47°

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Die Szene, die sich vor Gabe entfaltet, erscheint wie ein schlecht gedrehter Film. Ich sitze da, unfähig, mich zu bewegen, mein Körper zittert unter dem Einfluss des Adrenalins, das durch meine Adern rast. Mein Herz schlägt so heftig gegen meine Brust, dass ich befürchte, es könnte jeden Moment stehen bleiben.

»Gabe, lass es mich erklären«, presse ich hervor, meine Stimme schwankt zwischen Verzweiflung und Angst. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken, doch ich finde keinen Weg, das eben Geschehene plausibel zu erklären. Wie könnte ich auch? Die Situation ist allzu eindeutig, und Gabe, der immer versucht, das Beste in jedem zu sehen, steht völlig sprachlos vor uns.

Während ich mich in einem Meer aus Panik und Reue verliere, bleibt Jason erstaunlich ruhig. Sein Gesicht verrät keine Regung, was seine Gedanken betrifft. Stattdessen drückt er leicht meine Hand, die unter der Bettdecke verborgen ist, als wollte er mir Mut zusprechen oder vielleicht sogar andeuten, dass alles gut werden wird. Doch in diesem Moment kann ich nur daran denken, wie alles um uns herum zu zerbrechen droht.

»Ich will sofort eine Erklärung«, fordert Gabe, während er seinen Nasenrücken massiert, um seinen Zorn zu zügeln.

»Lass King hier und komm ins Wohnzimmer.«

Gabe verlässt den Raum mit festen Schritten. Ich blicke hilfesuchend zu Jason, hoffend, dass er einen Ausweg weiß, obwohl ich nun auf mich allein gestellt bin.

»Wenn etwas ist, schrei, und ich bin schneller bei dir, als du meinen Namen sagen kannst«, sagt Jason und umfasst liebevoll mein Gesicht, während er mir tief in die Augen blickt. Seine Gelassenheit beruhigt meine Nerven etwas.

»Okay«, erwidere ich und gebe ihm einen schnellen Kuss, unsicher, was uns gleich erwartet.

Das schlechte Gewissen plagt mich. Ich bin allein verantwortlich dafür, dass es so weit gekommen ist. Hätte ich Jason nicht aus dem Keller befreit, wären wir nicht so weit gegangen, und Gabe hätte uns nicht erwischt.

Was wird Gabe nun von mir denken? Erst gestern habe ich ihm mein Herz ausgeschüttet, bin dann zu Luca, der jetzt Hoffnungen hegt, und nun lag ich mit einem anderen im Bett. Welches Bild gebe ich von mir ab?

Ich fühle mich, als könnte ich nicht tiefer fallen, und dieses Verhalten hat es nur bestätigt. Meine größte Angst ist, dass Gabe es Tyler und den anderen erzählen könnte. Normalerweise kann ich ihm alles anvertrauen, warum also nicht das mit Jason und mir?

Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an, je näher ich dem Wohnzimmer komme. Wenn mich nicht mein inneres Ich zurückhalten würde, wäre ich längst geflohen.

Gabe sitzt mit dem Rücken zu mir im Sessel gegenüber der Couch.

Ich möchte umkehren, als seine strenge Stimme den Raum durchschneidet.

»Setz dich hin«, befiehlt er und deutet auf den Platz vor sich.

Jede Faser in meinem Körper spannt sich an, als ich um den Sessel herumgehe und mich ihm gegenüber auf die Couch setze.

Sein zorniger Blick bohrt sich in mich, so habe ich ihn noch nie gesehen.

»Gabe«, flehe ich und blicke ihn bittend an.

»Er ist der Grund, warum du gestern so aufgelöst warst, oder? Du warst mit ihm weg«, stellt er fest, als hätte er ein Rätsel gelöst.

»Es tut mir leid«, gebe ich beschämt zu und senke den Blick auf meine verschränkten Hände im Schoß, unfähig, seinen durchdringenden Blicken standzuhalten.

»Du hättest mir davon erzählen sollen. Jedes Mal, wenn Tyler gefragt hat, wo du steckst, musste ich ihm ins Gesicht sehen und sagen, ich hätte keine Ahnung, wo seine kleine Schwester ist«, seine Wut weicht der Enttäuschung.

Er zweifelt an mir und an unserer Freundschaft.

»Ich hatte Angst vor deiner Reaktion und davor, dass du es impulsiv Tyler erzählst«, erkläre ich vorsichtig, die Angst in meiner Stimme kaum verbergend.

»Lola, obwohl ich nicht begeistert davon bin, dass du dich ausgerechnet in King verguckst, würde ich nie etwas zerstören, was dich glücklich macht«, erwidert Gabe sanft, ein aufmunterndes Lächeln umspielte seine Lippen.

Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte mich, als ich den vertrauten Gabe vor mir wiedererkannte, den ich kenne und liebe. Seine anfänglich strenge Art hatte mich erschreckt.

»Du magst ihn, und das ist alles, was zählt. Außerdem scheint er dir ziemlich den Kopf verdreht zu haben, wenn er schon in deinem Bett liegt«, seine Anspielung lässt meine Wangen erröten.

Erwischt, denke ich.

»Wir sind nur Freunde«, behaupte ich, obwohl ich den zweifelnden Unterton in meiner eigenen Stimme hörte und verziehe das Gesicht. Wir sind nicht zusammen, aber Freunde sind wir definitiv auch nicht.

»Und ich bin der Sohn von Michael Jackson«, scherzt Gabe und hebt lachend zwei Finger, um mir zu verdeutlichen, dass er uns nur zwei Tage oder Wochen gibt.

»Ich hol mal deinen Loverboy«, säuselt er grinsend und machte sich auf den Weg, um Jason zu holen.

»Er ist nicht mein Lover«, protestiere ich schwach, überzeuge aber nicht mal mich selbst.

»Sehr überzeugend«, lacht Gabe sarkastisch und geht, um Jason zu holen.

Ich höre, wie sie untereinander etwas sprechen, außer Getuschel ist es nicht verständlich.

»Jay«, murmle ich, als er sich neben mich setzt und besitzergreifend seinen Arm um mich legt. Ich schmiege mich an seine warme Brust, fest entschlossen, nicht von seiner Seite zu weichen.

»Ihr seid verrückt«, meint Gabe kopfschüttelnd, während er uns durchdringend mustert.

Er setzt sich wieder.

»Wenn euch nur Damon und Tyler sehen könnten, die würden euch in Stücke reißen«, warnt er, auch wenn er es humorvoll meint, wissen wir alle, dass es die bittere Wahrheit ist.

»Keiner darf das je erfahren, Gabe. Wir müssen ihn hier rausbekommen«, betone ich, da er die einzige Person ist, die unser Geheimnis kennt und zählen kann.

»Mach langsam, Kleines«, unterbricht er mich und hebt resignierend die Hände.

»Euer kleines Geheimnis nehm ich mit ins Grab, aber wir haben nie davon gesprochen, ihn hier rauszuholen.«

»Wenn wir es nicht tun, wird er sterben. Das wissen wir beide genau«, schildere ich die Lage, auch wenn ich annehme, dass Gabe das selbst weiß.

»Bitte, Gabe«, flehe ich und schaue kurz zu Jason, überlege, ob ich aussprechen soll, was mir auf der Zunge liegt. »Ich würde dich nicht bitten, wenn es nicht ernst wäre. Ohne deine Hilfe schaffe ich es nicht«, gestehe ich.

Ich spüre, wie Jason mich noch enger an sich zieht.

Gabe sieht das, kommentiert es aber nicht.

»Tyler wird durchdrehen, wenn Jason plötzlich verschwunden ist«, seufzt er nachdenklich.

»Ich weiß«, antworte ich ernst. »Er wird wahrscheinlich auch mich beschuldigen, und das nehme ich in Kauf, solange Jason hier rauskommt.«

Ich habe noch keinen Plan, wie ich Jason ohne Risiko aus diesem Haus rausbekomme. Er könnte einfach aus dem Haus spazieren, aber da niemand außer mir in der Stadt ist, würde jeder Verdacht auf mich fallen.

»Ich kann's kaum glauben. Ich hätte mit vielem gerechnet, aber niemals damit, dass sich einer von uns mit dem Feind verbündet«, gibt sich Gabe geschlagen und fällt zurück in den Sessel.

»Ich bin nicht Tyler. Außerdem weiß ich immer noch nicht, was passiert ist, dass es so weit kam, dass Diamonds und Kills sich nicht ausstehen können.«

Ich merke, wie sich Jasons Körper anspannt. Gabe sieht ihn mit weit aufgerissenen Augen an, und ich sitze ahnungslos dazwischen. Die Männer wechseln Blicke untereinander aus, schweigen aber weiterhin.

»Hast du irgendeine Idee?«, wechselt Gabe das Thema, ohne weiter darauf einzugehen.

Ich zucke mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Die besten Ideen kommen doch immer von dir, Rodriguez. Was schlägst du vor?«.

GangbattleWhere stories live. Discover now