36.Henry

122 7 0
                                    

Ich versteckte mich schleunigst hinter einem Gebüsch, diesmal würde es klappen. Mit meinen zierlichen Fingern fuhr ich mir durch das, von dem Bleichmittel geschädigte weiße Haar, über mein etwas eingefallenes, dünnes Gesicht mit den einst feinen Zügen eines Adeligen. Fast ein halbes Jahr war ich nun schon hier in dieser Wäscherei. Mehr als ein Jahr war vergangen seit meiner Flucht aus dem Schloss, schon so lange seit mein Bruder Theodore das Amt des Königs an sich gerissen hatte. Fünfzehn lange Monate, seit unser ältester Bruder Jonathan wegen eines Verbrechens, das er nie begangen hatte, aus dem Schloss verjagt worden war. Immer noch dachte ich bitter an die Anhörung zurück, egal was ich auch sagte, meinen Worten wurde kein Gehör geschenkt. Dieses einengende Gefühl, nicht wichtig zu sein, keinen Platz und Aufgabe zu haben, erdrückte mich damals beinahe.

Ich war mittlerweile 17, doch könnte ich es genauso gut auch erst in ein paar Monaten werden, es interessierte hier niemanden, denn obwohl ein Königssohn, wurde ich hier wie ein Sklave behandelt und musste mit giftigen Chemikalien Bettlaken bleichen. Es war viel passiert, zuerst meine Flucht, die Entführung, dann wurde ich banal an einen Bauern verkauft, dort als unnütz, zu nichts zu gebrauchen eingestuft und dann, an diesen Laden hier, weiter gereicht. Die Risse an meinen Händen und die gebleichten Flecken auf meiner Haut waren wie Narben, Zeichen meines jetzigen Lebens.

Unter den Kindern, die hier in der Wäscherei täglich schuften mussten, zählte ich zu den Ältesten, doch respektieren wollte mich trotzdem niemand. Dies hatte seine Gründe, ich weigerte mich aufzugeben, was diese Weicheier einfach nicht verstehen wollten. Genauso, wie in diesem Moment hatten all meine zahlreichen Fluchtversuche in den letzten Wochen ausgesehen. Alle blieben erfolglos, ich schaffte es nie weit, bevor sie mich wieder einfingen und dann bestraften.

Anfänglich bekam ich lediglich mehr Arbeit als die anderen. Dies war erst schwer, doch gewöhnte ich mich daran und plante weiterhin eifrig meine Flucht. Vielleicht hätte ich stattdessen eher eine Freundschaft mit den anderen Kindern aufbauen sollen, doch konnte man nicht meinen, dass ich schnell aus Fehlern lernte... Wieder und wieder schnappten sie mich, es folgten Schläge, Tritte, Tage ohne etwas zu Essen. Als sie schlussendlich einsahen, dass alles keinen Zweck hatte, kippten sie mir jedes Mal einen Kübel des unterirdisch stinkenden Bleichmittels über den Kopf. Mich wunderte es selbst, dass ich von dieser Menge an Gift noch nicht dumm geworden, beziehungsweise gestorben war.

Doch hier stand ich wieder, außerhalb der Fabrik, in meinen zerlumpten Kleidern, die dunklen Augen, umrandet mit tiefen Augenringen, aufmerksam auf den Ausgang gerichtet, abpassend, auf den richtigen Moment wartend, denn ich hatte nicht vor aufzugeben, schließlich war ich immer noch, wenn auch nicht anzumerken, ein Adeliger, der dritte und jüngste Sohn des Königs und selbst wenn ich auf dieser „Reise" sowohl Stolz als auch Geborgenheit nicht wirklich spüren konnte und gänzlich auf mich alleine gestellt war, würde ich mich nicht in die Knie zwingen lassen. Denn mein Name lautete Henry, Henry Morchester!

Doch auch der Name, machte dieses Unterfangen hier nicht leichter. Dieses mal musste ich vorsichtiger sein. Noch eine Dusche wollte ich bei Gott nicht.

Mein Blick wanderte zu allen Seiten. Geräuschlos setzte ich einen Fuß vor den anderen, immer näher an das Loch im Zaun, dass mir zufällig ins Auge gesprungen war. Wenige Zentimeter entfernt, im Blick die Freiheit und niemand der mich am Fliehen hindern würde. Doch in Sicherheit wiegen, konnte ich mich lange nicht, bisher war immer genau in diesem Moment, eine Wache aufgetaucht. Umso mehr erstaunte es mich, als ich hinter dem Loch, außerhalb des Geländes stand. Nach so vielen misslungen Fluchtversuchen, wunderte beziehungsweise freute ich mich über jeden kleinen Erfolg, meiner Freiheit näher zu kommen.

Ich rannte los, so schnell ich konnte, durch das angrenzende Waldstück, bis vor mir eine große Ebene lag. Nie hätte ich damit gerechnet die grünen Wiesen zu erreichen, doch nun, wo genau diese zum Greifen nahe lagen, musste ich nur laufen. Der kühle Wind huschte an mir vorbei, der Geruch frischen Grases und der Feldblumen, die an den Rändern der Fläche blühten, stieg mir in die Nase. Nie zuvor war mir aufgefallen, was für ein Wunder die Natur hervorbrachte. Ich lief immer weiter, über mir der blaue Himmel, vor mir, noch weit in der Ferne, Dächer von Häusern. Gierig sog ich die Luft tief in meine Lungen, kein Geruch von Fäulnis oder Bleichmittel, nur frische, belebende Luft.

I was King (Deutsche Version)Where stories live. Discover now