiner Schritte zu beobachten damit ich ja nicht auf die Versuchung komme irgendwie abzuhauen oder Hilfe zu suchen.
Emelie war jeden Tag bei mir doch ich konnte mit ihr kein normales Gespräch führen, ohne jemanden im Nacken sitzen zu haben.

Geduscht und in frischen Klamotten koche ich mir einen Kaffee gegen die Müdigkeit.
An Schlaf ist nicht zu denken, da ich kein Auge zukriegen werde.
Etwas in mir drängt mich dazu die lange Treppe ins nächste Stockwerk zu laufen und mir selbst Gewissheit zu machen das Luca wirklich verschwunden ist.
Aus Gewohnheit schaue ich mich im Flur um, um keine Überraschungsgäste vorzufinden, obwohl ich genau weiß, dass alle entweder im Krankenhaus sind oder bei Daniel.

Die Tür seines Schlafzimmers ist leicht angelehnt das ich durch die Türspalte spicken kann und anschließend ins Zimmer trete.
Tyler hatte recht, Luca hatte das wichtigste, was er hier hatte mitgenommen, nur Kleinkram sind übriggeblieben.
Mir fällt sein T-Shirt ins Auge, das Einzige, was noch hier liegt, aber das kann ich jetzt nicht anziehen.

Zurück in der Küche werfe ich einen Blick auf mein iPhone das beim Laden an der Steckdose hängt.
Ob es gewartet hat, bis ich den Raum betrete, leuchtet das Display auf, das mir eine Nachricht signalisiert.
Mein Hintergrund leuchtet mir entgegen einer Frau, die glücklich in die Kamera lächelt, in den Armen des Mannes, den sie liebt.

Jason.
Ich hoffe er ist nicht allzu wütend auf mich, dass ich ihn allein dort gelassen habe.

⊱Ich liebe dich mein Engel ⊰

Ich überlege nicht lange und weißt genau was ich zu tun habe.
Es fühlt sich nicht gut an hier zu sein, während er mit Schmerzen in der Brust im Krankenhaus liegt.

Das Handy vibriert erneut und ohne einen Blick auf den Displays zu riskieren, öffne ich die Nachricht und bereue sie, sobald ich sie lese.

⊰Komm in einer Stunde zum Lakeriver wir müssen reden⊱

GangbattleWhere stories live. Discover now