Kapitel 192 - Ist das ein Deal?

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Spannung.

Harry

Ich setze mich auf den Platz neben meinen Onkel und lasse Raven auf den anderen Stuhl, damit sie neben meiner Mutter sitzen kann. Die kennt sie wenigstens schon. Ich fühle mich so extrem angestarrt von dem ganzen Rest, dass selbst ich mir unwohl vorkomme.

„Habt ihr schon gegessen oder wieso isst hier niemand?" Ich lasse meinen Blick durch die Runde schweifen.

„Wir warten noch auf Katharina", sagt mein Onkel und reibt sich über den runden Bauch, der schon bis zum Tisch reicht.

„Wer ist Katharina?"

„Meine Schwester", meldet sich jetzt auch mal Robin zu Wort. „Du kennst sie noch nicht. Sie ist, glaube ich, gerade mal ein Jahr älter als du."

Ich nicke anerkennend. Dafür dass Robin schon auf die fünfzig zugeht, ist seine Schwester wesentlich jünger.

„Und wer bist du jetzt?", fragt Marie, meine jüngste Cousine Raven und sieht sie mit großen Augen an.

„Ähm", sagt Raven mit krächzender Stimme, räuspert sich dann. „Ich bin Raven. Harrys Freundin."

„Wusste ich es doch!", ruft Kerstin aus. „Du hast verloren, Josephine! Gib her die zwanzig Dollar!"

Alle Blicken liegen auf ihr.

Kerstin grinst. „Josephine hat ständig behauptet, dass Raven nur ein Betthäschen wär, aber ich habe Harry verteidigt. Also, los, Josephine, wo ist mein Geld?"

„Ich glaube, ich habe mich wohl verhört!", schimpft meine Mutter. „Über so was macht man doch keine Wetten! Vor allem nicht über meinen Sohn!"

„Hach, das macht Harry doch nichts", lacht Josephine und reicht Kerstin die zwanzig Dollar.

Ich sage nicht mal etwas dazu. Es würde nie ein Ende nehmen. Es tut mir nur für Raven leid, sie muss Qualen neben mir erleben.

„Können wir jetzt endlich anfangen Harrys Freundin auszufragen oder wollt ihr noch weiter streiten?", feixt Onkel Heath, dessen Wampe an der Tischkante hoch und runter schrabbt.

„Wir könnten endlich mal was essen!", mischt sich Fred ein.

„Nein, Fred, wir warten auf Katharina, das sagen wir dir jetzt schon zum millionsten Mal. Wann hörst du endlich zu?" Josephine wirft ihm wieder böse Blicke zu.

„Konzentration ist angesagt!", verkündet Marcus und hebt bestimmerisch die Arme, um Ruhe an den Tisch zu bringen. „Wie wäre es, wenn wir – Harrys Freundin zu liebe – uns benehmen und sie ganz in Ruhe ausfragen. Ist das ein Deal? Huh? Das ist doch ein Deal!"

„Marcus, du bist nicht Gott!" Kerstin wirft ihn mit einer zerknüllten Serviette ab. Habe ich schon gesagt, dass Kerstin ebenfalls die vierzig erreicht hat? Merkt man nicht? Wen wundert es.

„Okay, ich beginne jetzt, egal, was ihr alle sagt", bestimmt Onkel Heath und beugt sich über den Tisch, um Raven besser zu sehen.

Sie sitzt total eingekauert in ihrem Stuhl. Ich lege beruhigend meine Hand auf ihr Bein.

„Also Raven. Wie sieht's denn mit dir aus? Bist am College, huh?" Onkel Heath grinst bis über beide Ohren und ich rieche seinen Schweiß.

Raven nickt und versucht zu lächeln. „Ja, in New York."

„In New York!", ruft Kerstin aus. „Na, sag mal, dann wohnst du ja doch nicht England! Anne, du bist so was von nicht up to date!"

„Tut mir leid, dass ich euch nicht jedes kleinste Detail meines Sohnes erzähle", sagt Mum und verdreht die Augen.

„Und biste auch so erfolgreich wie Harry?", fragt Onkel Heath weiter grinsend. „Machste auch die Mengen an Geld? Oder biste noch am Lernen?"

„Heath! Da brat' mir doch einer 'n Storch!", schimpft Josephine. „So was fragt man doch nicht! Ihr Geld geht dich überhaupt nichts an!"

Heath hebt entschuldigend die Arme. „Tut mir ja leid, wollte hier niemanden zu Nahe treten."

„Nein, ich bin nicht so erfolgreich wie Harry", höre ich Raven lächelnd sagen. Ich bin von ihrer plötzlichen Festigkeit ihrer Stimme überrascht. „Ich besuche momentan noch das College und werde abwarten, was mir die Zukunft bringt."

„Bist ja auch noch 'ne Junge", sagt mein Grandpa jetzt. „Als ich so alt war wie du, dachte ich noch, ich müsste Kanonenfutter werden, also solltest du dir noch nicht so viele Gedanken über die Zukunft machen."

Raven lacht leicht.

Und plötzlich erstarre ich.

Was war das?

Da war ein Kichern.

Ich sehe mich unauffällig überall um.

Da war es schon wieder. Das kann nicht sein. Wieso höre ich Tammys Kichern?

Eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm kommt um die Ecke gelaufen und kommt grinsend auf uns zu, während sie mit der Nase der Kleinen spielt.

Die Kleine kichert und ... Es hört sich genauso an, wie Tammys. Mein Herz scheint mir gleich aus der Brust zu springen so stark schlägt es gegen meine Haut.

„Da bist du ja", grüßt Robin sie und umarmt die Frau. „Das ist Katharina, meine Schwester."

Alle grüßen sie und ich starre nur auf das kleine Mädchen, dass ihre dünnen Beine um Katharinas Taille schlingt. Sie hat ihre Augen. Sie hat Tammys Augen. Und diese kleinen Sommersprossen. Ich scheine wie in Trance, bin komplett erstarrt. Das ist wie ein Albtraum und eine Genugtuung zugleich.

Katharina setzt sich mit der kleinen auf dem Schoß uns quer gegenüber. Die Kleine sieht neugierig durch die Runde, hat währenddessen abwesend ihren Zeigefinger im Mund. Plötzlich sieht sie mir genau in die Augen. Ich kann nicht wegsehen. Sie sieht ihr so verdammt ähnlich. Verdammte scheiße. Ich kann mir das nur einbilden. Das ist unmöglich.

Jetzt lächelt das kleine Mädchen mich an.

Mein Atem stockt. Es ist ihr Lächeln.

Katharina verfolgt ihren Blick und sieht mich jetzt auch an. Sie flüstert ihr etwas ins Ohr und die Kleine steigt von ihrem Schoß, tapst um den Tisch herum, kommt mir immer näher.

Nein. Bitte komm nicht zu mir. Ich habe das Gefühl jetzt schon in Ohnmacht zu fallen.

Ich verfolge die Schritte der Kleinen ganz genau, blende die Gespräche um uns herum aus.

Immer noch mit dem Finger im Mund, kommt die Kleine auf mich zu, stellt sich quer hinter meinen Stuhl.

Ihre Augen sind so blau. So blau wie Tammys.Ich habe das Gefühl, als würde ich Tammy ansehen und nicht ein fremdes kleines Mädchen. Das alles gefällt mir nicht. Es gefällt mir ganz und gar nicht.

Schüchtern hält sie mir ihre Hand hin und ich rutsche ein wenig mit meinem Stuhl zurück.

Raven beobachtet uns beide mit verengter Stirn.

„Hallo", sagt die Kleine mit einer Stimme, so weich, ich finde kein Synonym dafür. „Ich bin Saphia."

Ich versuche zu lächeln, ich versuche es wirklich, doch der Schock steht mir noch ins Gesicht geschrieben. Schluckend nehme ich ihre Hand, beherrsche mich, nicht sofort in beschissenen Tränen auszubrechen. „Ich bin Harry."

Lives Collide 2 Where stories live. Discover now