Kapitel 116 - "Du"

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Der Raum ist erst komplett still, dann fangen alle an laut zu klatschen und zu jubeln.

Adam sieht erst noch sehr traurig aus, dann fängt er an zu lächeln. Er hebt dankend einen Arm. "Vielen, vielen Dank!"

Raven klatscht ebenfalls laut und jubelt für ihn.

Ich sitze nur starr in meinem Sitz und fühle mich schlecht, dass ich nicht für ihn klatsche, doch ich bin zu betroffen von seinen Worten.

Während der ganzen Zeit, in der er redete, kam ich einfach nicht drum herum an Tammy zu denken. Fast alles das, was er gesagt hat, könnte meine Gefühle ebenfalls beschreiben und das haut mich um. Wie er von ihren blauen Augen geredet hat und wie sie gelacht hat.

Ich habe in letzter Zeit oft versucht nicht an sie zu denken, weil ich endlich wieder normal leben möchte, doch anscheinend habe ich gerade einen Aussetzer. Ich meine, ich weine nicht oder schreie rum, aber die Tatsache, dass er sich genau so fühlt wie ich, schockiert mich einfach ein wenig.

Vielleicht ist es das, was Raven vorhin meinte. Sie kam hier her, weil es hier Menschen gibt, die sich manchmal genau so fühlen, wie sie und jetzt kann ich es nachvollziehen, schon nach den ersten zehn Minuten.

"War das nicht Wahnsinn?", fragt Raven mich leise, als Adam von der Bühne geht. "Was hast du?"

Ich schlucke und fange mich wieder, atme tief ein und aus. "Ich musste nur gerade an Tammy denken. Aber ja, er war wirklich gut."

Sie schürzt die Lippen und vergräbt ihre Hand in meiner. "Hier wirst du verstanden, Baby."

Ich lächle sie an. "Das merke ich."

In der nächsten Stunde standen verschiedene Leute auf der Bühne und haben ihre Gedichte und Poesie vorgetragen. Manche erzählten lustige Geschichten und manche auch abgrundtief traurige, wie Adam. Es waren wirklich verschiedene Arten davon dabei und das Wichtigste war, dass ich während der ganzen Zeit nicht mehr an Tammy denken musste. Zumindest nicht im traurigen Sinne.

"So kommen wir auch schon am Ende der Veranstaltung an", spricht der Host durch das Mikrofon. "Für manche, die neu hier sind, erkläre ich nochmal die Regelung für den Abschluss: Wir suchen heute ein Opferlamm aus. Das bedeutet, irgendjemand aus dem Publikum wird ausgesucht und kommt nicht drum herum hier vorne etwas vorzutragen, sei es auch noch so kleingeistig. Es kann natürlich auch jemand freiwillig nach vorne kommen, der sich nicht angemeldet hat, das ist Ihnen überlassen. Also hat jemand irgendwelche Vorschläge?"

Das ist perfekt, das ist meine Chance! Ich stehe schnell auf, bevor irgendwer anderes es kann und brülle nach vorne: "Hier ist jemand!"

Alle starren mich an und drehen sich zu mir um, doch ich habe nur das breiteste Grinsen, was ich bieten kann, im Gesicht.

"Harry, setz dich sofort wieder hin!", zischt Raven zu mir hoch und zieht an meinem T-Shirt.

"A, der junge Mann im schwarzen T-Shirt", sagt der Host durch das Mikrofon. "Möchten Sie etwas vortragen?"

Ich schüttle den Kopf und zeige auf Raven. "Ich nicht, aber meine Freundin! Sie kommt hier schon seit Jahren hin, hat sich aber nie getraut!"

"O, Gott", höre ich Raven eingeschüchtert sagen.

"Dann nach oben mit ihr!", ruft der Host durch das Mikrofon und das Publikum jubelt.

Ich sehe stolz zu ihr.

Sie versinkt in ihrem Sitz und hält sich ihre Hand vors Gesicht, als würde sie dann niemand mehr sehen.

"Komm, Baby", sporne ich sie lachend an. "Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich das nicht machen würde."

Lives Collide 2 Where stories live. Discover now