85.Jonathan

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Zwischen Alex und mir war es still geworden. Jeder von uns hing seinen eigenen Gedanken nach, denn wir wussten nicht, worüber wir noch reden sollten. Und gerade, weil es so leise war, schenkten wir dem aufkommende Lärm unsere Aufmerksamkeit, der aus Richtung der Eingänge zum Kerker zu kommen schien. Was machten die Wachen da? Es war noch mitten am Tag, unwahrscheinlich, dass sie jetzt schon torkelten. Handelte es sich etwa tatsächlich schon um ...

„Jonathan? ... Au, ... scheiße, verdammt noch mal!"

Ich sprang auf und frohlockte: „Hierher, ich bin hier, ...und Alex auch!" rief ich meinem Bruder zu, der kurz darauf schon um die Ecke... gehumpelt... kam. „Nochmals mache ich das bestimmt nicht, um dich zu retten... bin gerade über eine von diesen ungleichen Stufen gestolpert ... verdammt", erklärte er mir mürrisch, da ich fragend auf sein Bein sah. „Gott Jonathan, was genau hast du dir dabei gedacht alleine loszugehen? Es war abzusehen, dass du hier landen würdest..." meckerte er, woraufhin ich schmollend meinte: „Ja, aber du hast doch gesagt..." er unterbrach mich. „Meine Fresse! ... Und wenn ich sage du sollst Regenwürmer essen, tust du es auch? Wer ist hier eigentlich der große Bruder? Kommt jetzt! Wir sollten erstmal..." doch nun meldete sich Alexander endlich auch zu Wort: „Entschuldige die Frage Jonathan, aber... wer ist das? Was macht er hier und wie ist er hereingekommen?" Von Henry kam ein entnervter Seufzer. „Auch schön dich wiederzusehen Alex. Ist ja schon drei Jahre her seit wir uns das letzte Mal sahen, also ..." Angesprochener schien nicht ganz zu verstehen, was mein jüngster Bruder ihm damit sagen wollte, geschweige dem schien er zu begreifen, dass es sich hier um Henry handelte.

Dieser hatte inzwischen einen Schlüssel aus seiner Tasche gezogen, den er wohl dem Wachmann am Eingang abnahm und nun ins Schloss steckte. Da schien Alex endlich etwas zusammengereimt zu haben und hob an, um zu sprechen, als die Kerkertüre aufschwang. „Warte, drei Jahre... du bist doch nicht etwa..." Henry und ich dachten zu wissen, was er sagen wollte und sahen ihn auffordernd an. Beide gespannt auf die Erkenntnis meines treuen Freundes.

„Fritz von der Garde! Den Theodore damals, als er Henry entkommen ließ, fortjagte. ... Dachte nicht dich jemals wiederzusehen. Junge, Junge ... wie bist du hier hereingekommen?" Wir beide seufzten theatralisch und ich wollte schon zu einer Erklärung ansetzten, doch Henry winkte ab. „Wir haben keine Zeit, um das jetzt zu klären." Wisperte er mir zu, als wir aus der Zelle traten und zu Alex meinte er nur: „Genau, ich bin es, der Fritz. Weißt du, ... all die Jahre von diesem beschissenen Theodore gedemütigt, beschloss ich nun ihm mal gehörig auf den Sack zu gehen und seinen älteren ebenso bescheuerten Bruder aus seinem Verließ zu lassen. ... Ach, ist das ein Spaß." Man hörte seine Stimme von Sarkasmus triefen und ich musste mich bemühen mir ein Grinsen zu verkneifen. Henry, Henry, Henry, wo sollte das noch hinführen?...

Als wir uns umdrehten und zum Ausgang eilten, standen dort eine große Anzahl an Wachen, vor mir vernahm ich ein leises: „Scheiße, als ob..." von Henry und ein wohl leicht verärgertes Schnaufen von Alex. Einer der Kettenhemdenträger drängte sich nach vor und meinte schlicht: „Keinen Schritt weiter, Jonathan Morchester, Alexander Willbur und ... eh ... der dritte." Wieder vernahm ich ein genervtes Schnauben und nun schien er endgültig die Nase voll zu haben. „Himmel, Arsch und Zwirn! Eigentlich sollte es mir so was von egal sein. Nein, es wäre sogar besser, wenn niemand davon erfährt, aber... Ich sag euch mal was, lasst uns durch, dann befreie ich euch vielleicht von der Schmach, den Leuten zu erzählen, dass ihr nicht einmal auf einen kleinen Jungen aufpassen könnt. Viele von euch haben einige Jahre zusammen mit mir verbracht und jetzt bin ich einfach tot? Häh?" Sein Tonfall war spöttisch, aber ernst. Er starrte die Wachen an und man merkte, wie Bewegung in ihre Reihen kam. Ich staunte, einzig und alleine durch seine Mimik, die beinahe ganze Truppe dazu zu bringen, den Weg frei zu machen ... Henry hatte sich gemacht, innerhalb dieser drei Jahre. Die Ansätze, dass er einmal ein einflussreicher Mann werden würde, sowie ich es dachte, bewahrheiteten sich.

Da aber noch immer nicht alle aus dem Weg traten, warf er den übrigen noch einen kalten Blick zu. Dann beschloss auch ich etwas zu sagen: „Henry, ... ärger dich nicht, dass sie dich nicht erkennen. Wir sollten lieber sehen, nach oben zu kommen, David und die anderen warten dort schon, ... nicht wahr?" Henry nickte, doch konnte man an seinem roten Kopf erkennen, dass kurz vor dem Explodieren zu sein schien und da nun auch noch sein Name ausgesprochen wurde, kam prompt ein Einwand von Alex.

„Henry? Sag, bist du es wirklich? Du lebst? Ihr seid beide, ...beide hier! ... Es tut mir so unheimlich leid mich damals nicht besser um dich gekümmert zu haben... Es ist alles meine Schuld..." stotterte er, schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn und sank zu Boden. Er sah beschämt zu dem weißhaarigen auf. „Wahrhaftig, wieso habe ich es nicht gleichgesehen? Ich bin so ein Dummkopf." Ich wollte ihn aufheitern, sich etwas besser fühlen lassen, doch Henry kam mir zuvor.

„Ganz richtig, du bist wahrhaftig ein Dummkopf und irgendwie auch mitschuldig an der ganzen Sache..." bemerkte Henry und ließ Alex betrübt zu Boden starren. Was dachte sich mein kleiner Bruder dabei? Ihn so...! Doch bevor ich mich beschweren konnte, setzte er seinen Satz fort: „Aber, ... es sind so viele Dinge geschehen, ich habe eine Menge Leute kennengelernt und Erfahrungen gesammelt, die ich niemals gegen das Leben im Schloss eintauschen würde. Steh auf, du trägst vielleicht Schuld, doch lebe mit ihr, leugne sie nicht. Du hast niemanden in den Tod oder die Verzweiflung getrieben, also tu es auch nicht bei dir selbst. Erhebe dich Alexander Willbur und sei stolz darauf, wer du bist und werde dir bewusst wem du dienst."

Es wurde still. Und ihm nun selbst klar, wie sich das, was er gerade sagte wohl angehört haben musste. „Henry...Henry Morchester? Sie sind der totgeglaubte dritte Königssohn?" kam nun aus den Reihen der Wachen, welche, als ob er es schon bestätigt hätte, sich vor ihm auf die Knie warfen. Henry sah alles andere als glücklich aus, er schien sich wohl selbst nicht entscheiden zu könne, ob es besser war erkannt zu werden oder nicht.

„Steht wieder auf, das ist ja peinlich... wir müssen nur schleunigst durch, in den Thronsaal", murmelte er laut genug, dass ihn alle verstanden und sofort machten sie uns den Weg frei. Ich zog den immer noch verwirrten Alex mit uns und beinahe ohne Komplikationen bahnten wir uns den Weg zu unserem Ziel.

I was King (Deutsche Version)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon