twenty-second: i missed you

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Das Leben war kurz, zu kurz um zu zögern und Sachen groß zu hinterfragen.

Zumindest war ebendieser Satz mein Motto für die Handlung der letzten Sekunden gewesen, von der ich ziemlich sicher war, dass ich sie bereuen würde.

Mein Handy drückte ich viel zu fest an mein Ohr, Nervosität war extrem tückisch und die Pause zwischen den Signaltönen ließ mich jedes Mal mit gemischten Gefühlen die Luft anhalten. Jede Sekunde konnte Hoseok abheben und dann wollte ich nicht einfach nur da sitzen und nichts sagen, auch wenn mich die Ungewissheit verrückt machte.

"Jimin?" Seine Stimme drang sanft durch meine Gehörgänge fast wie ein vertrauter Geruch durch meine Nase und breitete einen wohliges und besorgniserregend leichtes Gefühl in meinem Kopf aus.

"Hi!" Meine Worte waren entgegen meiner Erwartung gar nicht so zittrig, wie anfangs angenommen hatte, gut für mich, das konnte sich aber ganz sicher noch in den nächsten Sekunden ändern, immerhin sprach ich hier mit Hoseok.

"Hast du mich vermisst?" Hatte ich es doch gewusst. Im selben Moment spürte ich wie mir die Röte ins Gesicht schoss und ich war froh, dass wir beide uns nicht gegenüberstanden und es ihm somit verwehrt blieb mich wie ein offenes Buch zu lesen.

"Nein!" Okay, ein wenig zu schnell, um glaubwürdig zu klingen, aber sonst gut, 6 von zehn Punkten für mein Auftreten.

"Ich hatte gehofft, dass du dich meldest." Im Hintergrund hörte ich einen Hund bellen und, wenn mich mein Gehör nicht gänzlich täuschte, das sanfte Rauschen der Wellen.

"Echt?" Irgendwie kaufte ich es ihm sogar ab, auch wenn ich ganz genau wusste, dass er log, welcher Mensch würde mich vermissen? Vor allem, wenn er mich erst ein paar Mal getroffen hatte.

"Klar, aber jetzt sag schon, was los?"

Gute Frage.

Nächste Frage.

Tatsächlich wusste ich keine Antwort darauf. Warum hatte sich mein Kopf dazu entschieden, meine Glieder so anzuleiten, dass sie zu meinem Handy griffen und Hoseoks Nummer wählten? Gerne hätte ich nachgefragt, aber das ging schlecht, weshalb ich nur einen unbestimmten Laut von mir gab.

"Was machst du?", wich ich also aus und sehr zu meiner Erleichterung spielte Hoseok mit, es war fast so, als ob er spüren könnte, dass ich ihn aus Gründen angerufen hatte, die mir selbst noch nicht mal klar waren.

Spätestens jetzt wäre Taehyung aus meinem Schrank gesprungen (wenn er hier gewesen wäre), in dem er sich versteckt hatte und hätte mir erklärt wie und warum ich so handelte und dass der mehr oder weniger unüberlegte Anruf ein eindeutiges Zeichen für meine Verliebtheit war. Ich hätte ihm wahrscheinlich darauf erklärt, dass das nicht stimmte und dass ich Hoseok einfach als Menschen schätzte, oder so ähnlich.

"Ich bin gerade am Strand, Sonnenuntergang gucken, hab ich lang nicht mehr gemacht."

Oh Sonnenuntergänge, wie sehr ich sie liebte.

Wenn dieser wunderschöne glühende Planet in der schönsten Sache der Erde versank, bot sich den Menschen jedes Mal ein wunderbares Lichtspektakel aus rotorange bis hin zu einem tiefdunklen blau, wenn die Sonne dann schließlich gänzlich von dem Meer verschluckt worden war, das den Planeten erst zwölf Stunden später wieder ausspucken würde.

Für mich war es das schönste, besonders wenn man noch genug Zeit hatte, den Mond zu beobachten, wie er sein Gegenstück ablöste und damit begann über die dunklen Geheimnisse der Menschen zu wachen. Irgendwann, zumindest hatte ich mir das vorgenommen, würde ich mir den Gegensatz dieser beiden Planeten als Tattoo stechen lassen, einfach, weil die Symbolik unglaublich war.

"Wenn du magst, kannst du kommen. Zeit?"








Mit aller Kraft trat ich in die Pedale und ignorierte das Wissen, dass ich, an meinem Zielort angekommen, völlig außer Atem sein würde. Irgendwo musste dieser Energie, diese Freude hin, denn auch wenn ich es mir nicht erklären würde, so war ich direkt nachdem Hoseok und ich unser Telefonat beendet hatten, aufgesprungen, hatte mir meine Jeansjacke geschnappt und war so schnell es ging aus dem Haus gelaufen, das plötzlich ungewöhnlich bedrückend gewirkt hatte.

Jetzt schallte eine Playlist von 2013 durch meine Kopfhörer und die Musik erschuf genau die Atmosphäre, die ich haben wollte. Warmer Sommerabend, ein wenig Wind, die Schmetterlinge im Bauch, die mich so fühlen ließen, als könne ich fliegen. Und komischerweise störte es mich in diesem Moment überhaupt nicht, dass die Person, die der Grund für all dieses wunderbare Gefühl darstellte, der rothaarige Surfer war. Ganz im Gegenteil.

Irgendwie fühlte es sich schön an, das Gefühl, das sich in meiner Magengegend ausgebreitet hatte und so schnell nicht mehr verschwinden würde. Die fast schon leichtsinnige Anspannung, die federleichte Aufregung und der süße Geschmack auf meiner Zunge.

Grinsend, radelte ich durch die Straßen und obwohl ich mit jedem Meter, den ich mich fortbewegte ein Stückchen nervöser wurde, so fühlte ich mich frei und wunderbar und das alles nur, weil mich jemand gefragt hatte, ob ich Lust hatte mich mit ihm zu treffen - zwischenmenschliche Beziehungen und ihre Auswirkungen waren einfach verrückt, nicht greifbar.

Was ebenfalls nicht greifbar war, war der Geruch von dem erhitzten Meersalz, der sich nun langsam bemerkbar machte und wenn mein Kopf mir keinen Streich spielte, so hörte ich schon das Meer-Rauschen und die Stimmen der Passanten, die die letzten Sonnenstrahlen durch einen Spaziergang genießen wollten.

Ich hörte Musik, Gelächter, ja ich war definitiv am Strand angekommen, dort wo die Zeit nichts zu Sache tat und man das Gefühl hatte endlich wieder zwischen Schulstoff und sozialen Verpflichtungen zu leben.

Jeder, den ich kannte, kam hier her, wenn er vergessen und verzeihen wollte, hier war die Welt okay, fernab von Verpflichtungen und bei einer Party konnte man perfekt seine Seele durch die dröhnenden Bässe reaktivieren und wenn man dann auch mit den richtigen Leuten unterwegs war, war das ganze fast schon ein bisschen wie Himmel auf Erde.





Jetzt waren es maximal nur noch zwei Minuten bis zu den großen Treppen, wo Hoseok auf mich warten würde. Gerade eben war ich noch müde gewesen, aber jetzt, als ich abstieg, mein Fahrrad an einem Geländer anschloss und die letzten Meter zu Fuß zurücklegte, fühlte ich mich so wach, wie schon lange nicht mehr. Diese gesamte Situation machte etwas mit mir, was ich nicht näher bestimmen konnte, ich wusste nur, dass ich mich seit Langem nicht mehr so gut, so voller Euphorie gefühlt hatte.

Sie war wie eine Welle, die an den Strand heranrollte. Man wusste, sie würde brechen und das Wasser würde spritzen, wie bei einer kleinen Explosion. Die Auswirkungen dieses Ausbruchs würden schwer zu minimieren sein, den Versuch sie aufzuhalten sogar sinnlos.

Summertime Madness | JiHopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt