Kapitel 2 - Atempause und Hoffnung

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Damals war eine Welt für ihn zusammengebrochen. Zusammen mit seinem Großvater hatte er jeden Gegenstand, den man zu Geld machen konnte, verkauft, um seiner Mutter wenigstens die nötigste Behandlung in einer Spezialklinik zukommen lassen zu können. Das Haus stand wenig später letztlich auch zum Verkauf.

Vorübergehend war er zu seinen Großeltern gezogen. Doch die Beiden waren so arm, dass sie gerade seine beiden jüngeren Geschwister mit durchfüttern konnten. Bahe hatte daraufhin die Schule abgebrochen, die billigste Wohnung gesucht, die er finden konnte und sich mit einfachen Gelegenheitsjobs durchgeschlagen.

Während er anfangs guter Hoffnung gewesen war sich selbst versorgen zu können, musste er schließlich einsehen, dass kaum jemand einen achtzehnjährigen, jugendlichen Ausländer ohne Schulabschluss anstellen wollte. Bahe konnte froh sein, wenn er Arbeit auf einer Baustelle fand. Wobei ihm auch dort nur die größte Drecksarbeit zugeteilt wurde, die sonst keiner machen wollte.

Mit seiner Vermieterin hatte er Glück. Sie war eine der wenigen guten Menschen, denen er in seinem kurzen Leben begegnet war und sie erlaubte ihm hier zu leben, auch wenn er mal wieder in Rückstand mit der Miete geraten war. Es war leider schon oft vorgekommen, dass er die Miete nicht pünktlich bezahlen konnte, geschweige denn eine anständige Mahlzeit. Auch heute musste er mal wieder ohne Abendessen auskommen.

Bahe wusste, wenn es so weitergehen würde, könnte er vor Erschöpfung irgendwann nicht mal mehr arbeiten und ohne Arbeit gab es kein Geld, um die wöchentlichen Rechnungen der Klinik für seine Mutter zu bezahlen.

Bahe lachte bitter bei dem Gedanken wie makaber das Gesundheitswesen hier in China war... Sobald die Krankenhäuser Wind davon bekamen, dass die Patienten kein Geld für eine Behandlung hatten, wurden sie vor die Tür gesetzt und zum Sterben zurück gelassen...

Der Verkauf des Hauses brauchte Zeit, um einen vernünftigen Preis zu erzielen, der die notwendige Operation ermöglichen würde.

Bahe hatte sogar schon mal daran gedacht nach Deutschland zurück zu ziehen. Er besaß noch immer die deutsche Staatsbürgerschaft und Sulin und seine Geschwister durch die Heirat ebenfalls. Allerdings hatte er die Idee genauso schnell auch wieder verworfen. Wovon sollte er allein die Flugtickets bezahlen?

Langsam näherten sich seine Gedanken, dem einzig anderen Schatz den er außer dem Foto noch besaß. Im Halbdunkeln schob er das Bett einen halben Meter zur Seite und lockerte mit einem Messer aus der Küche vorsichtig zwei Bretter in der Bodenverkleidung. Anschließend hob er die Balken vorsichtig aus ihrer Verankerung und griff nach der metallenen Box, die unter dem Holzboden versteckt war.

Die Box selbst enthielt nicht viel. Nur einen einzigen Zettel, der Bahe sehr ans Herz gewachsen war. Auf dem Zettel standen die Login-Daten für einen besonderen Charakter im Online-Computer-Spiel Dreamworld. So bescheiden der Titel des Spiels auch in Gamer-Kreisen aufgenommen wurde, umso stärker hatte schließlich das Gameplay überzeugt und sich eine unfassbar große Fanbase in China und anderen Teilen der Welt erarbeitet. Vor sieben Monaten hatte es sogar noch den Titel des beliebtesten Online-Rollenspiels der Welt erlangt, als die aktive Spielerzahl die 3 Milliarden-Marke geknackt hatte.

Zwei Wochen später machte plötzlich der TNL-Konzern Schlagzeilen mit Ankündigung für sein neustes Produkt. TNL stand für The Next Level, einer Ideenschmiede mit enormen finanziellen Ressourcen, die sich in verschiedensten technologischen Bereichen spezialisierte. TNL kündigte das Ende sämtlicher Computer- oder Konsolenspiele der alten Generation an. Der Konzern versprach Raoie, eine neue, einzigartige Welt und ein völlig revolutionäres System, das sämtliche Computer und Konsolen überflüssig machen sollte.

Bahe hatte gehört, dass die Menschen kurz nach der Jahrtausendwende noch vor Bildschirmen gesessen hatten. Eine wirklich merkwürdige Art Computerspiele zu spielen. Heutzutage hatten Kopfinterface und Helme mit eingebauten Displays solche antiken Visualisierungsmethoden längst abgelöst. Kommandos oder Bewegungen wurden durch Gewichtsverlagerungen des Kopfes und dem Einsatz spezieller einhändiger Tastaturmodulen bzw. Handkonsolen ausgelöst.

Die Legende vom Elementflüsterer - Band 1 + 2Where stories live. Discover now