Gangbattle

51°

Mir war schon immer klar gewesen das Tyler jedes, noch so kleines Ereignis aufschreibt.
Die Schriftstücke legen eine Wahrheit offen, die bisher im Schatten lag, und lassen mein Herz für einen Moment stillstehen.

Die Erkenntnis, dass Jason und Tyler die Art von Männer sind, die keine Angst haben sich sich Waffe am Kopf zu halten, setzt sich schwer in mir fest. Ein komisches Gefühl, vielleicht Angst, breitet sich in mir aus, während ich weiterlese.
Mit jedem Satz, den ich lese, malt sich das Szenario von selbst und wird in Dauerschleife abgespielt.
Offene Fragen, deren Antworten in den Sternen stehen sind wie aus Zauberhand beantwortet.
Es ergibt alles einen Sinn.

Jeder Abschnitt enthüllt mehr über das Zerwürfnis, das die Black Kills und die White Diamonds in diesen Bandenkrieg gestürzt hat. Die Gründe für die tief verwurzelte Feindschaft zwischen Jason und Tyler werden klarer.
Und es wird offensichtlich, warum Tyler so darauf bedacht war, mich von Jason fernzuhalten.

Die ganze Fehde, all dieser Hass, für eine Frau, die nie wirklich eines der beiden Männer wertschätzte. Beide haben um ihr Herz gekämpft und sind daran zerbrochen. Tyler spricht ebenso wenig über Linsey wie Jason; das Thema ist für beide absolut tabu. Doch trotz dieser neuen Einsichten brennt in mir der Wunsch, sie zur Rede zu stellen, zu erfahren, warum sie so weit gegangen sind, um ihre Liebe zu gewinnen.

Ich lege das Papier zur Seite, nehme mir einen Moment, um die Flut der Informationen zu verarbeiten. Ich verstehe nun so vieles mehr, doch eine brennende Frage bleibt offen: Warum hat Tyler mir all dies verschwiegen?

×××

Ich zögere, ins Haus zu gehen. Meine Nervosität ist offensichtlich: Mein Herz schlägt bis zum Hals, und meine Hände sind schweißnass, während ich das Lenkrad fest umklammere. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier sitze und einfach nur zum Haus hinüberstarre. Meine Welt fühlt sich völlig verändert an; ob zum Besseren oder Schlechteren, wird sich bald zeigen. Getrieben von meiner Neugier, die stärker ist als das mulmige Gefühl, das Wissen zu tragen, überwinde ich meinen Schatten und steige aus dem Wagen. Mit schnellen Schritten eile ich zur Haustür und betrete das Haus.

»Jungs?«, rufe ich durch das Haus, um sicherzugehen, dass wirklich niemand da ist.

Ich habe meine Entscheidung überdacht und beschlossen, Tyler vorerst nicht zu offenbaren, dass ich sein dunkles Geheimnis kenne. Fast wie von selbst tragen mich meine Beine zur Kellertür, und ich steige die Treppen hinunter.

»Und was ist mit Jason?«.

Die Jungs schauen sich untereinander an und Daniel schüttelt unauffällig mit dem Kopf.
Ich bohre wohl zu tief in Dinge, die ich nicht wissen darf.

»Über ihn wird erzählt, dass er angeblich seine Freundin getötet hat, weil sie ihn betrogen habe und von den Typen noch ein Baby erwartete.«

Alles fügt sich nun zusammen wie die Teile eines Puzzles, und ich erkenne, dass ich zu blind war, um zu sehen, was die ganze Zeit direkt vor meinen Augen geschah. Wie ist es möglich, dass niemand auch nur ein Wort darüber verloren hat und alle wie die Gräber schweigen?

»Ich habe sie abgöttisch geliebt und zu wissen, dass mir die Person einfach genommen wurde, frisst mich von innen auf.«

»Lola?« Jason schaut mich irritiert an, als ich über die Schwelle trete. Ich sehe wahrscheinlich aus, als hätte ich einen Geist gesehen, aber das hier erscheint mir noch viel schlimmer.

»Ich weiß es jetzt. Ich weiß alles«, sage ich vorsichtig, bemüht, jedes Wort sorgfältig zu wählen.

»Was weißt du?« Seine Stirn legt sich in Falten, während er sich erhebt und auf mich zugeht.

»Du hast Linsey getötet.« Die Worte fühlen sich seltsam an, als ich sie ausspreche.

Er hatte sie abgöttisch geliebt, doch Linsey spielte nur mit ihm, liebte ihn nie so, wie sie Tyler liebte. Über ein Jahr lang belog und betrog sie Jason, hielt ihn hin, machte ihm Hoffnungen. Als Jason schließlich die Wahrheit erfuhr, eskalierte der Streit zwischen ihm und Tyler um sie. Linsey jedoch setzte ihr Spiel fort, bis sie schwanger wurde von Tylers Kind und Jason verlassen wollte. Aber ein gebrochenes Herz treibt manchmal zu unwahrscheinlichen Taten, und trotz seiner Liebe zu ihr, zögerte Jason nicht, den Abzug zu drücken.

»Und ich würde es wieder tun«, sein Blick ist fest auf mich gerichtet, als wolle er jede meiner Regungen genau beobachten.

»Warum, Jay?« Ich bemühe mich, die aufkommenden Emotionen zu kontrollieren, versuche nicht, all die Was-wäre-wenn-Szenarien durchzugehen, die mich nur zerstören würden.

»Das könntest du nicht verstehen«, er hält mich fest und schüttelt entschieden den Kopf.

»Glaubst du? Luca hat genau dasselbe mit mir gemacht, und jetzt sind wir beide hier.« Uns verbindet mehr, als ich dachte.

»Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über Linsey und mich zu sprechen.«

»Okay.« Vielleicht ist es besser, wenn ich nicht alles auf einmal erfahre, sondern mir Zeit nehme, die Informationen Stück für Stück zu verarbeiten.

Ich kann nicht einschätzen, was Jason denkt oder wie sehr ihn das Ganze belastet, aber eines weiß ich sicher: Niemand verdient so etwas, und jemand wie Jason schon gar nicht.

Er hat mir oft klar gemacht, dass Liebe für ihn eine tiefe Bedeutung hat, trotz seiner vielen flüchtigen Affären. Er hat die wahre Liebe nicht in Linsey gefunden, so wie ich sie nicht in Luca fand. Jason hatte recht, als er sagte, ich würde die Liebe finden – nur war ich damals nicht klug genug zu erkennen, dass ich sie direkt vor mir hatte.

Das Schicksal hat mich zurückgeführt an einen Ort, an den ich nie wieder wollte, doch diesmal ist alles anders, es fühlt sich besser an als je zuvor mit Luca.

Ich habe mich einem Mann hingegeben, mich ihm geöffnet nach all dem, was geschehen ist, und ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich hätte keine Sekunde mit Jason genossen. Mein Herz schlägt anders, wenn ich bei ihm bin. Ich habe mich verliebt, so schnell, dass ich es nicht einmal stoppen konnte.

Aber so sehr ich mich auch nach ihm sehne und ihn an meiner Seite haben möchte, kann ich es nicht zulassen, wieder in den Kummer zu fallen, egal wie sehr ich mich damit selbst verletze.