54°

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Ich weiß nicht, wie lange ich am Boden leise vor mich hin weine, bis Gabe irgendwann ins Zimmer kommt und sich schweigend neben mich setzt.
Langsam beruhige ich mich unter seiner stillen Anwesenheit.
Er nimmt mich in den Arm, drückt mich fest an seine Seite und versucht, mich zu trösten.

Ich hebe zum ersten Mal den Kopf und mustere ihn.
Seine Lippe ist aufgeplatzt und einige Schrammen zeichnen sich auf seiner Wange ab.
Blut klebt an seinen Händen, was darauf hindeutet, dass auch Tyler einiges einstecken musste.

»Es tut mir leid, Gabe. Ich hätte dich nicht mit reinziehen sollen«, murmle ich unter Tränen, die Schuldgefühle schwer auf meine Schultern lasten.
Er sieht so aus nur wegen mir.

»Vergiss es, Kleines«, erwidert er aufmunternd und trocknet mir die Tränen von der Wange.

»Ich mache das freiwillig und würde es wieder tun, um dich zu beschützen.«
Seine Worte und die Wärme in seiner Stimme lassen mich erkennen, wie sehr er für mich da ist.
Ohne Gabe hätte ich diese Momente wohl nicht überstanden.

»Aber jetzt müssen wir hier weg«, fügt er entschlossen hinzu. »Du wirst für eine Weile fernbleiben, und um Luca kümmere ich mich.«

Gabe rappelt sich vom Boden auf und zieht mich behutsam an der Hand hoch.
Gemeinsam packen wir das Nötigste für mich ein, das sich in den letzten Tagen angesammelt hat.
Emelie wird sich freuen, mich wieder zu Hause zu haben.

»Komm«, sagt Gabe und legt beschützend einen Arm um mich und führt mich aus dem Zimmer.
Die Versammlung im Wohnzimmer verstummt, als sie uns im Flur bemerken und alle Blicke auf uns gerichtet sind.

Tyler schweigt und sieht mich mit einem ernsten Blick an. Gabe hat ihn besser erwischt, als ich gedacht habe; sein Auge ist dunkel unterlaufen und eine kleine Platzwunde ziert seine Augenbraue.

Niemand sagt ein Wort, als Gabe seine Schritte fortsetzen will. Plötzlich ruft Luca hinter uns nach ihm.
Zögernd drehe ich mich zu ihm um, nervös, was er noch von uns will.

Ich spüre die Anspannung in Gabe und ohne Vorwarnung holt er mit der Faust aus und trifft Luca direkt ins Gesicht.

»Das ist dafür, dass du dich wieder an ihr vergriffen hast. Beim nächsten Mal bekommst du eine Kugel in den Kopf«, spuckt Gabe hasserfüllt.

Geschockt sehe ich zu Luca, der sich die blutige Lippe hält und überrascht zu Gabe starrt.

»Gehen wir«, sagt Gabe und schiebt mich aus dem Haus, sodass ich meinen entsetzten Blick von Luca lösen muss.

Draußen atme ich tief ein und aus, als die schwere Last von meinen Schultern fällt.
Die warme Abendluft ist befreiend und beruhigend, ein kleiner Trost nach all den schrecklichen Ereignis.

Wir gehen zum Straßenrand, wo der Mustang und der Pickup parken.

»Fährst du zu ihm?«, fragt Gabe und legt die Tasche auf den Beifahrersitz, während ich den Wagen öffne.

»Ich muss sicherstellen, dass alles in Ordnung ist«, antworte ich. Gabe weiß nichts von der Nachricht, die ich erhalten habe, und ich plane nicht, ihm davon zu erzählen.
Das gibt mir den Vorwand, zu Jason zu fahren, auch wenn Gabe es für zu gefährlich hält.

Ich sehe ein letztes Mal zurück zum Haus und entdecke meinen Bruder am Fenster, wie er uns beobachtet.

»Tyler beobachtet uns«.
Tyler hat nicht bemerkt das sein Versteck aufgeflogen ist und wartet auf den entsprechenden Punkt, an den er weiß, das Gabe und ich nichts miteinander haben.

Gabe dreht sich nicht um, sondern tritt stattdessen näher an mich heran und drückt mich sanft gegen die geschlossene Autotür.

»Er sucht wohl nach einer Bestätigung, dass wir nicht lügen«, erklärt er mir.

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