Kapitel 106 - Offenbarende Couch

15.1K 1K 66
                                    

Harry

Seufzend lasse ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen.

Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich über das Szenario, was gleich da unten in der Küche ablaufen wird, denken soll. Eigentlich sollte sich Raven doch freuen, wenn ihre beste Freundin, die sie schon seit einem Monat nicht mehr gesehen hat, zu Besuch kommt, oder nicht? Immerhin hat sie schon oft über sie geredet und ihre Freundschaft scheint echt wichtig für sie zu sein. Doch wieso war sie dann so drauf, als Scarlett plötzlich da stand? Sie wirkte eher geschockt, als überglücklich. Als würde sie es besser finden, wenn sie momentan nicht hier wäre.

Mit einem Kopfschmerz gehe ich auf den Sessel vor meinem Fenster zu und knöpfe mein schwarzes Hemd auf. Ich bin kurz davor, mich wieder darauf zu setzen, doch ich fasse einen Entschluss. Es ist jetzt genug mit dem ganzen Schweigen. Ich habe die letzten zehn Tage hier verbracht, einen elften brauche ich nicht. Tammy würde auch nicht wollen, dass ich nichts mehr mit mir anfange, ich weiß das...

Entschlossen stelle ich mich neben den Sessel und sehe aus dem Fenster heraus, während ich mir das Hemd ausziehe. Es wird Zeit, dass ich mein Leben wieder im Stehen lebe und nicht im Sitzen. Für Tammy. Für Raven... O, Raven, du arme Raven. Wie sie in den letzten Tagen gelitten hat, weil ich ein Haufen Elend war. Ständig versuchte sie mich aufzumuntern oder mich abzulenken, doch es gelang ihr einfach nicht. All die Tage wollte ich nichts andres, als mit ihr zu leben und die Zeit zu verbringen, doch es ging einfach nicht. Der Schmerz saß viel zu tief und das tut er noch immer. Doch diesmal bin ich wieder entschlossener. Diesmal bin ich nicht mehr allein mit der Tatsache, dass jemand gegangen ist. Diesmal habe ich sie und das gibt mir Stärke.

Ich ziehe meine Hose aus und tausche sie gegen eine bequeme, graue Jogginghose ein. Als ich mir gerade ein T-Shirt überziehen will, höre ich etwas aus der Küche. Hört sich an wie Schreie.

Mit gerunzelter Stirn öffne ich leicht meine Zimmertür, um besser hören zu können. Und tatsächlich. Scar kreischt wild umher, und dann steigt auch Raven mit ein. Sie klingt extrem wütend.

Als es wieder einigermaßen still ist, gehe ich die Treppen runter und stelle mich in den Türrahmen, unentschlossen darüber, was gleich auf mich zukommt.

Raven steht am Fenster, eine Hand am Kopf, mit der andren stützt sie sich ab. Ihr Gesicht ist rot und ihre Wangen nass.

Scar sitzt am Küchentisch, sie weint ebenfalls, nur ist ihr Gesichtsausdruck nicht so wütend, wie der von Raven. Sie sieht traurig und bedrückt aus.

"Harry", keucht Raven, als sie mich erblickt. Sie kommt schnell auf mich zu und schlingt ihre dünnen Arme um meine Taille, vergräbt ihr verweintes Gesicht in meiner Brust.

Ich streiche ihr liebevoll über den Kopf und sehe zu Scar. Was, verdammt, ist hier gerade passiert?

Ich kann gerade nicht einschätzen, wieso die beiden weinen. Scar könnte Raven eine schlechte Nachricht überbracht haben oder sie haben sich gestritten. Ich tippe dennoch eher auf das zweite.

"I-Ich sollte gehen", sagt Scar mit gebrochener Stimme, als sie Raven beobachtet, die bitterlich in mein T-Shirt schluchzt. Ihr Blick sieht extrem schuldbewusst aus.

"Vielleicht solltest du das", sage ich zu ihr mit einem bitteren Unterton.

Sie nickt betroffen, geht zur Haustür und als sie den Türgriff in der Hand hat, dreht sie sich nochmal zu uns um und sagt: "Es tut mir so Leid, Ravely." Dann verschwindet sie.

Komplett verwirrt streiche ich Raven immer noch über ihr Haar und presse sie fest an meine Brust. Ich hasse es, wenn sie weint.

Nach Momenten der Stille sage ich leise: "Wirst du mir sagen, was hier los ist?"

Lives Collide 2 Where stories live. Discover now