fünfundvierzigstes Kapitel

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Zuerst trat Raoul ein, nur um die Tür dem berühmt berüchtigten Mann aufzuhalten, den ich ganz sicher nicht erwartet hatte. Erschrocken über seine Präsenz und die meiner damit verbundenen tief vergrabenen Empfindungen erhob ich mich von meinem Stuhl, der laut über den Holzboden streifte.

"Du kannst gehen" Raoul nickte und schloss die Tür, so dass ich mit ihm alleine war.

Zum ersten Mal nach drei Jahren atmeten wir wieder die selbe Luft und zum ersten Mal nach drei Jahren fiel mir wieder auf, wie unterschiedlich unsere Welten waren.

Ein ganz leichter Schatten von seinem frischrasierten Bart zeichnete seinen markanten Kiefer ab. Die Wangenknochen standen weiterhin so hoch, als hätte ihn ein Künstler höchstpersönlich gezeichnet. Ich könnte wetten, dass er mit diesem maskulinen Aussehen weiterhin Unmengen an Frauen um den Verstand brachte.

Mit der Hand deutete ich auf den freien Stuhl vor meinem Schreibtisch, nur um über mein hautenges Kleid zu streichen, in welchem ich mich plötzlich unwohl und nackt fühlte. Diesen Körper hatte er geliebkost, berührt und geehrt. Wieviele andere Körper hatten die selbe Ehre?

"Weshalb seid ihr hier?" Ohne Zeit zu schinden, kam ich direkt auf den Punkt. Nadals Augen hielten mich an Ort und Stelle fest. Er schafft es. Mich festzuhalten, gefangen zu halten. Tat er es mit Absicht? Wie oft hatte ich mir eingebildet diese Intensität in den Augen anderer Männer zu sehen? Wie oft hatte ich mich getäuscht?

Er ließ sich Zeit mit der Antwort und ein einziges Mal würde ich es ihm erlauben mich warten zu lassen, doch er sollte mich ja nicht herausfordern. Dazu war ich nicht in der Stimmung.

"Ganz Spanien gehört uns, doch das bedeutet nicht, dass sich unser Horizont nicht erweitern kann" Mein Herz setzte paar Schläge aus. Im tiefen Innern meines Bewusstseins erkannte ich die Sehnsucht nach seiner tiefen Stimme, die nun durch den Raum vibrierte.

Doch ich schwur zu Gott, dass ich mich nicht fallen lassen würde. Nicht ein zweites Mal.

"Falls ihr gekommen seid, um danach zu fragen, ob ihr die Nuevas kaufen könnt, erteile ich auf der Stelle den Befehl euch Mistkerle hinrichten zu lassen" In Mexiko waren Hinrichtungen nichts Neues und wohl oder übel mussten auch wir Kontakte mit den Menschen eingehen, die diese ausführten. Die Nuevas waren eben keine Engel und das schadete wohlmöglich unserem Ruf, welchen ich die letzten Jahre aber trotzdem ins Positive ziehen konnte.

Nadal verzog das Gesicht keine gottverdammte quälend lange Sekunde. Er blieb kalt, emotionslos und so gefährlich kontrolliert, wie er es immer war. Kein einziges Gefühl kam zum Vorschein. Dieser Mann war so gut darin sein Gegenüber mit dieser schneidenden Kälte zu demütigen und niederzuschmettern.

"Wenn das unser Ziel gewesen wäre, hätte wir sicher nicht danach gefragt", verspottete er mich boshaft und verstärkte den Griff um die Lehne des Stuhls, als ich plötzlich das Glitzern seines Ringes erkannte und mir das Herz fast in die Hose rutschte. Bastard.

Es hat nicht lange gebraucht, um einen Ersatz zu finden. Die Frauen sind ihm wahrscheinlich nacheinander auf den Schoß gesprungen, während er in jeder Einzelnen meine Augen suchte.

"Das reicht. Ich habe euch nicht erlaubt herzukommen, nur um mir deine rätselhaften und unsinnigen Aussagen anzuhören" Während ich sprach, erhob ich mich und verschränkte die Arme abweisend vor der Brust. Ich würde nicht weiter mit ihm reden. Das hatte keinen Sinn. Wieso hatte ich mich überhaupt erst darauf eingelassen? Ich hätte es besser wissen müssen.

Die Tochter des GangstersWhere stories live. Discover now