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Jedes meiner Sinne ist zum Äußersten geschärft, während ich, die Waffe fest im Griff, durch das verlassene Lager von John Wayland schleiche. Langsam und bedacht bewege ich mich vorwärts, gleich einer Raubkatze auf der Jagd, sollte sich noch jemand hier verstecken.

In der Geschichte, die sich hinter diesen Mauern abgespielt hat, waren die Kennedy-Brüder und Wayland zeitweise Verbündete, bis Tyler Wind davon bekam und Wayland, getrieben von Angst und Paranoia, die Flucht ergriff und  nur dieses geheime Lager hinterließ.
Es wird vermutet, dass er Dokumente besitzt, die Licht ins Dunkel der Kennedy-Brüder bringen könnten. Selbst ein kleiner Hinweis auf deren Aufenthaltsort wäre ein Fortschritt für uns, irgendwie an sie ranzukommen.

Meine Versuche, mit dem Jungen Freundschaft zu schließen, habe ich nach zweimaligem Scheitern aufgegeben, nachdem er nicht ein einziges Wort mit mir gewechselt hat.
Es scheint, als wäre er einer dieser selbsternannten Bad Boys, genau wie so viele andere in unserer Klasse. Warum ausgerechnet Tyler mich ausgewählt hat, ihn auszuspionieren, und nicht jemand anderen, bleibt mir ein Rätsel.
Luca ist nur zwei Jahre älter als wir – als ob das irgendeinen Unterschied machen würde. Wahrscheinlich hätte er viel bessere Chancen gehabt, sich mit Louis anzufreunden als ich.

Während ich mich durch die dunklen Hallen bewege, denke ich an heute Morgen, in der ich, erschöpft von der Nacht, versuchte, nach Hause zu fahren.
Die Stille, nur unterbrochen vom gelegentlichen Knirschen der Reifen auf dem Asphalt, war fast beruhigend.
Die Müdigkeit überkam mich immer wieder, und ich erinnere mich, wie ich im Auto gegen den Schlaf ankämpfte und zu Hause ins Bett fiel.

Ich durchforste den Raum, in der Hoffnung, endlich auf die richtige Tür zu stoßen.
Ein Schreibtisch, ein Stuhl und einige Schränke sind die einzige Einrichtung in diesem sonst kahlen Raum. Die Dunkelheit, nur spärlich durch die Sonne, die vergeblich versucht, durch die dichten, schwarzen Vorhänge zu dringen, erhellt  und verleiht, dem Ort eine düstere Atmosphäre.
Sauberkeit war für Wayland offenbar ein unbekanntes Wort – Staub bedeckt jede Oberfläche, und hunderte von Papieren liegen chaotisch verstreut.

Ich hoffe, bald fündig zu werden, um nicht Stunden in diesem stickigen Raum verbringen zu müssen.

Gerade als ich mich dem ersten Stapel zuwende, höre ich, wie sich die Türklinke bewegt.
Mein Herz setzt aus.
Reflexartig suche ich Deckung in einer kleinen Lücke hinter einem Aktenschrank, mache mich so klein wie möglich.

»Warum passiert sowas immer mir?«, denke ich, während ich höre, wie die Tür aufgeht und Schritte näherkommen.

Das Knarren der Stiefel auf dem Holzboden und das leise Einschnappen der Tür im Schloss verratet mir, dass ich nicht mehr alleine bin.
Mein Fluchtweg ist nun deutlich komplizierter geworden, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Person, die gerade den Raum betreten hat, länger bleibt, als es mir lieb ist, steigt immens.

»Wo hast du es versteckt, Wayland?«, murmelt eine Stimme durch den Raum.

Ich erkenne sofort, wer es ist – Jason.

Ich entscheide mich, aus meinem Versteck zu treten und finde mich direkt hinter Jason wieder.
Er hat meine Anwesenheit noch nicht bemerkt, daher räuspere ich mich, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
Blitzschnell wirbelt er sich zu mir herum, seine Waffe instinktiv und unvermittelt auf mich gerichtet. 

Mit langsamen, bedachten Schritten trete ich aus der Spalte hervor, die Hände erhoben in einer Geste der Kapitulation.

»Verdammter Mist, Lola, was machst du hier?«, raunt Jason, die Überraschung in seiner Stimme kaum verbergend.
Seine Augen durchbohren mich mit einem Blick, der eine Mischung aus Verwirrung und Frustration widerspiegelt.

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