Kapitel 105 - Sie liebt ihn

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Raven

Erschrocken, entsetzt und gleichzeitig verwirrt, sehe ich in die traurigen Augen von Scar, die wie ein Häufchen Elend vor mir steht, die Finger nervös ineinander gefaltet. Sie will reden? Sie will sich entschuldigen...? Ich weiß nicht wohin mit meinen Gedanken. Sollte ich vielleicht sauer auf sie sein, weil sie mich so herzlos rausgeschmissen hat, weil Danny so ein Arsch ist? Eigentlich hätte ich doch ein Recht darauf, ein wenig stutzig ihr gegenüber sein zu sein, immerhin hat sie mir bewiesen, dass ihr so ein Idiot mehr wert ist, als eine jahrelange Freundschaft. Doch ich bin trotzdem viel zu verwirrt. Ihr Gesicht sieht so niedergeschlagen und traurig aus, dass all die Dinge, die sie zu mir sagte, sofort nebensächlich werden, denn sie ist immer noch meine beste Freundin...

Ich wende mich an Harry, der total unbeholfen neben dem Auto steht. "Baby, das ist... Scar. Meine alte Freundin aus Aldbury."

Er sieht zu mir. Ihm scheint mein bedrückter Ausdruck nicht entgangen zu sein. "Ja, du hast ja schon ein wenig über sie erzählt", sagt er und geht typisch Harry-Like auf Scar zu, um ihr die Hand zu schütteln. "Ich bin Harry."

Sie reagiert erst überfordert, streckt ihm aber dann ihre Hand entgegen. "Hallo."

Ich atme tief ein und aus und versuche zu lächeln, was mir, denke ich, aber kläglich misslingt. "Bist du mit dem Auto da?", frage ich Scar.

Sie lässt ihren Blick von Harry und schüttelt mit dem Kopf. "Nein, ich bin mit dem Zug gekommen. Und deine Mitbewohnerin sagte dann, dass du am Friedhof bist..."

"Okay", seufze ich. Ich habe einen tierischen Kopfschmerz. "Du kannst mit uns fahren und dann können wir zu uns, ähm, zu Harry." Fragend sehe ich zu ihm.

Er nickt zustimmend und lächelt leicht.

Ich wusste, dass er mich jetzt nicht im Stich lassen würde, egal, wie traurig er ist. Aber natürlich werde ich ihn mit der ganzen Sache nicht belasten. Er soll sich einfach ins Bett legen und sich ausruhen.

"Das würde ich gerne", sagt Scar und ein kleines Lächeln zeichnet sich auf ihren Lippen ab.

Wir steigen ins Auto ein und ich fahre los. Scar sitzt auf dem Platz hinter mir und Harry auf dem Beifahrersitz.

Musste sie unbedingt an dem Tag kommen, an dem wir Tammy vergraben? Gerade habe ich so viele Dinge um die Ohren, mit denen ich erst klarkommen muss und dass sie gerade jetzt auftaucht, macht nichts besser. Ich meine, sie fehlt mir, ja... Doch momentan will ich mich nicht darauf konzentrieren müssen. Ich will mich auf Harry konzentrieren und darauf, ihn endlich wieder glücklich zu sehen.

"Also Scar", sagt Harry, nach langem Schweigen. "Wie lange hast du denn vor zu bleiben?"

Ich mochte das Schweigen eigentlich, aber natürlich muss Harry freundlich sein. Schade, dass er nicht weiß, wie es zwischen ihr und mir steht.

"Ich wollte heute Abend wieder fahren", antwortet sie.

Mir fällt jetzt erst auf, dass diese letzten Wochen die längste Zeit waren, in denen ich sie nicht gesehen habe. Sie hat mir unglaublich gefehlt.

"Tatsächlich? Dann bist du ja die ganze Nacht unterwegs."

"So ist das nunmal, wenn man aus Aldbury kommt", mische ich mich ein, weil ich das Gefühl habe, Harry bietet ihr jeden Moment an, bei uns übernachten zu können. Und das will ich auf gar keinen Fall.

Er sieht mich argwöhnisch an, sagt dann aber: "Du kannst, wenn du möchtest, heute Nacht, bei uns schlafen. Die Couch ist frei und dann kannst du morgen in Ruhe nach Hause fahren."

Natürlich musste er das sagen. Man merkt ihm kein Stück mehr an, dass er gerade auf der Beerdigung eines kleinen Mädchens war, was ist nur los mit ihm? Vor allem, wieso merkt er nicht, dass ich das nicht möchte?

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