sixty: bloody desperation

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Triggerwarnung: Beschreibung und Andeutungen von selbsverletzendem Verhalten, Suizid, Verwahrlosung und Drogenmissbrauch - für mehr Infos bitte in den Kommentar von mir schauen.

Es nieselte, als ich von meinem Fahrrad stieg und mit besorgtem Blick hinauf zu Hobis Zimmerfenster blickte.

Im gesamten Haus brannte weder Licht, noch sah ich Bewegung oder hörte Geräusche, es hätte schon seit langer Zeit verlassen sein können. Das einzige, was diese Illusion störte, war die unversehrte Fassade und die sprießenden Blumen in dem kleinem Vorgarten.

Mein Herz raste und meine Hände zitterten, dass ich Angst hatte den Blumentopf mit den weißen Lilien auf die Bodenplatte fallen zu lassen, während ich ihn anhob.

Zum Glück fand ich den Schlüssel unter dem Keramiktopf, so wie Namjoon es mir versprochen hatte. Alles andere wäre fatal gewesen, denn auch wenn Namjoon selbst einen Schlüssel zu dem Haus besaß, so war er gerade nicht fähig zu kommen, wichtige Zeit wäre uns verloren gegangen. Ich schluckte als ich mich wieder aufrichtete und an die Tür trat.

Irgendwie fühlte sich das alles nicht richtig an. Wie als würde das Universum mir sagen wollen bloß wieder umzudrehen und die letzten Monate zu vergessen, doch das konnte ich nicht.

Mit dem Gedanken zu leben, dass ich etwas Fatales hätte verhindern, wenn ich nicht so feige gewesen wäre, das hätte ich niemals ausgehalten geschweige den mir selbst verziehen.

Und irgendwie wurde mir erst jetzt das Ausmaß meiner Gefühle für den Rothaarigen klar. Das "ich liebe dich" bekam eine Form. Eine einzigartige Gestalt, die irgendwie anders als alles andere war.

Sie war nicht zu vergleichen mit der intensiven Freundschaft, die ich mit Tae hatte, doch sie war mindestens genauso emotional, genauso vielseitig, genauso schützenswert. Nur weil mir das klar wurde, fasste ich den Mut dieses Haus zu betreten, mich Hoseoks Blicken und Worten und seinen Taten auszusetzen, denn wenn es so war, wie Namjoon befürchtete, dann würde es eine anstrengende Nacht für mich werden.

Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich den Schlüssel in das Loch gesteckt hatte und ihn umdrehen konnte. Die Haustür war nur zugezogen, das hieß, dass jemand zu Hause sein musste.

Im Inneren des Hauses hieß mich Dunkelheit willkommen, zumindest im unteren Stockwerk. Ein Blick nach oben verriet mir allerdings, dass auch im ersten Stock auch kein Licht zu brennen zu schien. Um so mehr also brannte die Sorge in meiner Brust. Bilder formten sich in meinem Kopf und sie ließen sich nicht vertreiben, egal wie sehr ich es versuchte.

"Hoseok?" Zögerlich trat ich auf die Treppe zu und nahm nun schwach den beißenden Geruch von Zigarettenrauch wahr. Aber etwas anderes, süßliches mischte sich dazwischen und es wurde mit jeder Stufe, die ich hinaufstieg intensiver.

Als ich schließlich mit rasendem Herzen meine Hand auf die Türklinke zu Hoseoks Zimmer legte und sie langsam hinunterdrückte, war der Geruch so intensiv, dass ich hatte das Gefühl hatte ich würde gleich ersticken.

Seitdem ich den Rothaarigen kannte, wusste ich genau zu welcher Substanz ich diesen Geruch zur ordnen musste, die Absurdität dieser Situation fiel mir erst später auf.

Die Tür schwang auf und meine Hand rutsche von der Türklinke, als ich das innere des Zimmers erblickte.

Kein Hoseok.

Dennoch blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte in Hoseoks Zimmer, oder zumindest das was davon übrig war. Überall lagen Klamotten und leere Getränkedosen. Eine alte Pizza hatte ihren Weg in den Papierkorb gefunden, und gammelte dort vor sich hin und der Geruch nach Essensresten mischte sich mit dem kalten, abgestanden Zigarettenrauch, der in der Luft hing. Halb konsumierte Kippen lagen im Zimmer herum und hatten augenscheinlich Löcher in den Teppich und teilweise auch in das Bettlaken gebrannt und die Schublade, die sonst immer abgeschlossen gewesen war, wenn ich hier gewesen war, stand auf. Es überraschte mich nicht, dass ich darin Gras und anderes Zeug fand, das ich aber nicht näher identifizieren konnte.

Des Weiteren bemerkte ich, dass die mittlere Schallplatte, die bis jetzt immer an der Wand gehangen hatte, auf dem Boden lag, fast so wie als sei sie in der Rage heruntergerissen wurden.

Und dann bemerkte ich den noch leicht glühenden Joint, der gerade dabei war eine kleines Loch in die Schreibtischplatte zu brennen und ich sah mich nach etwas Feuerfesten um, um wenigstens diesen Schaden zu vermeiden. Es war ein gutes Zeichen, dass er noch glühte, das hieß irgendjemand musste vor kurzem hier gewesen sein.

In meinem Kopf drehte sich alles und die Schuldgefühle schienen mich ab dem Zeitpunkt anzubrüllen und drückten mich auf den eiskalten Boden. Wieso hatte ich mich nicht Hoseoks Forderungen widersetzt und war hergekommen? Wieso hatte Namjoon nichts unternommen und warum zur Hölle schienen Hobis Eltern nichts gegen den unerträglichen Gemütszustandes ihres Sohnes zu tun?

Von den starken Gefühlen von vorhin war nichts übrig, alles was blieb war die Angst und das Gefühl allein gelassen worden zu sein.

All das und noch viel mehr geisterten in meinem Kopf herum und komplementierten den Brechreiz, der sich im selben Moment einstellte, als ich in einer Zimmerecke zerknüllte Bandagen entdeckte.

Mit zitternden Händen hob ich ein Stück des Mulls auf und erkannte mit Entsetzen, dass sie sich rot verfärbt hatte. Trockenes Blut klebte auch an den anderen und die Bilder in meinem Kopf wurden so verstörend, dass ich im selben Moment auf den Boden sank und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu kriegen.

Fuck, fuck, fuck.

Ich zitterte am ganzen Körper. Eine Erkenntnis bahnte sich an, doch ich konnte sie nicht greifen, vielleicht wollte ich das auch gar nicht. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte, doch mein Kopf verwehrte mir den Aha-Moment, wahrscheinlich um mich zu schützen.

Langsam streckte ich meine Beine aus und stütze mich auf meinen Armen ab, als ich mich wieder aufrichtete. Es war ein unglaublicher Kraftakt - am liebsten hätte ich einfach die Augen zu gemacht und gewartet, bis meine Mum mich retten kam.

Doch sie würde nicht kommen. Sie dachte, ich wäre bei Tae, dachte ich hätte mich schon längst von dem psychisch kranken Jungen mit den roten Haaren losgesagt.

Ich schnaubte. Wenn das bloß so einfach wäre. Dann würde ich jetzt nicht hier sitzen, am Rande der Verzweiflung, mit fucking blutigen Bandagen in der Hand und kaltem Zigarettenrauch in der Nase. Vielleicht wäre ich wirklich zu Tae gefahren. Wir hätten Pizza bestellt und einen Film geschaut, stattdessen musste ich nach Hoseok sehen. Doch jetzt gab es kein zurück mehr. Jetzt musste ich die Sache beenden, Hoseok finden und oh Gott, ich hoffte, dass es ihm gut ging.

Summertime Madness | JiHopeWhere stories live. Discover now