Kapitel 94 - Der Aufmarsch - Teil 1

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Der Morgen dämmerte inzwischen und Kaiwen trat zunehmend ungeduldiger von einem Fuß auf den Anderen. Von Anael fehlte immer noch jegliche Spur. Dabei würde es nicht mehr lange dauern, bis das Unausweichliche begann. Die Soldaten und Spieler hatten in den letzten Stunden vermehrt Goblinspäher auf den höheren Gebirgshängen im Norden des Dorfes ausgemacht.

Zerknirscht überlegte sie, ob sie sich nicht lieber zurückziehen sollte. Diese Verteidigungsquest brachte ihr höchstens ein bis zwei Level, doch viel wahrscheinlicher war es, dass sie unterlagen, sie starb, ein Level verlor und obendrein einen Tag kein Raoie spielen konnte.

War es das wert?

Unschlüssig richtete sie ihren Blick zu den Felshängen des Belungagebirges die sie vom Nordwesten bis zum Nordosten umgaben.

„Bald geht es los, Angel Eye", trat Trullus begeistert klingend an sie heran und rieb sich freudig die Hände. „Wir werden diese finsteren Goblins in die Flucht schlagen, so dass sie sich nie wieder in dieses Königreich wagen werden!"

Innerlich verdrehte Kaiwen die Augen, ehe sie ernst erwiderte: „Unsere Quest sieht nur vor, dass wir das Dorf bis Morgen früh halten und nichts anderes. Wir haben doch drüber gesprochen, dass es in Anbetracht der Gegebenheiten das Beste ist, wenn du mit Magnifus zusammenarbeitest."

„Ich weiß, Angel Eye", murrte Trullus offensichtlich ertappt. „Es ist nur so... Wenn Magnifus alles entscheidet, wo bleiben dann meine Momente um Ruhm ernten zu können?"

„Ach, Trullus, du brauchst doch gar keinen Ruhm mehr", seufzte Kaiwen übertrieben liebenswürdig. „Du bist doch jetzt schon das göttliche Abbild eines heldenhaften Ritters."

Trullus grinste dümmlich und sagte: „Ich werde nie müde deine Komplimente zu hören, Angel Eye. Wenn das Ganze hier vorbei ist, wie wäre es-"

„Trullus!", wurde der Hornochse gerade noch rechtzeitig von Salamander unterbrochen und Kaiwen atmete erleichtert auf.

„Was gibt es?", verlangte Trullus offensichtlich frustriert zu wissen und wandte sich um.

„Magnifus will mit dir reden. Komm zum Kommandoposten", rief Salamander aus einiger Entfernung und drehte nach seinen Worten sofort wieder um.

„Was will dieser Kerl immer von mir...", stöhnte Trullus genervt und Kaiwen beeilte sich schnell seine miese Laune zu glätten.

„Du musst nur noch ein Bisschen durchhalten, Trullus. Sobald die Schlacht geschlagen ist, können wir uns anderen Dingen widmen", erklärte sie verführerisch, während sie an ihn heran trat, ihm tief in die Augen schaute und ihre Hand an seine Wange legte. „Raoie hat so viel mehr zu bieten, als solch dumme Auseinandersetzungen mit anderen Spielern. Besonders für so stattliche Männer wie du es einer bist."

Bei ihrem letzten Satz ließ sie ihre Hand an Trullus Hals hinunter gleiten bis sie auf seinem Brustpanzer zum Erliegen kam und zwinkerte einmal, ehe sie sich abrupt umdrehte und langsam einige Schritte Abstand suchte.

„Du... du kannst dich auf mich verlassen!", rief Trullus ihr zunächst stotternd hinterher, ehe er heroisch und liebenstrunken gelobte: „Du bist wahrlich die einzige Frau, die meines Herzens würdig ist, Angel Eye!"

Danach eilte er schnell Salamander nach und verschwand wenig später im geschäftigen Treiben der Soldaten und Dorfbewohner, die verzweifelt versuchten, das Dorf irgendwie zu befestigen.

Resigniert atmete Kaiwen auf. Der Kerl war so dämlich, sie könnte kotzen...

Zumindest hielt sie so ihre Abmachung mit Magnifus und konnte sich dem Schutz seiner Gilde sicher sein. Sie war jetzt schon so lange hier, da konnte sie auch noch etwas länger warten. Letztlich war es von Anfang an nur ein Glücksspiel gewesen, ihn hier zu finden.

Die Legende vom Elementflüsterer - Band 1 + 2Where stories live. Discover now