fifty-third: can't let you in

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Triggerwarnung:
Erwähnung von Drogenkonsum, selbstverletzendem Verhalten und psychischen Leiden; für nähere Informationen bitte in den Kommentar von mir schauen!


Die Gestalt des Rothaarige warf lange Schatten an die Zimmerwand, als er sich zum ersten Mal seit zwei Stunden aus seinem Bett erhob und mit fahrigen Bewegung nach dem lauwarmen Energy-Drink griff, der sicher schon seit zwei Tagen auf seinem Nachttisch vor sich hin vegetierte. Ohne zu zögern oder den süßen Geschmack des Energie-Boosters überhaupt wahrzunehmen, kippte er die blaue Brühe in sich hinein und ließ die Flasche auf den Boden fallen, ehe er sich seufzend wieder auf sein Bett sinken ließ.

Mit leerem Blick streiften seine Augen all die Schallplatten, die er vor ein paar Jahren liebevoll an seiner Zimmerwand angebracht hatte. Früher hatten sie ihn glücklich gemacht, jetzt starrte er sie emotionslos an, er hätte genauso gut auf eine schwarze Wand starren können.

Die Augen halb geschlossen, erhob er sich, stieg über dreckige Klamotten, seinen Laptop und sein Häkel Utensilien hinweg und öffnete das Fenster.

Es war erbärmlich, wie wenig er sich seit Minas Tod unter Kontrolle hatte. Er wusste, dass sein Verhalten alles andere als gesund für ihn und seine Mitmenschen war, allerdings konnte er es nicht ändern, dass er sich selbst für so einfach Sachen wie anziehen oder duschen zu schwach fühlte.

Er schätzte jeden Versuch seiner Eltern, ihn aus seinem Kopf herauszuholen, aber am Ende waren sie machtlos. Vor allem, weil sie selber zu kämpfen hatten. Er wusste, dass es auch ihnen das Leben zurzeit schwerfiel, auch wenn sie es nicht zeigten, er konnte es dennoch fühlen. Frustriert registrierte er, dass er sein letztes bisschen Gras aufgebraucht hatte, er seufzte.

Er konsumierte die Droge nun mehr in rauen Mengen, einfach, weil die Wirkung mit der Zeit nachließ, inzwischen war es sogar so, dass er es nur noch aus Gewohnheit kiffte, eine signifikante Änderung nahm er aber nur noch selten wahr.

Wenigstens hatte er es geschafft, seine Finger vom Alkohol zu lassen, obwohl die Versuchung schon groß war.

Die Wahrheit war, dass er sich stattdessen in Gedanken geflüchtet hatte, die er so schon lange nicht mehr gehabt hatte. Er hatte auch Dinge getan, von denen er geglaubt hatte, dass er sie nie wieder tun würde. Es waren Dinge, die ihn für einige Minuten wieder spüren ließen, dass er lebte und für wenigstens ein paar Augenblicke diese verdammte allgegenwärtige Taubheit in seinem gesamten Körper vertrieb.

Einige Minuten stand er am Fenster, blickte hinaus und wünschte sich, dass Jimin erscheinen und ihn anlächeln würde. Zwar hatte er sich in den letzten Wochen sehr von ihm und der gesamten Außenwelt (mal von Yoongi abgesehen) isoliert und dennoch schmerzte es in seiner Brust zu wissen, dass nichts mehr so sein würde wie vorher.

Jimin würde realisieren, dass Hoseok ein hoffnungsloser Fall war und spätestens wenn er erfuhr, dass er immer noch nicht über den Tod seines damaligen Partners hinweg war, würde er seine Schlüsse ziehen und für immer aus seinem Leben verschwinden.

Er würde denken, dass Hoseok versucht hatte Ruby durch Jimin zu ersetzten und er würde nicht ganz Unrecht haben. Anfangs hatte sich der Kopf des Rothaarigen so sehr an den Gedanken geklammert, wieder eine Beziehung zu haben, dass es ihm egal gewesen war, mit wem. Jimin hatte sich angeboten, mit seiner Vorliebe für Mangas und seinen weichen Gesichtszügen, die, wenn Hoseok sich nur genug anstrengte, ein wenig wirkten wie Rubys. Er hatte sich anfangs an den kleine Details festgehalten, die Jimin und Ruby in seinem Kopf verbanden. Wie unter anderem die Art, wie sie beide auf ihrer Unterlippe herumkauten, wenn sie etwas nicht verstanden.

Aber irgendwann hatte er aufgehört, Jimin dafür zu lieben, was ihn mit Ruby verband und damit begonnen, ihn für seine gesamte Existenz zu schätzen. Er mochte, wenn er den Kopf schief legte wie ein Hund und ihn aus seinen Augen ansah, wie als wäre er das wertvollste, was er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Er liebte, wie er ihn anstarrte, wenn er surfte und wie er rot wurde, wenn Hoseok zweideutige Andeutungen machte, nur um diese dann fortzuführen.

Es stand außer Frage, er vermisste den Jungen mit den pinken Haaren, aber er schaffte es noch nicht mal mental ihn wieder in sein Leben zu lassen, aus Angst er könne ihn am Ende unkontrolliert verlieren. Da war des kleinere Übel unter Kontrolle zu haben, wen er verlor und wen nicht.

Ein schwere Seufzer entkam Hoseoks Kehle abermals. Ihm war warm und ohne zu zögern  streifte er sich das Shirt über den Kopf, das er schon viel zu lange trug. Er warf es achtlos auf den Boden und trat zu seinem Schrank, um eine Hoodie zu suchen, jetzt wo er nichts mehr trug, fror er schon ein wenig.

Während er in den Klamotten wühlte und mit den Augen jedes Kleidungsstück begutachtete, erblickte er seine eigene Gestalt in dem Spiegel, der gegenüber von seinem Bett stand. Im selben Moment hielt er inne. Aus dem Spiegel blickte ihm der Hoseok entgegen, der ihn früher immer besuchen gekommen war. Der Hoseok, der stank und es nicht auf die Reihe bekam sich frische Sachen anzuziehen, weil sein Kopf ihn daran hinderte. Der Hoseok, dessen Gedanken immer unkontrollierter wurden, der Hoseok, der Dinge getan hatte, die er sich selbst niemals verzeihen würde. Er erkannte die Narben an der Hinterseite seines Oberschenkels, als er sich umdrehte und fast hätte er bitter aufgelacht. Es war ein Witz, wie einfach er diese Narben als Produkt eines Surfunfalls hatte deklarieren können. Er konnte sich noch genau an den Abend erinnern, als er hatte mitansehen müssen, wie das Blut seine Beine herunter ran und er auf dem Boden rote Fußabdrücke hinterließ. Es hatte so wehgetan, vor allem seelisch und jedes Mal, wenn er sich in den darauffolgenden Tagen hingesetzt hatte, hatte er gespürt, was für eine erbärmliches Stück Scheiße er geworden war. Bei diesem einen Mal war es geblieben, zumindest was diese Methode anging.

Er wusste, er würde in den nächsten Wochen nicht surfen gehen können, sein Oberkörper bot ein Bild, das von Schmerz zeugte und vereinzelt konnte man den Abdruck von ausgedrückten Zigaretten erkennen, wenn er den Bund seine Unterhose ein Stückchen nach unten zog.

Diese Narben hatten erst wenige zu Gesicht bekommen, nur Yoongi, Ruby und ein paar One-Night-Stands kannten die Male des Schmerzes, wobei letztere sie wahrscheinlich nie hinterfragt hatten. Jimin hatte er sie auch nicht gezeigt, stattdessen hatte er die Narben so gut es ging weg bearbeitet, bevor er die indiskreteren Bilder an den Jüngeren geschickt hatte. Allerdings wusste Hoseok auch, dass es Yoongi egal war, er nahm sie zwar wahr, ignorierte sie aber jedes Mal gekonnt. Tief in seinem Inneren wusste Hoseok, dass sein Sexualpartner ein Arschloch war, aber vielleicht machte genau dieses Attribut von Yoongis Persönlichkeit es dem Rothaarigen so leicht, keine tieferen Gefühle für
ihn aufzubauen.

Er wollte sich gerade wieder von dem erbärmlichen Bild lösen, das ihm sein Spiegel bot, da vibrierte sein Handy irgendwo zwischen einem zusammengeknülltem Shirt und einem Glas Wasser.

Er hatte seit gestern Abend nicht mehr sein Telefon zur Hand genommen, vielleicht war es langsam mal wieder Zeit, der Welt zu sagen, dass er noch lebte oder zumindest Joon kurz Bescheid zu sagen, dass er in den letzten 24 Stunden nichts getan hatte, was dem Surfer geschadet hatte.

Seitdem sein bester Freund zum ersten Mal hautnah miterlebt hatte, wie sich eine depressive Episode beim Hoseok äußerte, hatte er ihm das Versprechen abgenommen, ihm mindestens alle 24 Stunden kurz ein Lebenszeichen zu schicken, wenn er bemerkte, dass es wieder schlechter wurde.

Doch als Hoseok sein Telefon zur Hand nahm und mit müdem Blick den Bildschirm anstarrte, sprang ihm eine Insta-DM entgegen.

Summertime Madness | JiHopeWhere stories live. Discover now