Kapitel 176 - Irgendetwas stimmt nicht

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Ich habe so schlechte Laune, ich könnte den ganzen Tag heulen. Gott weiß, wieso.

Raven

Vollkommen übermüdet von dem langen Flug, hieve ich meinen Koffer von dem Fließband und lasse ihn gähnend auf dem Boden sinken. Ich konnte keine Sekunde schlafen, während dem kompletten Flug. Mein Kopf hat ständig versucht zu verarbeiten, dass ich tatsächlich nach New York ziehe und all meine Freunde und meine Familie für ungewisse Zeit nicht mehr sehen werden.

Meine Angst ist noch immer nicht verschwunden. Ich mache mir noch immer Gedanken über das alles.

Es fällt mir schwer meine Augen offen zu halten und muss aussehen, wie ein Penner. Ich trage einen großen Pullover von Harry und einfach Leggings. Ich konnte mich auf keinen Fall mit Jeans ins Flugzeug setzen, auch, wenn ich in der ersten Klasse war.

Als ich durch die große Halle laufe, an der schon ganz viele Leute stehen, die Schilder hochhalten, um Kollegen oder ihre Liebsten zu empfangen, suche ich nach Harry. Und kann ihn auch schnell entdecken.

Er hält ebenfalls ein kleines Schild in der Hand, auf dem ‚die brünette New Yorkerin'  steht. Sein Lächeln erhellt meine Laune sofort und nimmt mir viel von meiner Angst, einen Fehler zu machen. Harry sieht zwar auch ein wenig müde aus, weil es zwei Uhr morgens ist, doch trotzdem sieht er blendend aus. Jeans, schwarzer Pullover, gestylte Haare, wahnsinniges Lächeln.

Grinsend gehe ich auf ihn zu und noch bevor ich bei ihm ankomme, tippelt eine braunhaarige ältere Frau zu ihm. „Meinen Sie mich damit? Sind Sie Mister Rabon?"

Harry lacht amüsiert auf und schüttelt den Kopf, deutet auf mich. „Nein, tut mir Leid. Ich meinte mit brünette New Yorkerin meine Freundin."

Ich stelle mich zu ihm und lächle entschuldigend. „Sorry."

„Schade aber auch", lächelt die Frau und nimmt sich wieder ihren Koffer. „Ich hätte mich gefreut von so einem attraktiven jungen Mann empfangen zu werden." Dann geht sie.

Mit einen ermüdeten Seufzer lehne ich mich gegen Harry und schließe die Augen. „Wir müssen gehen, ich könnte jeden Moment das Bewusstsein verlieren."

Er nimmt mir meinen Koffer ab, legt einen Arm um mich, damit ich mich beim Gehen noch an ihn lehnen kann und wir gehen aus dem Flughafen heraus. „Man sieht es dir kaum an."

„Lügner."

„Ertappt."

Schmunzelnd umgreife ich seinen Arm und vergrabe mein Gesicht in seinen Pullover. Das alles kann kein Fehler sein. Harry ist kein Fehler.

Ich schlafe innerhalb von dreißig Sekunden Autofahrt ein und als wir in Harry's Apartment ankommen, lasse ich mich sofort in sein Bett fallen und schlafe in Ruhe weiter. Morgen ist Samstag, das bedeutet wir können ausschlafen. Wahrscheinlich werde ich den ganzen Samstag verschlafen.

Ein Knallen holt mich aus dem Schlaf.

Im Schlafzimmer ist es noch immer dunkel, doch ich kann durch die Ecken der Fenster erkennen, dass es bereits Mittag ist. Harry kniet, bereits komplett angezogen, vor einem seiner Regale und sammelt Blätter zusammen und heftet sie in einen großen Ordner.

Er sieht zu mir. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken."

Ich richte mich auf und strecke mich. „Nicht schlimm. Wir haben sowieso schon halb drei."

Harry stellt den Ordner wieder in sein Regal und nimmt sich einen, den er zur Seite gestellt hatte. „Stimmt. Möchtest du etwas essen? Ich habe dir etwas aus dem besten Brunchladen der Stadt mitgebracht. So gut hast du noch nie gefrühstückt."

Ich schmunzle, lege mich wieder auf die Seite und betrachte ihn. „Gerne. Ich komme gleich runter."

Er lächelt ganz leicht und kommt auf mich zu. Liebevoll küsst er meinen Kopf, dann verlässt er den Raum.

Als er draußen ist, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl, das es mir schwer fallen lässt ehrlich glücklich zu sein. Ich bin gleichzeitig glücklich, dass ich endlich bei Harry sein kann, doch trotzdem plagt mich dieses leise Flüstern in meinem Hinterkopf, das mir sagt, dass ich alles und jeden verlassen habe. Für einen Mann.

Irgendetwas stimmt hier nicht.

Ich sollte glücklich sein.

Wieso bin ich nur ... okay?

Ich will nicht nur okay sein, ich will komplett glücklich mit der Situation sein, in der ich gerade stecke. Ich will, dass mein Kopf, genauso wie mein Herz mir sagt, dass ich glücklich darüber bin London verlassen zu haben.

Ich schwanke zu sehr zwischen meinen Gefühlen.

Ich muss mich daran gewöhnen, an New York. Wenn ich länger Zeit hier verbracht habe und auf das neue College gehe, dann wird es besser, da bin ich mir sicher. Außerdem ist Harry an meiner Seite. Mehr oder weniger.

Ich wünsche, er hätte nicht so einen Anspruchsvollen Job. Ich werde oft allein sein. Doch ich weiß, worauf ich mich einlasse, das wusste ich schon vorher.

Schließlich stehe ich auf und ziehe mir einen von Harry's Pullovern über. Mittlerweile steht der Herbst immer mehr vor der Tür, die Bäume beginnen schon ihre Blätter zu färben.Den Herbst mag ich am meisten.

Ich gehe die Treppen herunter und kann schon einen köstlichen Duft aus der Küche vernehmen. Harry werkelt laut mit irgendwelchen Dingen umher.

Ich bin noch immer nicht ganz munter. Ich weiß aber nicht, ob das daran liegt, ob ich tatsächlich zu wenig geschlafen habe oder ob es daran liegt, dass ich einfach nur okay bin.

Harry hat den Tisch komplett eingedeckt, es steht sogar eine kleine Sonnenblume in einem Glas auf dem Tisch. Er macht sich wirklich mühe.

„Hier", sagt er, als er mich im Türrahmen stehen sieht und schiebt den Stuhl zurück. „Setz dich."

Ich bin mir sicher, dass ihm auffällt, wie ich mich fühle.

Nickend setze ich mich auf den Stuhl und versuche zu lächeln. Ich freue mich über die Mühe, die er sich macht, doch es fällt mir schwer, wirkliches Glück auszustrahlen und das tut mir Leid für ihn.

Harry setzt sich mir gegenüber. „Das Ei ist unglaublich gut. Der Speck ist noch besser, doch den isst du ja sowieso nicht, du Vegetarier. Ich habe dir noch etwas Gemüse zurechtgeschnitten, weil ich weiß, dass du dein Ei so am liebsten isst. Ich habe mich nur zweimal geschnitten, mach dir also keine Sorgen. Den Orangensaft, den sie mir mitgegeben haben ist traumhaft, deshalb habe ich ihn komplett allein getrunken, tut mir leid. Aber dafür habe ich dir selbst welchen gemacht. Hier." Er schiebt mir ein Glas mit Orangensaft entgegen. „Frisch gepresst aus frischen Orangen vom Markt, auf dem wir letztens waren, weißt du noch? Ich hoffe, ich habe alle Kerne rausfischen können."

Er redet wie ein Wasserfall, während ich einfach nur mit einem schlechten Gewissen auf das viele Essen starre. Harry ist der tollste Mensch der Welt und gibt sich so viel Mühe, um mich glücklich zu machen. Presst sogar verdammten Orangensaft für mich. Und ich sitze hier wie ein Haufen Elend. Ich hasse mich gerade selbst.

„Hast du keinen Hunger?", fragt Harry mich, als ich nichts zu alle dem sage. „Oder willst du Kaffee anstatt Orangensaft? Ich könnte –"

Er will gerade aufstehen, da unterbreche ich ihn. „Nein. Nein, Harry, stop. Ich will keinen Kaffee, der Orangensaft reicht vollkommen aus. Das alles reicht aus."

Argwöhnisch setzt er sich wieder hin und betrachtet mich kritisch. In seine Augen spiegelt sich Fürsorge. „Raven, ist alles in Ordnung?"

Schnell nicke ich, weil ich nicht will, dass er sich schuldig fühlt. „Ja, es geht mir gut. Der Jetlag macht mir zu schaffen."

„Okay ... Du weißt, dass du mit mir reden kannst, wenn dich etwas betrügt. Ist irgendetwas in London oder Aldbury vorgefallen?"

Ich schüttle nur den Kopf, gehe seinem Blick aus dem Weg, weil ich Angst habe, meine Augen könnten zu viel verraten.

„Du siehst nicht zufrieden aus. Eher das komplette Gegenteil."

„Jetlag."

„Sicher?"

„Ja, sicher."

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