das fünfundreißigste Kapitel

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Bis wir bei meiner Tante, deren Tochter Angelica heiraten sollte, angekommen waren, konnte sich Nadal sehr gut zurückhalten. Fast störte es mich schon, wie gut. Er hatte mich während des restlichen Fluges kein einziges Mal angeschaut und auch auf der Fahrt zum Haus meiner Tìa schenkte er mir keine Aufmerksamkeit.

Dass er all das tat, um kein Aufsehen zu erregen,  verstand ich voll und ganz, doch das hieß nicht, dass es nicht in meinem Inneren zu Missgefallen führen kann.

Gerade als ich dabei war meinen Koffer im Gästezimmer auszupacken, kam er herein, bevor er mich bei der Taille an sich zu zog. Schmunzelnd drückte ich ihn von mir. Tadelnd schwang ich mit meinem Zeigefinger vor seiner Nase, was er wiederum misstrauisch beobachtete.

„Das geht so nicht" Nadal verkrampfte sich und löste seine Hände von mir, als hätte er sich verbrannt. Seufzend kommentierte ich seinen sehr schnellen Rückzug. „Ist es nicht zu gefährlich, wenn du dich in meinem Zimmer aufhältst?"

Ich war dumm, zu denken, dass Nadal nicht an sowas dachte. Dieser Mann hatte was im Köpfchen und das bemerkte ich gleich von Anfang an. Ab dem ersten Mal, als meine Augen seine trafen, erkannte ich, dass er mich nur so stark herausfordern konnte, weil er mir vielleicht mental viel weiter voraus war.

"Überlasse mir mal lieber das Denken" Empört schlug ich ihm auf die stählerne Brust, bevor er mich kopfschüttelnd wieder in seine festen Arme zog. Er strahlte etwas so unfassbar Dunkles und Düsteres aus. Es passte überhaupt nicht zu einer lebendigen Person, wie mir.

"Ich möchte in das Museum hier in der Nähe" Einige Minuten später saßen wir schon im Auto auf dem Weg zur Colones, dem stadtbekannten Museum, worüber ich schon in vielen Zeitschriften las.

Nadal sicherte die Umgebung ab, indem er mit der Empfangsdame über meine Position sprach und sie ihr dadurch den Zugang zu der Gästeliste gewährte. "Keinen potentiellen Entführer gefunden?", fragte ich ihn, als ich ihn aus dem Augenwinkel neben mir Stehen sah.

"Schaue ich mir gerade den nackten Körper eines Mannes an?" Nadal legte den Kopf ein wenig schief und räusperte sich. "Ja. Es ist der Körper des Künstlers selbst. Gefällt es dir?" Seine dunklen und ständig wachsamen Aufgaben wanderten durch die Museumshalle, bevor er das Gesicht angewidert verzog.

"Wer zur Hölle malt sich selbst nackt?" Die Schärfe seiner Stimme zog sich durch meinen Körper. "Sowas nennt man Kunst" Dass Nadal davon keine Ahnung hatte, war mir klar.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung lief ich zum nächsten Gemälde. Meine Brust zog sich zusammen. Dieses Bild erweckte Gefühle in mir, die ich nicht zu Beschreiben wusste.

"Das Meer bei Les Saintes Maries de la mer", stellte ich es Nadal vor, der mir gefolgt war und sich nun mit misstrauischem Gesichtsausdruck und verschränkten Armen vor das Gemälde positionierte. "1888, Van Gogh"

Es war das Meer. Und doch so viel mehr. Freiheit. Leichtigkeit. Unabhängigkeit. Abenteuerlichkeit. Begriffe, die ich noch erleben wollte. Ich war frei und doch gefangen. Die Kinder der Slums von Mexiko waren frei und doch gefangen. Wir alle hatten unsere unterschiedlichen Definitionen der Freiheit.

Über meine Schulter hinweg fing ich Nadals Blick auf. "Du wirst das selbst noch oft genug mit deinen eigenen Augen sehen können" Seine Hoffnung erfüllte mich. Kopfschüttelnd lief ich zum nächsten Bild, welches ebenfalls von van Gogh war.

Es stellte eine beleuchtete Gasse an einem Abend in Arles da. Warmes Gelb und kühles Blau kontrastieren wirkungsvoll und Ich fühlte mich angezogen von der erleuchteten Terrasse. Die Symbolkraft der Farbe spricht zum Auge und zur Seele. "Werde ich das?"

Nadal antwortete nicht, denn es schien, als hätte auch ihn die Perspektive auf die Terrasse verschlungen und verstummt. "Wieso hast du das gesagt?" Er löste seinen Blick von dem Gemälde und runzelte die Stirn.

"Wieso hast du gesagt, dass ich das selbst irgendwann sehen kann?", half ich ihm auf die Sprünge. Nadals Gesichtsausdruck wechselte von nachdenklich zu düster. "Es ist die Wahrheit", antwortete er trocken. Dieser Mann konnte so unfassbar komplex sein.

"Diese Wahrheit wirkt aber verdammt unrealistisch", murmelte ich mehr zu mir selbst, als zu ihm, so dass er es nicht hörte.

"Es gibt wunderschöne Dinge, auf die du nicht achtest, weil du auf das ganz Große, dem Meer, auf die Freiheit von anderen Menschen fokussiert bist" Nadal blickte fast schon durch mich hindurch, so glasig, wie seine Augen plötzlich wurden. "Deine Familie, die Liebe, die Umarmungen, die Wärme, die Nähe, die du kriegst, all das ist für dich nicht genug"

Er war noch nicht fertig, doch er lief, mit dem Wissen, dass ich ihm folgen würde und das tat ich. "Das ist menschlich, ich weiß. Und doch wird es dich auf Dauer traurig machen so zu denken"

Ich konnte nichts darauf erwidern, denn es stimmte. Nadal hatte geschnipst und meine Blase zerplatzen lassen. Starr senkte ich den Blick, ehe vor meinen Augen meine Eltern auftauchten.

Momente, in denen Adnan und ich uns gegenseitig vom Bett zu Schubsen verachten. Momente, in denen wir gemeinsam am Tisch saßen und uns über die Art, wie mein Vater aß, lustig machten. Momente, in denen ich Nadals Blick auf mir spürte, als ich das Meer zum ersten Mal in meinem Leben aus der Nähe spürte und sah. All diese Bilder blitzen vor mir auf, als sich meine Brust zusammenzog.

"Wo ist deine Familie?" Nadal zuckte zusammen, als ich meine Stimme erhob. Wir waren bereits am Ausgang angekommen und machten uns nun auf den Weg zum Auto. Nadal antwortete erst nicht. "Du erzählst nie über sie", bohrte ich weiter nach. "Da gibt es nichts zu erzählen"

Natürlich ging es mir aus dem Weg, sobald es um etwas Persönliches im Bezug auf seine Vergangenheit ging.  Wer war dieser Mann? Welches Geheimnis führte er mit sich?

Wieso sprach er nie über seine Vergangenheit? "Ich lasse dich im Pavillon ab und--" Er versuchte auszuweichen, doch dafür war es nun zu spät. "Zuerst antwortest du mir auf meine Frage" Ich drängte ihn, ja. Doch diese Neugier musste verständlich sein.

Es war nicht normal, so mysteriös zu sein. Seine verschlossene Art trieb mich in den Wahnsinn. Er tritt aufs Gas, als würde er nichts lieber tun, als mich aus dem Weg zu schubsen.

"Nadal" Leicht legte ich meine Hand an seine Wange, bevor er die Augen kurz schloss. "Hör auf" Ich runzelte die Stirn verwirrt. "Hör auf einen Mann aus mir machen zu wollen, der ich nicht bin" Ich zog meine Hand nicht weg, nein.

"Das versuche ich nicht. Ich verlange nur normale Informationen über deine Familie" Gespräche mit Nadal musste ich anders angehen, als zuvor. Ich wollte ihm helfen ein Mensch zu werden, der nicht so verbissen und düster ist. Vielleicht versuchte ich ihn also doch zu ändern.

"Dann lass das" Ganz klarer Befehl, über den ich nicht diskutieren würde. Tonlos zog ich meine Hand weg und legte sie in meinen Schoß. Nadal seufzte, als er zu mir rübersah. "Penelope", begann er, doch ich schüttelte den Kopf.

"Wir haben noch einen langen Weg vor uns"





























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fun fact : die Gemälde gibt es wirklich. google it.

next fact : welche Geschichten sind euch lieber? Die, in denen die Charaktere noch etwas jünger sind, in die Highschool gehen, so um die 17/18 Jahre sind, oder die, in denen sie schon erwachsen sind, zu Ende studiert haben (oder noch dabei sind), und schon arbeiten?

also ich FR die älteren Charaktere, man. I don't like the stories, wo das Mädchen noch in die Schule geht, lmao. Das fühlt sich so kindisch an, am i wrong? no, i'm not. brauche wirklich reife und "erwachsinität". lackkick.

Die Tochter des GangstersWhere stories live. Discover now