Kapitel 133 - Unser 'So Etwas'

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Raven

„Und um elf Uhr dreißig sollten wir dann ungefähr am Flughafen sein. Dann musst du noch bis ein Uhr vierundzwanzig warten, dann werden die Türen geöffnet und du kannst ins Flugzeug steigen. Du darfst aber nicht vergessen vorher die Tickets aus deinem Koffer zu holen, denn ohne die kommst du da leider nicht durch, egal, wie charmant du bist. Dann - "

„Baby, alles gut. Ich weiß, wie ich ins Flugzeug komme", unterbricht Harry meinen Redefluss lachend und legt ein weiteres T-Shirt in seinen Koffer. „Ist immerhin nicht das erste Mal, dass ich fliege."

Ich, die im Schneidersitz auf seinem Bett sitzt, seufze. „Ich will nur sicher gehen... Übrigens kannst du mich anrufen, wenn ihr auf gerader Linie fliegt, das ist mittlerweile schon erlaubt, ohne, dass die Flugzeuge abstürzen."

Harry geht wieder auf seinen Schrank zu und zieht einen Pullover heraus. „Keine Chance. Ich geh doch in zehntausend Metern Höhe kein Risiko ein."

„Da besteht kein Risiko", kichere ich. „Das ist wirklich voll safe."

„Nein, wird einfach nicht passieren. Ich rufe dich an, wenn ich gelandet bin." Er vergräbt den Pullover in seinem Koffer und schließt ihn dann. „Setz dich mal drauf."

„Vielleicht war es doch nicht so schlau, deinen halben Haushalt einzupacken", sage ich und setze mich auf den Koffer, sodass Harry ihn in Ruhe schließen kann.

„Dieser Haushalt könnte mir in New York den Arsch retten."

Ich steige von dem Koffer und er stellt ihn auf den Boden. „Eigentlich könntest du dir in Amerika auch einfach neue Sachen kaufen. Würde mich sowieso wundern, wenn du mit so viel Schwachsinn durch die Flugsecurity kommst. Da könnten genauso gut auch zehn scharfe Bomben drin sein."

Er zieht einen schwarzen Rucksack unter seinem Bett hervor. Während er ein paar Bücher darin verstaut sagt er: „Ich gebe dir Bescheid, wenn ich im Knast sitze."

Mit erhobener Braue beobachte ich, wie er ein Buch nach dem anderen in seinem Rucksack verschwinden lässt. „Was wird das? Hat dein Handgepäck noch zu wenig Gewicht?"

„Falls du es noch nicht gemerkt hast, gibt es in meinem Leben erfreulichere Dinge, als zu fliegen und um mich nicht ständig darauf konzentrieren zu müssen, dass man im Flugzeug in der zweiten Klasse eigentlich besser sitzt und vorne einem die Turbinen das Gesicht wegbrennen, muss ich halt ein Buch nach dem anderen lesen. Übrigens danke für das Trauma. Hier", er hält ein braunes, altes Buch hoch, „der gute alte Chandler. Gut durchdachte Kriminalklassiker konnten einen Sturzflug schon immer interessanter gestalten." Und er lässt es in seinen Rucksack fallen, bevor er ihn schließt und auf das Bett schmeißt.

„Du bist ein ganz schöner Hosenscheißer", necke ich ihn belustigt und stehe von dem Bett auf, gehe auf das Nachttischchen zu, auf der Seite, wo ich immer schlafe. „Aber ich habe noch etwas für dich."

Harry stoppt in seiner Bewegung, gerade seinen Schrank zu schließen und sieht neugierig zu mir. „Tatsächlich?"

Ich nicke schmunzelnd und ziehe die Schublade auf, in dem das Bild liegt, das ich in New York machen lassen habe.

Es zeigt Harry und mich, wie wir gerade auf beide lachend auf dem Empire State Building stehen. Wir haben einen alten Mann gefragt, ob er ein Foto von uns machen kann und er war total überfordert mit meiner Handykamera und hat deshalb ganz viele Bilder hintereinander gemacht, egal, wie Harry und ich geguckt haben.

Als ich an dem Abend die Bilder durchgegangen bin, die Harry und ich gemacht haben, ist mir ein Bild besonders ins Auge gesprungen. Es war eines der Schnappschüsse auf dem Empire.

Harry hat einen Arm um meine Taille und lacht in Richtung der Kamera und ich sehe ihn lachend an. In dem Moment war es einfach so witzig, dass er Mann so unsicher war.

Man sieht, wie sehr ich ihn anhimmle und wie glücklich wir sind. Man sieht es perfekt.

Der Rahmen des Bildes ist aus schwarzem Silber und ich habe Unser 'So Etwas''eingravieren lassen.

Ich reiche es Harry und er nimmt mir das noch verpackte Bild unruhig aus der Hand.

„Darf ich es auspacken?", fragt er mich und sieht dabei schon kindlich aus. Er ist richtig aufgeregt.

Ich lache leicht. „Natürlich darfst du."

Er nickt und packt es hurtig aus. Konzentriert betrachtet er das Bild in seinen Händen. Ich kann sehen, wie seine Pupillen das komplette Werk mustern. Harry schluckt und presst die Lippen aufeinander.

„Gefällt es dir?", frage ich ihn lächelnd.

Er nickt langsam, hat seinen Blick noch immer auf das Bild. „Es ist... Ja, es gefällt es", antwortet er mit kratzender Stimme.

Verwirrt schiebe ich die Brauen zusammen. „Alles okay? Wenn es dir nicht gefällt, dann - "

„Raven", lacht Harry und sieht mich an.

Seine Augen glänzen.

„Es ist perfekt."

Erleichtert grinse ich und er kommt auf mich zu und presst mich fest an seine warme Brust. Sein Herzschlag schenkt mir Befriedigung auf eine ganz mentale Art und Weise. Er stützt sein Kinn auf meinem Kopf ab und seufzt. „Du machst es mir immer schwerer, dich zu verlassen."

Ich drücke ihn noch fester an mich und murmle: „Du verlässt mich nicht. Du gehst nur dahin, wo ich nicht immer sein werde."

Jede Sekunde, die wir noch miteinander verbringen und wir gleichzeitig unserem Abschied näher kommen, zerfleischt mich psychisch immer mehr. Ich bin froh, dass ich heute noch keine Träne fließen lassen habe, denn ich versuche irgendwie alles ein wenig einfacher für uns beide zu machen. Auch, wenn ich weiß, dass es anders sein wird, wenn er nicht mehr da ist.

„Glaubst du, dass wir das schaffen werden?", frage ich Harry, während er mich noch immer an seinen Körper presst.

Er hält mich so, dass ich geradewegs in seine grünen wunderschönen Augen sehen kann. „Wenn wir beide es wollen, werden wir das schaffen. Das ist ein Jahr. Wir müssen das schaffen. Ich kann mir einfach nicht mehr vorstellen, was ich tun würde, wenn du aus meinem Leben verschwinden würdest. Als das alles angefangen hat, dachte ich niemals, dass ich mich so unerbittlich in dir verlieren werde, wirklich. Jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem ich denke, dass du vielleicht niemals mehr aus meinem Leben gehen wirst. Gott, wer wüsste, was passieren würde, wenn ich ohne dich leben müsste..." Er lacht leicht und sieht auf den Boden. „Du bist schon so ein großer Teil meines Lebens geworden und es fühlt sich so an, als würde all das mit Absicht passieren. Als wäre es irgendwie geplant. Ich will nicht, dass du nur wieder eine weitere Lehre in meinem Leben bist, weil, wirklich, du hast mir so viel mehr gezeigt, als ich es hätte je selbst rausfinden können. Ich will einfach nicht, dass so etwas passiert, wie einfach - keine Ahnung - dieses Wort fühlt sich wie Feuer auf meiner Zunge an. Eine Trennung."

Ich schlinge meine Arme wieder euphorisch um seine Taille und drücke mich an ihn.

August. Mein August. Ich erkenne ihn wieder. Jedes Mal.

„Ich liebe dich", nuschle ich in sein T-Shirt. „Ich könnte niemals dein Leben verlassen. Sonst wärst du ja mit deiner Flugangst komplett allein."

Harrys Brust vibriert an meiner Wange, als er lacht und kurzerhand schmeißt er mich auf das Bett, stützt sich über mich und zieht sich das Shirt über den Kopf. „Wir haben noch zwei Stunden, bis wir fahren müssen, Baby."

Ich kichere, wie ein verliebtes Mädchen und er küsst mich leidenschaftlich, bevor wir das letzte Mal vor seinem Abschied miteinander schlafen.

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