Fifty-fifth: I can't stand this anymore

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Triggerwarnung: Andeutung von selbstverletzendem Verhalten, Drogenmissbrauch

Ich fühlte mich seltsam leer, als ich an diesem Morgen aus dem Bus ausstieg und meinen linken Kopfhörer rausnahm, um kurz darauf Jin zu begrüßen.

Tae würde heute nicht zur Schule kommen, er hatte mir gerade geschrieben und über Magen- und Kopfschmerzen geklagt, ich war aber fest davon überzeugt, dass er einfach Liebeskummer hatte, wozu er auch durchaus berechtigt war.

Deshalb fand ich nur Jin an der Bushaltestelle vor. Er saß auf der Bank und hob erst den Kopf, als ich direkt vor ihm stand. „Du siehst nicht gut aus", stellte er fest, ohne, dass ich ihn gefragt hätte und zog mich in eine kurze Umarmung. Zwar hätte ich es nicht zugeben wollen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich das grade brauchte, auch wenn ich nicht wusste warum.

Vielleicht spürte mein Körper schon, dass gleich etwas Unschönes passieren würde und holte sich präventiv Support bei anderen Leuten ab, denn als ich gemeinsam mit meinem Freund um die Ecke bog und das Schulgebäude in Sicht kam, spürte ich sofort die Anwesenheit des Rothaarigen. Sehen tat ich ihn erst, kurz bevor wir das Gebäude erreichten und im selben Moment schlug mein Herz schneller und blieb gleichzeitig stehen.

Meine Beine fühlten sich plötzlich an wie als würden sie jeden Moment nachgeben. Es überraschte mich nicht, dass ich so intensiv auf die Erscheinung des Surfer reagierte, immerhin waren meine Gefühle für ihn inzwischen unleugbar und je weiter er sich von mir distanzierte, desto weniger hatte ich das Gefühl, dass ich jemals wieder ein Lächeln auf seinen Lippen sehen würde.
Zugegebenermaßen war das eine sehr dramatische Sichtweise, aber ein kleiner Teil von mir, der über den Zeitraum hinweg in allen Farben geleuchtet hatte, in dem zwischen mir und Hobi alles gut gewesen war, schien jeden Tag an Farbe zu verlieren, an dem ich mich mit einem ungewissen Gefühl ihm gegenüber durch die Welt bewegte.

„Willst du mit ihm reden?" Jin hatte den Rotschopf inzwischen ebenfalls entdeckt und blickte mich von der Seite an, wie als wolle er überprüfen, ob ich immer noch an Ort und Stelle stand.
Für einige Sekunden antwortete ich nicht, bis ich schließlich eine Entscheidung traf.

Irgendwann musste dieser Schwebezustand ein Ende haben, irgendwann musst er mir ins Gesicht blicken. Wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, dann wollte ich es von ihm hören und nicht nur über ignorierte Anrufe und graue Profilbilder vermittelt bekommen.
„Ich denke das wäre besser für alle beteiligten, auch wenn ich Angst davor habe."

„Das kann ich verstehen, du musst es auch nicht jetzt tun, später ist auch noch Zeit." Manchmal vergaß ich, dass Jin ein sehr emphatischer Mensch sein konnte, wenn es nötig war. Jene wundervolle Eigenschaft ging zwischen dem stets aufgeweckten Blick und den vielen Witzen immer ein wenig unter, aber wenn sie dann mal zum Vorschein trat, spürte man, dass er ein emotionaler, sehr intelligenter Mensch war.

„Doch, ich halt das nicht länger aus, wir können uns nicht für immer anschweigen, das pack' ich nicht." Er nickte, schien zu verstehen und irgendwie war ich ihm dankbar, dass er weder versuchte mich dazu zu überreden, mit Hoseok zu sprechen, noch es mir auszureden.

"Okay." In einem verzweifelten Versuch mich selbst ein wenig zu beruhigen atmete ich tief ein. "Wir seh'n uns im Unterricht."


Hoseoks Blick war auf den Boden gerichtet, während er in der einen Hand sein Handy, in der anderen eine glühende Kippe hielt, von der er im selben Moment einen Zug nahm, als ich das Gefühl hatte, mich durch dieses Gespräch nur noch mehr in die Scheiße zu reiten.

Er bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihm stand und ihn unentschlossen anblickte. Allerdings hob er erst nach ein paar Sekunden demonstrativ langsam den Kopf, als müsse er erst überlegen, ob es auch wirklich mit mir reden wollte.
Als sich unsere Blick begegneten, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Sein Blick war eiskalt, wie als hätte er in den letzten Wochen vergessen, dass ich existierte, aber das war nicht das, was mich so sehr erschreckte.

Seine Augen waren rot und geschwollen, als hätte er sich mit Schleifpapier bearbeitet und ich konnte mir denken, dass es nicht nur daran lag, dass er in den letzten Wochen überdurchschnittlich viel geweint hatte. Ein Blick auf die untere Hälfte seines Gesichts verriet mir, dass er wohl auch nicht sonderlich viel gegessen hatte, denn seine Wangenknochen traten unnatürlich stark hervor, selbst jetzt, während er sich im Schatten des Schulgebäudes aufhielt.

Erst im Nachhinein war mir aufgefallen, dass er trotz der hohen Temperaturen einen Hoodie und eine lange Hose getragen hatte, was ein weiteres Indiz auf seine schlechte Verfassung darstellte.

Das komische war, dass ich selbst jetzt, wo Hoseok wie ein lebender Toter aussah, mein Herz immer noch diese kleinen Luftsprünge machte und mein Körper sich von ihm angezogen fühlte. Ich verspürte kein Ekel, obwohl von ihm deutlich der Geruch von Schweiß und Zigarettenrauch ausging und seine Haare ihm fettig in die Stirn fielen.

Das einzige, was ich verspürte, war tiefstes Mitleid und Mitgefühl und das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen und ihm zu erklären, dass er trotz allem immer noch liebenswert war.

So viele Gefühle prasselten in diesem Moment ein, die meisten davon, konnte ich noch nicht mal zuordnen geschweige denn benennen. Am liebsten hätte ich mich sofort auf Hobi gestürzt, ihn geküsst und ihm gesagt, dass ich ihn liebte, doch sein eisiger Blick, mit dem er mich musterte, hielt mich davon ab.

Einige Sekunden lang sah er mich eiskalt und mit einer Verachtung an, die mir körperlich wehtat. Doch obwohl ich es mit jeder Zelle meines Körpers wollte, hatte ich nicht die Kraft etwas zu sagen oder zu tun, ich konnte mich einfach plötzlich nicht mehr bewegen.

Und Hoseok schien auch nicht darauf zu warten, dass ich etwas tat, ganz im Gegenteil, er blickte mich einfach nur an, kalt und distanziert. Dann, ohne auch nur ein einziges Wort mit mir gewechselt zu haben oder mir einen Chance gegeben zu haben, mein Anliegen zu schildern, nahm er den letzten Zug seiner Zigarette, warf sie auf den Boden, blies mir im Vorbeigehen den gesamten Rauch ins Gesicht und verschwand im Schulgebäude.

Summertime Madness | JiHopeWhere stories live. Discover now